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Interview: USA-Experte: Trump-Comeback trotz Kapitol-Sturm möglich

Interview

USA-Experte: Trump-Comeback trotz Kapitol-Sturm möglich

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    Donald Trump will sein Amt friedlich übergeben. Das sagt er, nachdem seine Anhänger das Kapitol gestürmt haben.
    Donald Trump will sein Amt friedlich übergeben. Das sagt er, nachdem seine Anhänger das Kapitol gestürmt haben. Foto: Brynn Anderson, AP/dpa

    Herr Professor Jäger, sind die Ereignisse und Bilder von der Erstürmung des amerikanischen Parlaments im Kapitol in Washington der bisherige Tiefpunkt der Ära von Präsident Donald Trump?

    Thomas Jäger: Ja, man kann tatsächlich von einem Tiefpunkt dieser ungewöhnlichen vierjährigen Amtszeit sprechen. Die Toten und die verstörenden Bilder der Parlamentsbesetzung, wie Randalierer auf dem Stuhl des Senatspräsidenten oder im Büro der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, Platz nehmen, führen mit Symbolkraft vor Augen, wohin vier Jahre Donald Trump die Vereinigten Staaten geführt haben. Diese Bilder sind Ergebnis der langen tiefen politischen Spaltung, die Donald Trump in seiner Amtszeit auf die Spitze getrieben hat.

     Aufnahmen eines «QAnon»-Aktivisten mit nacktem Oberkörper und einer Fellmütze mit markanten Büffelhörnern kursieren im Netz.
    Aufnahmen eines «QAnon»-Aktivisten mit nacktem Oberkörper und einer Fellmütze mit markanten Büffelhörnern kursieren im Netz. Foto: Manuel Balce Ceneta, dpa/AP

    Ist die Symbolkraft der Bilder von Trump-Anhängern im Urwaldkostüm und Südstaatenflagge an einem der wichtigsten Ort der westlichen Demokratien noch mächtiger als die Ereignisse selbst?

    Jäger: Das ist meistens so, das ist die Macht der Bilder. Wenn man diese Symbole von den Ereignissen trennt, bleiben gewalttätige Ausschreitungen, bei denen man sich schon sehr fragen muss, warum den anstürmenden Massen am Kapitol kaum Polizei gegenüberstand. Ganz Washington hat damit gerechnet, dass es zu Ausschreitungen kommt, nachdem Trump zum Protestmarsch aufgerufen hat. Und dann war vor dem Kapitol fast niemand da, um die Demonstranten abzuhalten. Das war ein krasser Fehler der Sicherheitskräfte. Das ist verwunderlich: Das Kapitol verfügt selbst über starke Polizeikräfte. Und die Polizei in Washington untersteht dem Polizeipräsidenten und der von den Demokraten regierten Stadt.

    Wie beschädigt ist die amerikanische Demokratie?

    Jäger: Die Institutionen der amerikanischen Demokratie sind nicht beschädigt, sie funktionieren noch. Es sind auch nicht die hässlichen Bilder, die die amerikanische Demokratie beschädigen, es ist die tiefe politische Spaltung in den Vereinigten Staaten. Es gibt keinerlei Kompromissbereitschaft, kein Streben nach Ausgleich in der Politik, jeder lebt in einer eigenen Welt, seiner eigenen Wirklichkeit.

    Welche Folgen hat es aber für die Demokratie, wenn Abgeordnete in ihrem eigenen Parlament vor einem wütenden Mob fliehen müssen?

    Jäger: Dabei kommt es im gespaltenen Amerika auf den Standpunkt an, von dem die Seiten ihren Blick auf die Demokratie werfen. Für die Abgeordneten, die vor dem Mob geflüchtet sind, war dieser Aufstand ganz klar ein Anschlag auf die Demokratie. Die Trump-Anhänger, die das Kapitol gestürmt haben, sehen das genau andersherum: In ihrer Parallelwelt sitzen die Feinde der Demokratie im Kongress, die ihnen nach ihrer Auffassung die Wahl gestohlen haben. Hier prallen zwei völlig unterschiedliche Wirklichkeiten aufeinander, angefacht durch die Fantasien eines Präsidenten, der immer noch in der Lage ist, ganz viele Menschen zu begeistern.

