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Interview: Umweltministerin Schulze über Endlagerstandort: "Nicht aus der Verantwortung stehlen"

Interview

Umweltministerin Schulze über Endlagerstandort: "Nicht aus der Verantwortung stehlen"

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    Gelbe Fässer für Atommüll stehen in rund 500 Metern Tiefe im Endlager für schwach und mittelradioaktiven Atommüll in Morsleben (Bördekreis).
    Gelbe Fässer für Atommüll stehen in rund 500 Metern Tiefe im Endlager für schwach und mittelradioaktiven Atommüll in Morsleben (Bördekreis). Foto: Jens Wolf/Archiv (dpa)

    Frau Schulze, im Herbst soll eine erste Entscheidung über mögliche Standorte eines Endlagers für atomare Abfälle fallen. Bleibt es trotz Corona bei dem Zeitplan?

    Svenja Schulze: Ja, der Zeitplan steht. Es wird im Herbst noch keine Entscheidungen zu möglichen Standorten eines Endlagers geben, aber Ende September wird von der Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung BGE ein erster Zwischenbericht bei der Suche nach einem Endlager für hoch radioaktive Abfälle veröffentlicht, so wie es im Standortauswahlgesetz vorgesehen ist. Grundprinzip ist, dass es in Deutschland eine weiße Landkarte gibt, ohne jede politische Vorfestlegung, wo ein solches Endlager sein darf. Dabei kommen grundsätzlich die Wirtsgesteine Ton, Salz und Kristallin, also etwa Granit, gleichermaßen in Betracht. Es wird in einem abgestuften Verfahren rein nach wissenschaftlichen Kriterien bewertet, was der sicherste Ort in Deutschland ist. Dieses Vorgehen ist sehr systematisch, transparent und ermöglicht die Beteiligung der Öffentlichkeit. Jetzt erfolgt der erste sichtbare Schritt.

    Was passiert bei diesem Schritt?

    Schulze: Die zuständige Bundesgesellschaft für Endlagerung wird in ihrem Zwischenbericht die Gebiete auflisten, die aus ihrer Sicht aus dem Verfahren ausscheiden sollen, weil sie für die Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle nicht geeignet sind, etwa weil die geologischen Bedingungen dafür fehlen oder sie erdbebengefährdet sind. Darüber hinaus sollen in dem Zwischenbericht die Regionen benannt werden, die aus Sicht der BGE nach Anwendung der Mindestanforderungen sowie der geowissenschaftlichen Abwägungskriterien günstige geologische Voraussetzungen erwarten lassen und deshalb für weitere Untersuchungen in Betracht gezogen werden sollen. Auf Basis dieses Zwischenberichts wird dann auf Konferenzen darüber diskutiert.

    "Keine Regierung kann beschließen, dass ihre Gebiet wissenschaftlich nicht geeignet ist"

    Bayern wäre gern raus aus dem Spiel, die Landesregierung beharrt darauf, dass Standorte im Freistaat für ein Endlager nicht in Frage kommen, etwa mit dem Argument, dass das dort vorkommende Granit ungeeignet sei. Sind auch bayerische Standorte auf der Liste der Regionen, die näher untersucht werden sollen?

    Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) will, dass in elf Jahren ein Endlagestandort gefunden ist.
    Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) will, dass in elf Jahren ein Endlagestandort gefunden ist. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa Pool/dpa

    Schulze: Es ist unsere gesamtstaatliche Verantwortung, für den in Deutschland angefallenen hoch radioaktiven Atommüll ein Endlager in Deutschland zu finden. Der strahlende Abfall muss am sichersten Ort gelagert werden, den wir dafür in Deutschland haben. Granit ist eines von drei möglichen Wirtsgesteinen. In Finnland wird derzeit eine Lagerstätte in Granitgestein gebaut. Aber davon abgesehen: Wir haben ein wissenschaftsbasiertes Verfahren mit umfassender Beteiligung der Öffentlichkeit, das ist ja die neue Qualität dieser Suche. Keine Regierung kann politisch beschließen, dass ihr Gebiet wissenschaftlich nicht geeignet ist. Sich da aus der Verantwortung zu stehlen, das geht gar nicht. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für diesen Atommüll, der in drei Generationen produziert wurde und nun 30.000 Generationen belasten wird. Es muss eine Lösung gefunden werden und ich hoffe, dass die Debatte so sachlich wie möglich verläuft.

    Wie viele Standorte sind noch im Zwischenbericht enthalten und um welche handelt es sich?

    Schulze: Ich kenne den Bericht auch nicht, das ist ja das Besondere am neuen Verfahren. Diejenigen, die suchen, orientieren sich nur an wissenschaftlichen, nicht an politischen Kriterien. Mich wundert immer wieder, dass Atomkraftwerke betrieben wurden, obwohl die Entsorgungsfrage ungelöst ist. Aber es ist so und damit müssen wir jetzt umgehen. Niemand möchte ein Endlager haben, das weiß ich. Deshalb braucht der Ort, den wir finden, dann auch eine Perspektive, unsere Unterstützung und Solidarität.

