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Interview: Umweltministerin Schulze: „Die Industrie geht hin, wo sauberer Strom ist“

Interview

Umweltministerin Schulze: „Die Industrie geht hin, wo sauberer Strom ist“

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    SPD-Umweltministerin Svenja Schulze wirft der Union vor, beim Thema erneuerbare Energien zu bremsen.
    SPD-Umweltministerin Svenja Schulze wirft der Union vor, beim Thema erneuerbare Energien zu bremsen. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa Pool/dpa

    Frau Schulze, als Umweltministerin ist Ihre wichtigste Aufgabe der Kampf gegen den Klimawandel. Wir in Deutschland setzen auf die Kraft von Wind und Sonne, steigen aus der Atomkraft aus. Der frühere Microsoft-Chef Bill Gates schlägt in seinem neuen Buch vor, viele neue Kernkraftwerke zu bauen. Hat er einen Punkt?

    Svenja Schulze: Nein, denn es sprechen neben der Sicherheit vier gute Gründe gegen die Atomkraft. Erstens die Kosten. Schon heute kostet Atomstrom deutlich mehr als Strom aus erneuerbaren Quellen. Der Neubau von Atomkraftwerken verursacht gigantische Kosten. Das sind richtige Kostenfallen. Frankreich, Großbritannien und Finnland müssen da gerade bittere Erfahrungen durchmachen. Zweitens passen schwerfällige Großkraftwerke nicht mehr zur Energiewende, die auf dezentrale Erneuerbare setzt. Drittens geht der Klimawandel auch an den Atomkraftwerken nicht spurlos vorüber, wenn im Sommer bei großer Hitze das Kühlwasser fehlt. Wir mussten Frankreich aus diesem und anderen Gründen schon öfter mit Stromexporten helfen, damit es dort genügend Strom gibt.

    Und viertens?

    Schulze: Das ist der Atommüll. Wir haben die Atomkraft in Deutschland für drei Generationen genutzt, 30.000 Generationen müssen sich mit den strahlenden Hinterlassenschaften beschäftigen. Denn der Atommüll muss für eine Million Jahre sicher gelagert werden und das kostet sehr viel Geld. Auf all diese Punkte hat Bill Gates keine Antworten. Jedenfalls habe ich sie in seinem Buch noch nicht gefunden.

    Umweltministerin Svenja Schulze: "Billigere Atomkraftwerke? Ein Märchen"

    Gates setzt auf Reaktoren, die nicht mit Kernspaltung, sondern mit Kernfusion arbeiten und daher nicht in die Luft fliegen können. Das wäre doch der Königsweg, hohe Sicherheit und enorme Energieerzeugung?

    Schulze: Klimaschützer sollten sich nicht auf irgendwelche Wetten auf die Zukunft verlassen, die sich bislang immer als Illusionen herausgestellt haben. Es wird seit langem immer wieder versprochen, dass die nächste Generation von Atomkraftwerken sicherer, billiger und besser sei als die Generationen davor. Bisher ist das noch nicht eingelöst worden. Das sind Märchen. Genau wie die Behauptung, dass die neuen Generationen den Atommüll fressen würden. Warum soll man eigentlich weiter auf diesen Weg setzen, wenn man einen hat, der viel, viel günstiger und sicherer ist?

    Wie stellen wir in Deutschland die Versorgungssicherheit sicher, wenn Atom- und Kohlekraftwerke abgeschaltet werden? Neue Windräder sind vielerorts nicht populär.

    Schulze: Wir können die Versorgungssicherheit mit der Energiewende sicherstellen – und eine wesentliche Säule sind eben die erneuerbaren Energien. Ihre Kapazität muss deutlich hochgehen, wir brauchen also deutlich mehr Windräder und Solaranlagen. Die Energiewende ist aber mehr. Der Ausbau der Erneuerbaren muss auch begleitet werden vom Ausbau des Stromnetzes in Deutschland und Europa. Zentral dafür ist die Solidarität in ganz Deutschland. Es kann nicht sein, dass sich Bayern und Baden-Württemberg da komplett herausziehen. Sie müssen mehr tun. Ich halte das für eine gefährliche Strategie, übrigens auch in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen. Wer heute den Ausbau der Erneuerbaren verhindert, der arbeitet gegen seine eigene Industrie. Denn die Industrie geht dorthin, wo der saubere Strom ist – siehe Tesla in Brandenburg.

    Umweltministerin Svenja Schulze: "Klimaneutral bis 2050? Das wird so nicht klappen"

    Stichwort Versorgungssicherheit: Der kurze, aber heftige Wintereinbruch hat gezeigt, dass wir uns auf Windkraft und Solarstrom nicht verlassen können. Der Wind wehte schwach und die Solarfelder waren mit Schnee bedeckt.