    USA-Experte Thomas Jäger
    USA-Experte Thomas Jäger Foto: Imago Stock

    Für Donald Trump war das Spiel im Kongress vorbei

    Im Tränengasnebel ging fast unter, dass Trump nun eine friedliche Amtsübergabe zugesichert hat. Hat die Eskalation der Ereignisse ihn zum Einlenken bewogen?

    Jäger: Diese Meldung zeigt schon, wie irrwitzig die Situation inzwischen geworden ist: Ein amerikanischer Präsident sagt etwas eigentlich völlig Selbstverständliches, doch aus dem Mund von Donald Trump ist das eine Nachricht, die um die Welt geht. Donald Trump hat vermutlich bis Mittwoch tatsächlich geglaubt, dass es für ihn noch eine Chance gibt, das Wahlergebnis zu kippen. Er hat seine Anhänger aufgefordert, Druck auf den Kongress zu machen, dass es Neuwahlen in manchen Bundesstaaten geben soll oder das Repräsentantenhaus den Präsidenten wählt. Das war natürlich völlig wirklichkeitsfremd. Aber in seiner Fantasiewelt hat er noch die Chance gesehen, seine Präsidentschaft zu bewahren. Mit der Abstimmung im Repräsentantenhaus war das Spiel für ihn aber vorbei.

    Mit Vizepräsident Mike Pence und Mehrheitsführer Mitch McConnell haben sich die führenden Republikaner im Kongress von Trump abgewendet. Ist die Ära Donald Trump bei den Republikanern damit endgültig vorbei?

    Jäger: Nein, das ist sie nicht. Das gilt vielleicht für die Funktionäre der Republikaner. Sie wenden sich von Donald Trump immer mehr ab. Doch entscheidend sind in den USA nicht die Funktionäre, die Trump am liebsten schon lange losgeworden wären, sondern die Parteibasis. Die in den Wählerverzeichnissen der Republikaner eingetragenen Amerikaner haben die Macht, jeden Gegner von Donald Trump bei Vorwahlen abzustrafen. Trumps Macht stützt sich nicht auf die Funktionäre, sondern auf seine Popularität an der Basis, die ihn groß gemacht hat.

    Wird sich die Basis nach den Ereignissen von Trump abwenden?

    Jäger: Es ist noch zu früh zu sagen, ob die Bilder von Washington einen Meinungsumschwung bewirken. Die Erfahrungen der vergangenen vier Jahre sprechen eher dagegen, dass Trump wirklich Rückhalt verliert. Trump hat bei der Präsidentschaftswahl trotz allem über 70 Millionen Stimmen bekommen. Möglicherweise sind manche erschrocken über die Vorkommnisse, andere denken vermutlich, es musste so kommen.

    Donald Trump könnte Anklage wegen Hochverrats drohen

    Halten Sie ein Comeback Trumps in vier Jahren jetzt noch möglich?

    Jäger: Das hängt ganz von der Präsidentschaft Joe Bidens ab. Davon, ob er eine Agenda der Mitte verfolgen wird und versucht, die gespaltene Gesellschaft zu versöhnen, oder ob sich jetzt mit der neu gewonnenen Senatsmehrheit die linken Demokraten durchsetzen. Viele wollen Biden jetzt zu einer linken Agenda drängen, das würde die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft weiter vertiefen. Wenn Biden beispielsweise das Oberste Gericht um linke Richter erweitert, würde das Trump klar in die Hände spielen.

    Muss Trump nach dem Kapitol-Angriff juristisch Konsequenzen fürchten?

    Jäger: Es wird überlegt, noch in den letzten Tagen ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn einzuleiten. Doch die Demokraten müssen sich fragen, ob sie Trump wirklich den Gefallen tun wollen, dass er vor seinen Anhängern noch als Märtyrer erscheint. Der Vorwurf würde allerdings auf Hochverrat lauten. Wenn sich unabhängig davon ein Staatsanwalt findet, der Trump nach dem Ende seiner Amtszeit wegen Hochverrats anklagen will, dann würde es tatsächlich zu einem juristischen Verfahren gegen Trump kommen.

    Zur Person: Thomas Jäger, 60, lehrt als Professor für Außenpolitik und internationale Politik an der Universität in Köln.

    Aktuelle Entwicklungen rund um die Ereignisse in den USA können Sie live in unserem Ticker verfolgen.

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