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Interview: Syrienhelfer Christian Springer: "Es gibt da keine Hoffnung mehr"

Interview

Syrienhelfer Christian Springer: "Es gibt da keine Hoffnung mehr"

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    Ein syrisches Kind watet im überfluteten Flüchtlingslager Tel-Amin an den Zelten vorbei.
    Ein syrisches Kind watet im überfluteten Flüchtlingslager Tel-Amin an den Zelten vorbei. Foto: Anas Alkharboutli, dpa

    Herr Springer, als Sie vor neun Jahren Ihr humanitäres Engagement im Nahen Osten begannen, hofften die in diesen Ländern gestrandeten syrischen Kriegsflüchtlinge auf baldige Rückkehr in die Heimat. Was ist aus dieser Hoffnung geworden?

    Christian Springer: Es gibt da keine Hoffnung mehr, die Realpolitik hat dafür gesorgt, dass Assad wieder hoffähig geworden ist. Die Menschen erleben, dass man sie in der Heimat nicht mehr haben möchte. Syrien verlangt Eintrittsgeld, ich glaube 200 Dollar. Oft ist das Haus komplett zerstört, oft ist es in iranische Hände geraten. Seit einigen Jahren werden die Menschen, die geflohen sind, mit den unterschiedlichsten Methoden enteignet. All das hat die Hoffnung zerstört, in ein Land zurückzukehren, das man Heimat nennen könnte.

    Was bedeutet das für die Millionen von Syrerinnen und Syrern, die als Geflüchtete in Nachbarstaaten leben?

    Springer: Massenweise Unterernährung, massenweise sexuelle Gewalt und Ausbeutung. Menschen müssen arbeiten für den Landlord, auf dessen Grund ihr Zelt steht. Es bedeutet keine Bildung für die nachwachsende Generation. So zerstört man eine Gesellschaft, indem man den Menschen das Essen, die Wohnung, die Bildung, die Würde nimmt. Negativ könnte man das so formulieren: Man züchtet Extremismus und Terrorismus.

    Gelingt es einem Teil der Geflüchteten, sich in den Aufnahmeländern eine Zukunft aufzubauen?

    Springer: So etwas gelingt in den allerwenigsten Fällen. Die Realität sieht so aus: Der Libanon hat einen riesigen Währungsverfall. Das Geld ist verglichen zu vor einem Jahr nur noch ein Zehntel wert. Die verheerende Explosion in Beirut im letzten Sommer hat 300.000 Menschen obdachlos gemacht. Es gibt immer mehr Arbeitslosigkeit – auch wegen Corona. In so einem Land gibt es keine Arbeit für Flüchtlinge.

    Christian Springer engagiert sich in der Flüchtlingshilfe.
    Christian Springer engagiert sich in der Flüchtlingshilfe. Foto: Sina-Maria Schweikle

    Laut Vereinten Nationen leben im Nahen Osten fünf Millionen Kriegsflüchtlinge aus Syrien, darunter viele Kinder. Ihre Organisation „Orienthelfer“ arbeitet auch mit jungen Menschen. Was sind Ihre Erfahrungen?

    Springer: Es ist nach wie vor erstaunlich, welchen Lebensmut geflohene Menschen haben. Zum Beispiel der 15-jährige Hussein. Wir haben ihm ein Telefon besorgt, er spricht sehr gut Englisch. Das hat er sich selbst beigebracht. Und jetzt ist er der Motor für seine Familie. Er organisiert alles Notwendige und sorgt für sie. Da steht er und lacht – das sind für mich die kleinen Menschenwunder. Aber natürlich eine Ausnahme. Unter den Kindern und Jugendlichen gibt es viele Traumatisierungen. Und diese Traumatisierung kriegst du auch nicht durch drei- oder sechsmonatige Unterstützung von uns Orienthelfern weg.

    Der Libanon hat – im Verhältnis zur Einwohnerzahl – weltweit am meisten Geflüchtete aufgenommen. Nun befinden sich viele Libanesen nach Explosionskatastrophe, Regierungs- und Wirtschaftskrise selbst in existenzieller Not. Gibt es noch Toleranz gegenüber den Geflüchteten?

    Springer: Es ist unterschiedlich. Syrische Arbeiter haben im Libanon eine sehr lange Tradition. Es gibt keine Bohne, die von einem Libanesen geerntet, kein Hochhaus, das von Libanesen erbaut worden wäre. Das waren alles Syrer. Darum gibt es auch eine Tradition des Zusammenlebens. Aber dann sind da auch Bürgermeister, die syrerfreie Regionen ausrufen. An Weihnachten ist ein kleines Flüchtlingscamp von jungen libanesischen Erwachsenen angezündet worden. Zum Glück kam niemand ums Leben. Es gibt Schlägertrupps, die Syrer zusammenschlagen, Zuhälter, die syrische Mädchen ausbeuten. Wir starten Fußballprojekte für syrische und libanesische Jugendliche: Solange sie Fußball spielen, schlägern sie nicht. Das ist ein bisschen wie mit Sand zu bauen: Man muss immer wieder von vorne anfangen.