    Schulze: Wie schon gesagt: Es ist möglich, sich komplett mit Erneuerbaren zu versorgen. Dafür muss aber der Netzausbau in Europa und vor allem auch in Deutschland weitergehen. Wenn der Wind an der Nordsee nicht weht, dann weht er woanders in Deutschland oder der EU. Der Ausgleich läuft ja auch europäisch, um einmal auf das Beispiel Frankreichs zurückzukommen, das im Sommer Strom aus Deutschland importiert. Deutschland exportiert unter dem Strich deutlich mehr Strom, als es importiert.

    Umweltministerin Svenja Schulze will die Windkraft ausbauen.
    Umweltministerin Svenja Schulze will die Windkraft ausbauen. Foto: Jens Büttner, dpa (Symbol)

    Sie fordern einen deutlich stärkeren Zubau von Windparks und Photovoltaikanlagen. Darüber wird gerade im Bundestag gerungen. CDU und CSU und ihr zuständiger Wirtschaftsminister Peter Altmaier sind für einen sehr viel bescheideneren Ausbaupfad. Ihre Rechnung würde dann nicht aufgehen.

    Schulze: Das Wort bescheiden ist an dieser Stelle sehr treffend. Ich verstehe nicht, wie die Union darauf kommt. Allein die chemische Industrie hat uns doch schon vorgerechnet, was sie mehr an Energie braucht, wenn sie sich von der Kohle verabschiedet. Gleiches gilt für Stahlwerke. Der Verkehr wird elektrisch und braucht mehr Strom aus erneuerbaren Quellen. Bis 2050 wollen wir klimaneutral sein. Das wird mit diesem Aufbaupfad, den die Union derzeit will, nicht klappen. Da muss mehr passieren.

    Das werden viele Windkraftgegner gar nicht gerne hören. Mittlerweile wird beinahe jedes Windrad beklagt. Wichtigstes Argument vor Gericht ist der Vogelschutz. Was wiegt denn höher – weniger CO2-Ausstoß oder ein Vogelleben?

    Schulze: Der Artenschutz wird vor Ort von denen entdeckt, die die Windkraftanlagen nicht wollen. Deswegen wird das oft vorgeschoben. Wir können Artenschutz und Windenergie zusammenbringen. Es ist möglich, am Land und auf dem Meer die Lage von Windparks und zum Beispiel die Hauptvogelzug-routen aufeinander abzustimmen. Das wirkliche Problem sind die Genehmigungen. Ich habe gerade aus Freiburg gehört, dass es dort 54 Monate gedauert hat, bis die Genehmigung für ein Windrad erteilt wurde. Wir brauchen viel mehr Leute in den Verwaltungen.

    Umweltministerin Svenja Schulze: "Landwirte sind wegen der Preise unter Druck"

    Die Landwirte sollen künftig viel weniger Unkraut- und Insektenvernichter spritzen dürfen. Darauf haben Sie sich mit Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner geeinigt. Die Bauern versuchen, das Spritzverbot aufzuweichen. Wo ist Ihre rote Linie?

    Schulze: Ich weiß, die Landwirte sind unter Druck. Aber nicht wegen der Umweltauflagen, sondern wegen der Preise. Die sind so niedrig, dass viele Bauern von ihrer Arbeit nicht mehr leben können. Das macht die Probleme und das ist der Bereich, für den wir politische Antworten finden müssen. Und wenn ich mich dafür einsetze, das rasante Artensterben zu stoppen, dann ist das natürlich auch im Interesse der Landwirtschaft. Schließlich sind die Landwirte mehr als alle anderen auf die Leistungen der Natur, etwa der Bestäuber, angewiesen.

    Geht es ein bisschen konkreter, bitte?

    Schulze: Da ist die Umsetzung der EU-Agrarförderung, die Frau Klöckner noch leisten muss. Wir müssen dahinkommen, dass es für gesellschaftlich gewünschte Leistungen wie den Umwelt- und Naturschutz oder die Landschaftspflege auch Geld gibt. Hier müssen CDU und CSU liefern. Sie fordern beim Insektenschutz immer das Prinzip der Freiwilligkeit. Dann muss man aber auch die EU-Mittel dafür bereitstellen, damit das in der Praxis funktioniert. Deshalb möchte ich von den undifferenzierten Flächensubventionen weg und hin zu gezielten Fördermaßnahmen kommen. Leider ist die gesamte Agrardebatte sehr polarisiert. Das hilft niemandem. Es gibt keine andere Lösung, als miteinander zu reden. Deshalb brauchen wir einen Gesellschaftsvertrag mit der Landwirtschaft.

    Können die Bauern künftig höhere Preise erzielen?

    Schulze: Ich denke, dass die Rahmenbedingungen der Agrarpolitik verändert werden müssen. Bisher gab es eine Weltmarktorientierung – immer mehr, immer billiger. Da müssen wir jetzt raus. Das Agrarsystem bekommt jährlich Milliarden an öffentlichen Mitteln und trotzdem können die Landwirte davon nicht leben. Deshalb sind die Veränderung der Gemeinsamen Agrarpolitik und die Zukunftskommission Landwirtschaft so wichtig, um neue Wege zu beschreiten.

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