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Interview: Umweltministerin Schulze: "Aussitzen kann Deutschland sich nicht länger leisten"

Interview

Umweltministerin Schulze: "Aussitzen kann Deutschland sich nicht länger leisten"

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    Svenja Schulze ist seit 2018 Bundesumweltministerin und will auch künftig in Berlin eine Rolle spielen.
    Svenja Schulze ist seit 2018 Bundesumweltministerin und will auch künftig in Berlin eine Rolle spielen. Foto: Britta Pedersen, dpa (Archiv)

    Frau Schulze, viele Klimaschutzmaßnahmen werden zu höheren Preisen führen, die gerade Menschen mit niedrigeren Einkommen treffen ...

    Svenja Schulze: Deshalb muss es Entlastungen geben, das fordere ich auch offensiv ein. Wenn ich zum Beispiel sehe, dass CDU und CSU die Entlastung der Mieter beim CO2-Preis verhindert haben, obwohl das bereits vom Kabinett beschlossen war, dann ist das schon bitter. Das schadet dem Klimaschutz, weil es die Vermieter sind, die über die Heizung entscheiden, und es trifft in den nächsten Jahren unzählige Mieterinnen und Mieter. Das heißt, es würde sie treffen, aber wir werden das ändern, wenn die SPD die Regierung anführt. Auf die CDU sollte man sich da nicht verlassen. Da ist der Parteichef dafür, aber der Fraktionschef dagegen und am Ende passiert nichts und die Mieterinnen und Mieter sind die Dummen.

    SPD-Ministerin Svenja Schulze will für "Pling, Pling" statt "Flapp, Flapp" werben
    SPD-Ministerin Svenja Schulze will für "Pling, Pling" statt "Flapp, Flapp" werben Foto: Patrick Pleul, dpa

    Mehr Klimaschutz fordert ja auch die politische Konkurrenz. Was unterscheidet denn den Ansatz der SPD von den Konzepten von Union, Grünen oder FDP?

    Schulze: Die SPD wird die Veränderungen, die wir vor uns haben, sozial und ökologisch gestalten. Klimaschutz wird nur dann erfolgreich sein, wenn er sozial gerecht gemacht wird. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist die Grundlage für erfolgreichen Klimaschutz und daher der Dreh- und Angelpunkt unserer Strategie. Dabei kommt es darauf an, die Bürger stärker am Ausbau zu beteiligen. Ich kenne den Bürgermeister einer kleinen Gemeinde im Münsterland, den hat das Geräusch der Windräder in der Umgebung immer genervt – flap, flap, flap. Heute hört er ein pling, pling, pling, denn die Gemeinde besitzt jetzt selbst Windräder und kann sich durch die Einnahmen vieles leisten. Solche Konzepte müssen wir voranbringen.

    SPD wirft Union Gefahr für Versorgungssicherheit vor

    Beim Ausbau der erneuerbaren Energien hinkt Deutschland aber dem künftigen Bedarf weit hinterher. Wo sollen denn all die Windräder und Solaranlagen, die nötig wären, plötzlich herkommen?

    Schulze: Ich habe dreieinhalb Jahre mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier von der CDU darüber gestritten, wie viel erneuerbaren Strom wir brauchen. Selbst wenn wir alle Effizienzgewinne einrechnen, brauchen wir 2030 mehr Strom als heute. Diese Erkenntnis hat der Wirtschaftsminister lange ignoriert, erst in den Sommerferien ist sie dann auch zu ihm durchgedrungen – leider zu spät, um vor der Wahl noch die Ausbauziele für Wind- und Solaranlagen anzuheben und endlich wieder Planungssicherheit zu schaffen. Dieses Aussitzen kann Deutschland sich als Industriestandort nicht länger leisten. Das gilt auch für die Bundesländer, wo CDU und CSU dafür gesorgt haben, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien stockt. Nordrhein-Westfalen, mein Heimatland, hat Abstandsregeln für Windräder beschlossen. Das ist gefährlich für die Versorgungssicherheit der Industrie und muss nach der Wahl sehr schnell geändert werden.

    Wie?

    Schulze: Die neue Bundesregierung sollte gleich zu Beginn eine Erneuerbare-Energien-Kommission einsetzen, nach dem Vorbild der Kohle-Kommission. Der gesellschaftliche Konsens, der uns beim Kohleausstieg gelungen ist, muss auch beim Ausbau von Wind- und Solaranlagen gelingen. Aussteigen allein reicht nicht, Deutschland muss auch einsteigen und das Ausbautempo der erneuerbaren Energien mindestens verdoppeln. Diese Kommission könnte sich dann in kurzer Zeit zum Beispiel auf Wege verständigen, wie Deutschland mehr Flächen bereitstellen und kürzere Genehmigungen für Wind- und Solaranlagen organisieren kann.

    SPD-Ministerin: Energiewende ist im Sinne des Artenschutzes

    Oft stehen Wind- und Solarparks im Widerspruch zu den Interessen von Anwohnern und Artenschutz. Was zählt mehr?

