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Interview: Ulrich Beck: Früher gab es kein Risiko

Interview

Ulrich Beck: Früher gab es kein Risiko

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    Professor Ulrich Beck, Soziologe aus München
    Professor Ulrich Beck, Soziologe aus München

    In Ihrem Buch „Risikogesellschaft“ schreiben Sie, dass die „gesellschaftliche Produktion von Reichtum systematisch einhergeht mit der Produktion von Risiken“. War das Leben denn nicht immer schon risikobehaftet?

    Ulrich Beck: Nein. Wenn Sie beispielsweise an das Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755 denken, das war kein Risiko, sondern eine Naturkatastrophe. Die europäischen Geistesgrößen stritten darüber, wie ein „vernünftiger Gott“ das zulassen konnte. Risiken setzen Entscheidungen, Entscheider voraus. Im 19. Jahrhundert wurde in Europa ein Normensystem im Umgang mit selbst erzeugten Unsicherheiten entwickelt. Dazu gehörten Wahrscheinlichkeitsrechnung und Versicherung. Was seinerseits die Bereitschaft voraussetzte, etwa Zerstörung gegen Geldleistungen auszugleichen, ein solches Tauschgeschäft zu akzeptieren. Das hat damals den Gesellschaftsvertrag ausgemacht und das Risiko akzeptabel. Die Menschen konnten davon ausgehen, dass selbst für den schlimmst möglichen Fall Vorsorge geschaffen ist. Dieser Gesellschaftsvertrag wurde durch die Atomindustrie gebrochen.

    Die Frage ist ja, wie bemisst, auf welche Weise berechnet und bewertet man Risiken.

    Ulrich Beck: Im 19. Jahrhundert wurden sie auf der Grundlage von konkreten Unfallerfahrungen bewertet. Aber das ist bei neuen Risiken heute, wie sie die Kernkraft oder die Gentechnologie mit sich bringen, nicht mehr möglich. Wenn ein Atomkraftwerk explodiert, wenn das Klima sich unumkehrbar verändert hat, dann ist es dafür zu spät.

    Der Einzelne kann solche Risiken nicht bewerten, weil er sie nicht durchdringt. Er ist auf Experten angewiesen, er muss darauf vertrauen, dass diese das ihm Unverständliche richtig abschätzen und berechnen ...

    Ulrich Beck: … wenn es so einfach wäre! Aber man sieht ja jetzt in Japan, dass unterschiedliche Experten die Gefahren unterschiedlich bewerten, dass es keine klaren Gefahrenbeschreibungen gibt. Die Menschen dort sind ratlos, gleichzeitig setzen sie sich einer Gefahr aus, die sich ihren Sinnen entzieht. Das ist nichts weniger als ein anthropologischer Schock, den die

    Welche Auswirkungen hat das erschütterte Vertrauen in die Experten und deren vermeintliche Rationalität und Objektivität?

    Ulrich Beck: Das hat riesige Auswirkungen. Und zwar auch auf die Institutionen einer Gesellschaft und auf die Demokratie eines Landes. Was wir in Japan sehen, ist eine Verschränkung der Industrie mit den Kontrollbehörden, die beide undurchsichtig miteinander verflochten agieren. Das hat die Konsequenz, dass im Katastrophenfall die Regierung einerseits handeln muss, andererseits aber vollständig abhängig ist von der Informationspolitik und vom nebulösen Agieren der Industrie. Diese Abhängigkeit der Politik führt zu einer Vertrauenskrise, die

    Würden Sie sagen, dass die Kernenergie ein zwar geringes, aber doch so katastrophales Risiko in sich birgt, dass man sie allein aus dem „Prinzip der Verantwortung“, wie es der Philosoph Hans Jonas entwickelt hat, niemals hätte Wirklichkeit werden lassen dürfen?

    Ulrich Beck: Jonas’ „Prinzip der Verantwortung“ ist großartig. Ich habe mich parallel gefragt, ob es in der Gesellschaft eine Instanz gibt, die, ohne es an die große Glocke zu hängen, entscheidet, was kontrollierbar ist und was nicht. Ich glaube, diese Instanz ist die private Versicherungswirtschaft. Wenn die private Versicherungswirtschaft etwas versichert, dann sind offenbar die Risiken zumindest finanziell kalkulierbar. Wenn das nicht der Fall ist, wie etwa bei der Kerntechnik, wie bei der Gentechnik, dann heißt das, dass nicht mal Versicherungen, die mit dem Risiko Geschäfte machen, bereit sind, dieses angebliche „Restrisiko“ einzugehen.

    Nun sind Sie in die Ethik-Kommission von Frau Merkel berufen worden. Was gibt es in der eigentlich noch groß zu bereden? Oder geht es doch nur darum, Zeit zu gewinnen?

    Ulrich Beck: So viel Zeit haben wir ja gar nicht mehr bis Ende Mai. Nein, es geht vor allem darum, die Argumente auf ihre Glaubwürdigkeit und Konsensfähigkeit hin zu überprüfen.

    Aber etwas anderes als der sofortige Ausstieg wird nicht herauskommen, oder?

    Ulrich Beck: Nein, wahrscheinlich nicht. Aber ganz unklar ist ja noch der Zeitpunkt des Ausstiegs und wie der Übergang gestaltet werden kann. Und es geht auch um die Frage, wie diese Kommission den internationalen Diskurs beeinflussen kann. Kernenergie ist ja kein nationales Thema. Die Frage ist, ob es uns gelingt, Zweifler zu überzeugen.

    Und, wird das gelingen?

    Ulrich Beck: Da es letztlich immer auch um Zukunftsmärkte und wirtschaftliche Vorteile geht, bin ich da ganz optimistisch.

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