    Wer Hilfe in der Herkunftsregion leisten will, kommt an Behörden und offiziellen Stellen nicht vorbei. Wie funktioniert das in einem Land, in dem Korruption und politisches Versagen eine beispiellose Krise verursacht haben?

    Springer: Wir korrumpieren nicht. Ich habe noch niemandem am Zoll Geld in die Tasche gesteckt, damit wir unsere Sachen rüberbringen. Denn ich weiß: Das wird kein Ende nehmen. Vielleicht hat uns das manchen Weg verbaut, aber vieles ist auf geraden Wegen möglich. Die meisten Behörden wollen doch auch Lösungen. Und wenn man ein Flüchtlingscamp unterstützen will, geht man erst zum Bürgermeister und fragt, wo die Probleme liegen. Wir arbeiten sehr eng mit Bürgermeistern und örtlichen Behörden zusammen. Anders geht es nicht. Wir sind ja auch Gast in diesem Land.

    Ein Zusammenschluss von Kommunen aus dem Allgäu engagiert sich seit vier Jahren im Libanon im Rahmen eines Projekts des Entwicklungsministeriums. Diese Kommunen fürchten, dass die Bundesrepublik ihr finanzielles Engagement in eine andere Region verlagern könnte, weil die Situation im Nahen Osten zunehmend unübersichtlich wird. Teilen Sie diese Sorge?

    Springer: Deutschland ist ein ganz großes Geberland, was die dortige Flüchtlingssituation anbelangt. Es hat viel Geld reingesteckt – auch aus dem Wissen heraus: Wenn die Menschen zu uns kommen, wird das viel teurer. Aber wenn man die Not in Südamerika oder im Jemen betrachtet, habe ich großes Verständnis dafür, dass diese hohen Geberleistungen im Nahen Osten in Zukunft nicht mehr so erbracht werden.

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    Die Flüchtlingskrise von 2015 spaltete die Gesellschaft. Wir zeigen bewegende Bilder über eine Zeit, die in Erinnerung bleiben wird.

    In der Türkei leben weltweit die meisten syrischen Geflüchteten. Damit diese sich nicht nach Westen aufmachen, hat die EU den sogenannten Flüchtlingsdeal angezettelt und gibt Milliarden für die Flüchtlingsversorgung in der Region. Trotzdem hat Präsident Erdogan Druck gemacht, indem er die Grenze zu Griechenland öffnete. Ist der Pakt gescheitert?

    Springer: Ich war kein großer Freund dieses Deals. Mit Geflohenen macht man keinen Handel. Das ist Menschenhandel. Man hätte viel früher reagieren müssen. Gerade die Türkei hat sich um syrische Flüchtlinge gekümmert, wie ich es in keinem anderen Land sehe. Sie hat von Pufferzonen im Norden Syriens gesprochen, um Geflüchtete zu schützen – die EU wollte das nicht. Angesichts dessen, was sich im Mittelmeer oder in Calais abspielt, sage ich: Man sollte nicht mit dem Finger auf die Türkei zeigen. Klar macht sich Erdogan keine Freunde in der EU. Aber Istanbul ist eine europäische Stadt. Und wenn wir Putin und China die Hand ausstrecken, müssen wir auch auf Erdogan zugehen.

    Ihre Erzählungen aus dem Nahen Osten enthalten wenig Hoffnungsvolles. Wie schützen Sie sich persönlich vor Resignation bei Ihrem Engagement?

    Springer: Wir haben viele Spender, kleine Verwaltungsausgaben, und wir helfen vielen Leuten – aber wir können nicht die Welt retten. Ich bin häufig vor Ort. Ich habe 38-jährige Zuckerkranke gesehen, die sahen aus wie 80 – und beim nächsten Mal waren sie nicht mehr da. Ja, ich habe auch geweint. Aber ich habe mich auch an vielen positiven Einzelfällen so gefreut, dass ich sage, ich höre mit dem Helfen nicht auf, bis sich die Situation zum Bessern wendet.

    Wenn aber die Geflüchteten keine Aussicht auf Heimkehr und keine Perspektive in den Aufnahmeländern haben – wo sehen Sie all diese Menschen in 20 oder 30 Jahren?

    Springer: Diese Frage wirft mich zurück auf meine Familie. Meine Mutter war als kleines Kind im Luftschutzkeller verschüttet. Wenn Sie mich nach der Zukunft dieses kleinen Mädchens in den Ruinen ihres Hauses gefragt hätten, hätte ich auch nichts gewusst. Und jetzt hat sie Kinder, Enkel, Urenkel. Ich denke, vielleicht wird für all diese Leute die Zukunft besser und nicht schlechter. Dafür arbeite ich.

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