    Schulze: Da müssen wir einen Ausgleich finden. Denn der Vielfalt von Pflanzen- und Tierarten ist nicht geholfen, wenn wir die Energiewende nicht hinbekommen. Denn der Klimawandel zählt zu den größten Bedrohungen unserer Ökosysteme. Darum müssen auch Naturschützer nach gemeinsamen Lösungen suchen, wie der Ausbau beschleunigt werden kann. Solaranlagen auf Dächern sind zum Beispiel sehr naturverträglich.

    Auch gegen den Willen der Hausbesitzer? Wollen Sie die Solardach-Pflicht?

    Schulze: Ich finde das richtig, der öffentliche Bereich muss vorangehen, auf neue Gebäude gehören Solaranlagen auf jeden Fall und bei den alten überall dort, wo es möglich ist. Da nutzen wir unsere Potenziale noch nicht.

    Auch über die Zukunft der Mobilität wird gerade viel gesprochen, etwa auf der Internationalen Automobil-Ausstellung, die gerade stattfindet. Über Freude am Fahren oder die Freiheit, die ein Auto bietet, redet dagegen fast niemand mehr. Ist das Autoland Deutschland ein Auslaufmodell?

    Schulze: Ich verstehe sehr gut, dass das Auto für viele Menschen eine wichtige Rolle spielt. Gerade auch auf dem Land wird das Auto wichtig bleiben, und deshalb unterstützen wir ja auch den Umstieg auf Elektroautos. Darauf hat sich die Industrie eingestellt. Und wer es ausprobiert hat, weiß: Elektrisch fahrende Autos machen durchaus auch Spaß.

    Umweltministerin Schulze kritisiert EU-Studie zur Atomkraft

    Eine Studie der EU hält auch die Atomkraft für nachhaltig, und das könnte bedeuten, dass Geldanlagen in Atomanlagen künftig für Anleger empfohlen werden. Muss Deutschland, das mit der Kernkraft im kommenden Jahr abgeschlossen haben wird, seinen Atomausstieg überdenken?

    Schulze: Nein, ganz im Gegenteil. Diese Studie ist fachlich mangelhaft und nicht haltbar. In Deutschland haben drei Generationen die Atomkraft genutzt, 30.000 Generationen werden sich mit dem Müll beschäftigen. Das ist alles andere als nachhaltig. Und es verursacht sehr hohe Kosten – und das in Zeiten, wo mit den erneuerbaren Energien viel günstigere Alternativen verfügbar sind. Ich weiß, dass Länder wie Frankreich weiter auf Atomkraft setzen. Aber ich habe auch engagierte Verbündete wie Österreich, Dänemark, Luxemburg oder Spanien, die das nicht wollen. Wir sind gemeinsam überzeugt, dass Atomkraft kein Öko-Label bekommen darf und wollen dafür kämpfen. Denn wie glaubwürdig wäre ein Nachhaltigkeits-Label für Anleger noch, wenn sich dahinter die Atomkraft verbirgt?

    Ihre SPD hat sich ja inzwischen aus dem Umfragetief herausgekämpft und kann sich sogar Hoffnung machen, mit Olaf Scholz den nächsten Kanzler zu stellen. Aber dazu braucht es Partner, wahrscheinlich zwei. Welche Parteien sind Ihre Wunschpartner?

    Schulze: Sieht man sich die Umfragen an, wird es wohl einen rot-grünen Kern geben. Wer dann noch dazukommt, wird man sehen, die Anforderungen hat Olaf Scholz ja klar umrissen. Für uns ist klar, dass wir den Klimaschutz entscheidend voranbringen werden, das ist nicht verhandelbar. Mit der Union hat das nicht gut genug funktioniert, CDU und CSU brauchen jetzt mal eine Denkpause in der Opposition.

    Umweltministerin Schulze will auch künftig Rolle in Berlin spielen

    Wenn die Grünen mitregieren, dürften sie das Umweltministerium für sich reklamieren ...

    Schulze: Ich bin sehr gerne Umweltministerin und ich denke, dass ich in den vergangenen dreieinhalb Jahren sehr viel für die Umwelt herausgeholt habe. Wenn Olaf Scholz Kanzler wird, werde ich mich schon an geeigneter Stelle weiter nützlich machen können.

    Geht es jetzt Bienen und anderen Insekten denn heute besser als vor Ihrem Amtsantritt?

    Schulze: Es gibt jetzt erstmals ein Insektenschutzgesetz, es gibt strengere Vorgaben für den Einsatz von Pestiziden und der Glyphosat-Ausstieg kommt. All das wird Wirkung entfalten.

    Sie haben früher die exotische Sportart Unterwasser-Rugby betrieben, ein kämpferisches Spiel, bei dem getaucht wird. Was haben Sie dabei für die Politik gelernt?

    Schulze: Dass es auf den langen Atem ankommt. Durchhalten, das kann man da sehr gut lernen – jetzt im Wahlkampf ist das das Entscheidende.

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