    "In elf Jahren soll der Endlagerstandort gefunden sein"

    Bis wann soll die Entscheidung dann gefallen sein?

    Schulze: Bis 2031, also in elf Jahren, soll der Endlagerstandort gefunden sein. Dann muss noch gebaut werden. Um das Jahr 2050 soll dann die Einlagerung beginnen. So lange müssen die radioaktiven Abfälle in den Zwischenlagern bleiben, die oberirdisch neben den Atomkraftwerken stehen. Deren Standorte, auch in Bayern übrigens, haben ein großes Interesse daran, dass sie nicht auf Dauer Zwischenlager bleiben, sondern bald ein Endlager gefunden wird.

    Wohin kommt das Endlager für Deutschlands Atomabfälle? Die Staatsregierung beharrt darauf, dass Bayern als Standort nicht infrage kommt.
    Wohin kommt das Endlager für Deutschlands Atomabfälle? Die Staatsregierung beharrt darauf, dass Bayern als Standort nicht infrage kommt. Foto: Silas Stein, dpa

    Bedauern Sie aus Gesichtspunkten des Klimaschutzes eigentlich den Atomausstieg?

    Schulze: Allen, die sich jetzt die Atomkraft zurückwünschen, kann man nur sagen, dass das nicht nur eine gefährliche, sondern auch eine unglaublich teure Technologie ist. Schon jetzt müssen wir alleine aus meinem Haushalt jährlich eine Milliarde für die Hinterlassenschaften des Atomzeitalters ausgeben. Ich bin sehr froh, dass wir uns entschieden haben, die Atomenergie nicht mehr zu nutzen, sondern das, was wir umsonst zur Verfügung haben, nämlich Wind und Sonne.

    Nach dem Atomausstieg ist seit kurzem auch der Kohleausstieg beschlossen. Doch der Ausbau der erneuerbaren Energien kommt teils nur schleppend voran. Was muss sich ändern?

    Schulze: Wir sind in Deutschland schon weit gekommen. Im ersten Halbjahr 2020 konnten wir schon die Hälfte des Stromverbrauchs in Deutschland mit erneuerbaren Energien decken. Ziel ist ja, diesen Anteil bis 2030 auf 65 Prozent zu steigern. Wir hoffen, dass bis dahin der Verbrauch nicht wesentlich steigt, obwohl wir auch den Verkehr elektrisch machen wollen. Wir müssen also den Bau von Solar- und Windkraftanlagen attraktiver machen, dafür gilt es, einiges zu tun. Ich glaube, dass es notwendig ist, die Menschen, die an den Standorten von Windkraftanlagen leben, zu belohnen. Die Anwohner müssen etwas davon haben, dass die Anlagen da stehen. Das könnte etwa Geld für die Sanierung des örtlichen Freibads sein oder andere Vorteile wie günstigere Strompreise. Solche finanziellen Anreize müssen Teil der anstehenden Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes sein, die Wirtschaftsminister Peter Altmaier noch für diesen Sommer angekündigt hat. Zudem muss es ein attraktives Angebot für mehr Photovoltaik auf den Dächern geben. Es gibt noch eine Menge großer Dachflächen, etwa von Supermärkten, die Potenzial haben.

    Es wurde in den vergangenen Monaten oft behauptet, dass die Corona-Pandemie, so schrecklich sie ist, zumindest der Umwelt eine Verschnaufpause gegeben hat, weil etwa zwangsläufig weniger geflogen wurde. Was sind Ihre Erkenntnisse dazu?

    Schulze: Wie die Einsparung von klimaschädlichem Kohlendioxid während der Corona-Zeit war, lässt sich noch nicht genau sagen. Klar, die Leute sind weniger geflogen, es gab weniger Dienstreisen, andererseits fuhren manche wieder mehr mit dem Auto, weil sie Busse und Bahn scheuten. Nach allem, was wir abschätzen können, werden die Emissionen etwas runtergegangen sein. Was viele von uns aber gemerkt haben ist, dass auch andere Formen des Arbeitens möglich sind. Videokonferenzen und Homeoffice können viele Wege sparen. Das haben wir übrigens auch bei uns um Umweltministerium gespürt. Ich würde mir schon wünschen, dass da einiges beibehalten wird. Rund acht Prozent des Verkehrs könnte nach ersten Schätzungen durch Homeoffice und Videokonferenzen eingespart werden. Das wäre schon ein bedeutender Beitrag zum Klimaschutz und würde auch die Nerven von Pendlern und Geschäftsreisenden schonen.

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