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Interview: Verkraftet Martin Schulz die Tiefschläge?

Interview

Verkraftet Martin Schulz die Tiefschläge?

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    SPD-Kandidat Martin Schulz: „Er mobilisiert die anderen Parteien und deren Anhänger“, sagt Biograf Winter.
    SPD-Kandidat Martin Schulz: „Er mobilisiert die anderen Parteien und deren Anhänger“, sagt Biograf Winter. Foto: Kappeler/dpa

    Herr Winter, Sie haben als Journalist viele Jahre lang die Karriere von Martin Schulz aus nächster Nähe verfolgt und jetzt eine Biografie über ihn geschrieben. Warum ist die SPD unter Schulz bei drei Landtagswahlen so krachend gescheitert?

    Martin Winter: Weil sie einerseits in allen drei Ländern schwere landespolitische Probleme hatte. Da hilft auch ein neuer Vorsitzender nicht viel. Aber diese landespolitischen Probleme wurden auf der anderen Seite durch zwei schwere Fehler der Bundes-SPD verstärkt. Der eine war eine riskante rot-rote Koalitionsdebatte im Saarland, die die CDU-Wähler mobilisiert und manchen SPD-Wähler abgeschreckt hat. Der entscheidende Fehler aber war, dass Schulz nach seiner Inthronisierung politisch für mehrere Wochen abgetaucht war. Er hätte sich niemals auf die Bitte der NRW-SPD einlassen dürfen, während des Wahlkampfes an Rhein und Ruhr politisch die Füße in Berlin still zu halten. Dafür trägt er die Verantwortung.

    Schulz war Wahlkampfleiter im Europawahlkampf 1999. Er müsste selbst mehr von Wahlkampf verstehen.

    Winter: Er musste ohne Vorbereitungszeit den alten Apparat im Willy-Brandt-Haus übernehmen. Das ist nicht sein Apparat. In so einer Lage kann selbst der begabteste Wahlkämpfer in Fallen tappen, die er nicht gesehen hat. Man darf nicht vergessen, dass in der SPD-Zentrale immer noch die Leute sitzen, die die letzten beiden Bundestagswahlen, vorsichtig gesagt, nicht gerade optimal bewältigt haben. Aber natürlich war es sein Fehler, den Schwung seiner Wahl zum Parteivorsitzenden nicht genutzt zu haben.

    Fremdelt Schulz in Berlin?

    Winter: Ich glaube nicht. Er ist immerhin seit 1999 Mitglied im Parteivorstand der SPD. Er ist gut vernetzt in der Partei. Ich glaube, sein Problem ist, dass er in Brüssel mit einem kleinen und sehr aktiven Apparat arbeiten konnte. In Berlin ist der Apparat, mit dem er zu tun hat, deutlich komplizierter und die Medien schauen auf andere Sachen als in

    Konnten Sie den Schulz-Hype Anfang des Jahres nachvollziehen?

    Winter: Ja und nein. Ich kann ihn nachvollziehen, weil die Ernennung von Schulz auf viele Sozialdemokraten wie ein Signal wirkte, endlich aus dieser grauen Großen Koalition auszubrechen. Das war ein Aufbruch, den man nicht erwartet hatte. Nicht begriffen habe ich allerdings, dass selbst erfahrene sozialdemokratische Politiker so taten, als ob jetzt paradiesische Zeiten anbrechen. Das war natürlich Unsinn.

    Wie hat Ihrer Beobachtung nach die Union auf Schulz reagiert?

    Winter: Die Union hat Schulz sehr ernst genommen. Und ich glaube, dass sie ihn immer noch ernst nimmt. Es ist ja interessant, dass die CSU kurz nach Schulz’ Ernennung ihre Angriffe gegen die CDU und Frau Merkel komplett eingestellt hat und inzwischen hundertprozentig hinter der Kanzlerin steht. Es ist auch interessant, dass die Kanzlerin, die ja keine große Wahlkämpferin ist, sich selbst dermaßen in NRW engagiert hat und für ihre Verhältnisse relativ aggressiv aufgetreten ist. Die SPD hat in ihrer Euphorie etwas übersehen: Der Schulz-Effekt hat eine Kehrseite. Er rüttelt die Konkurrenz wach. Er mobilisiert die anderen Parteien und deren Anhänger.

    Wo kann man Schulz innerhalb der Sozialdemokraten überhaupt politisch verorten? Steht er für eine rot-rot-grüne Koalition?

    Winter: Nein, Martin Schulz lässt sich weder links noch rechts verorten. Er ist ein Pragmatiker. Das liegt an seinem politischen Werdegang. Er kommt aus der Kommunalpolitik, wo er Bürgermeister war. Da muss man handeln und hat keine Zeit für ideologische Grabenkämpfe. Wenn er es in der Sache für vertretbar hält, ist er durchaus in der Lage, mit Christdemokraten über Jahre hinweg zusammenzuarbeiten.

    Er wurde in Europa bekannt durch die Auseinandersetzung mit dem damaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi im Europäischen Parlament. Wie wichtig war das für seine spätere Karriere?

    Winter: Das war ausschlaggebend. Europapolitiker werden auf der nationalen Ebene in der Regel nicht ernst genommen. Die Chance, über die Europapolitik in der nationalen Politik aufzusteigen, gibt es praktisch nicht. Wer nach Brüssel geht, bleibt da. Für

    Neigt Martin Schulz dazu, sich selbst zu überschätzen?

    Winter: Er setzt sich sehr hohe Ziele und versucht dann, Wege zu finden, an die Ziele heranzukommen. Er geht auch hohe Risiken dafür ein und geht mit sehr viel Mut und Selbstvertrauen an Dinge heran, wo andere sagen würden, davon lassen wir lieber die Finger.

    Was macht der Absturz bei den Wahlen und den Umfragen mit ihm? Ist Martin Schulz jetzt entmutigt?

    Winter: Nein, nicht entmutigt. Ich habe ihn schon zweimal in Situationen erlebt, in denen er Europawahl-Niederlagen verkraften musste. Die schlimmste war 2009, als wir alle dachten, er wirft hin. Aber Schulz steckt dann ein oder zwei Tage im Keller und danach kämpft er sich wieder aus seiner düsteren Stimmung heraus und nimmt sich sein nächstes Projekt vor. In der Regel gibt es hinterher eine neue Strategie, um wieder nach vorn zu kommen.

    Interview: Mariele Schulze Berndt

    Zur Person: Der Publizist Martin Winter, ehemals lange Zeit Europakorrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ in Brüssel, hat den EU-Politiker Martin Schulz jahrelang als politischer Beobachter aus nächster Nähe begleitet. Jetzt erschien seine Biografie „Macht Mensch Martin Schulz“ (176 Seiten, SZ-Edition, 16,90 Euro).

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