Frau Ohlberg, China geht mit brutaler Gewalt gegen Proteste in Hongkong vor, lässt einen Grenzkonflikt mit Indien eskalieren, steuert in einen Handelskonflikt mit Australien, bedroht Taiwan. Trotzdem wird der chinesische Außenminister heute in Berlin empfangen. Sind wir zu naiv im Umgang mit China?
Mareike Ohlberg: Deutschland war über Jahrzehnte und ist noch immer viel zu naiv im Umgang mit China. Die Devise und Hoffnung lautete: Wandel durch Handel. Das heißt: Wenn wir nur lange genug Geschäftsbeziehungen zu China pflegen, wird sich das Land auch politisch und gesellschaftlich öffnen, vielleicht sogar zu einer Demokratie werden. In der Sowjetunion hatte man ja erlebt, dass das funktionieren kann. Zum Teil war das mit Blick auf China aber sicher auch eine vorgeschobene Erklärung, damit man mit einem repressiven Regime Geschäfte machen konnte – ohne sich vorwerfen zu lassen, dass man mit Menschenrechtsbrechern gemeinsame Sache macht. Insofern hat sich die deutsche Naivität zumindest finanziell rentiert.
Warum funktioniert das Konzept "Wandel durch Handel" nicht? Kennen wir uns zu schlecht mit der chinesischen Kultur aus?
Ohlberg: Das ist aus meiner Sicht keine kulturelle Frage. Zwar behauptet die Kommunistische Partei Chinas, dass die Menschen im Land aus kulturellen Gründen keine Demokratie wollen. Diesem Argument widerspricht aber ja schon die Tatsache, dass in Taiwan, das kulturell chinesisch geprägt ist, die Demokratie gut funktioniert. Auch in Hongkong ist das Bedürfnis nach Demokratie sehr hoch. Entsprechend werden auch beide Regionen als Bedrohung für Peking wahrgenommen. Womit wir im Westen uns zu wenig beschäftigen, ist also nicht die Kultur, sondern der Hauptakteur: die Partei.
Wie meinen Sie das?
Ohlberg: Die Kommunistische Partei ist nicht blind. Sie hört und liest, was Deutschland über China denkt. Sie kann also auf das, was wir mit dem Land planen, reagieren. Die Partei hat ein Kontrollsystem eingerichtet, damit genau dieser Wandel durch Handel nicht geschieht. Gesellschaftliche Organisationen werden unterdrückt, Informationen vom Land ferngehalten, die Menschen regelrecht "erzogen". Das klappt zwar nicht zu 100 Prozent. Doch die Chinesen wissen, wie hoch die persönlichen Kosten für Widerstand sind. Vielen Menschen geht es wirtschaftlich nicht schlecht – sie können auch in einer Diktatur gut leben. Und haben entsprechend auch viel zu verlieren.
Das würde ja heißen, dass der wachsende Wohlstand den politischen Wandel sogar bremst – weil kaum jemand bereit ist, das Erreichte zu opfern.
Ohlberg: Es gibt durchaus Leute, die bereit sind, sich gegen die Regierung aufzulehnen. Aber es sind eben nur wenige, die alles riskieren, wenn zugleich die Aussichten sehr schlecht sind. Hinzu kommt, dass die Möglichkeiten ohnehin extrem begrenzt sind.
Wie kann Deutschland darauf reagieren? Kanzlerin Angela Merkel spricht bei ihren Reisen immer wieder das Thema Menschenrechte an – aber bringt das etwas?
Ohlberg: Gerade während der Corona-Pandemie haben wir es mit einer chinesischen Regierung zu tun, die noch stärker nach innen gerichtet ist. Sie schert sich noch weniger um das, was das Ausland denkt und sagt. Sie ließ verschiedene Konflikte eskalieren, um von den eigenen wirtschaftlichen Problemen abzulenken. Trotzdem bin ich der Meinung, dass politscher Druck von außen wichtig ist. Vor allem aber schadet er nicht. In deutschen Regierungskreisen herrscht oft die Furcht, dass zu viel Kritik gegenüber China die Zusammenarbeit erschweren könnte. Doch die Regierung in Peking hat ohne öffentlichen Druck keinen Grund, etwas zu ändern.
Es heißt immer wieder, öffentliche Kritik sei in China nicht üblich – die Gefahr des Gesichtsverlustes kontraproduktiv.
Ohlberg: Niemand wird gerne an den Pranger gestellt. Trotzdem wird nur öffentlicher Druck etwas ändern.
Wird China den Kontakt dann nicht ganz einstellen?
Ohlberg: Diese Furcht ist überzogen, wir sollten uns da viel mehr trauen. Auch China ist auf Deutschland und Europa angewiesen. In den Feldern, in denen die Kommunistische Partei Interesse hat voranzukommen – etwa im Bereich der Automobilindustrie -, wird sie die Zusammenarbeit nicht aufgekündigt. Womöglich werden Projekte aus symbolischen Gründen verzögert – aber kaum beendet. Wenn die chinesische Seite aber ohnehin kein Interesse an Kooperationen hat, etwa im Bereich Umweltschutz, dann steht die Zusammenarbeit auch ohne öffentliche Kritik auf wackligen Beinen. Die Kommunistische Partei wird trotz aller Zugeständnisse niemals etwas machen, was nicht in ihrem Sinne ist.
Die USA gehen deutlich rabiater mit China um. Ist das der bessere Weg?
Ohlberg: Es ist zumindest vermutlich der effektivere Weg. Aber auch hier gilt: Was die chinesische Regierung nicht will, wird sie auch nicht machen. Da kann Donald Trump noch so oft mit Zöllen drohen.
Die amerikanische Regierung will verhindern, dass Deutschland den chinesischen Huawei-Konzern in den 5G-Ausbau integriert. Zurecht?
Ohlberg: Die deutschen Telekommunikationsanbieter setzen sich massiv dafür ein, dass Huawei nicht vom Markt ausgeschlossen wird. Ich halte das für problematisch. Sicher verfolgen die Amerikaner mit ihrer Warnung auch eigene industriepolitische Ziele, trotzdem sollte die deutsche Regierung sehr vorsichtig sein. Huawei ist ein chinesisches Unternehmen, und wenn es selbst sagt, es würde keine Daten an die eigene Regierung abführen, ist das unglaubwürdig. Das stimmt einfach nicht. Huawei kann nicht beweisen, wie es sich dagegen wehren würde – weil es schlicht nicht möglich wäre.
Während die europäische und amerikanische Wirtschaft große Probleme durch die Corona-Pandemie hat, fährt China seinen Motor wieder hoch. Wird das Land als Gewinner aus der Krise hervorgehen?
Ohlberg: Das ist sicher eine Frage der Abwägung. Wenn die anderen stärker verloren haben als ich selbst, bin ich natürlich der Gewinner. So wird China das sicher zu einem gewissen Grad sehen. Doch letztlich ist der gesellschaftliche Druck in China enorm. Der wirtschaftliche Fortschritt ist seit Jahrzehnten die wichtigste Legitimationsquelle der Regierung. Auch wenn die chinesische Seite es gerne öffentlich so darstellt, als ob sie der Gewinner sei, wird das parteiintern sicher ganz anders gesehen.
Zur Person: Mareike Ohlberg arbeitete bis Ende April 2020 beim Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Sie promovierte über Chinas Außenpropaganda nach 1978. Sie ist eine der Autorinnen des Buches "Die lautlose Eroberung: Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet".
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