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Interview: SPD-Politikerin Lange fordert "radikalen Kurswechsel" von ihrer Partei

Interview

SPD-Politikerin Lange fordert "radikalen Kurswechsel" von ihrer Partei

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    Simone Lange triumphierte 2016 in Flensburg mit 51 Prozent über den bisherigen Oberbürgermeister. „Die SPD wird kaum noch als Partei wahrgenommen“, beklagt sie.
    Simone Lange triumphierte 2016 in Flensburg mit 51 Prozent über den bisherigen Oberbürgermeister. „Die SPD wird kaum noch als Partei wahrgenommen“, beklagt sie. Foto: Carsten Rehder, dpa

    Frau Lange, Sie traten 2018 auf einem aussichtslosen Platz gegen Andrea Nahles um den SPD-Bundesparteivorsitz an und erhielten mit 28 Prozent mehr Stimmen, als Ihnen damals fast jeder zugetraut hätte. Wie sehen Sie heute den Zustand der SPD? Ist die Partei existenziell gefährdet?

    Simone Lange: Ja, es ist existenziell. Das ist keine neue Feststellung, wir haben jetzt nur leider mit der Europawahl den eindeutigen Beleg dafür bekommen. Die Situation der SPD ist mehr als kritisch. In so einem Zustand stecken aber auch viele Chancen: Die Notwendigkeit eines radikalen Kurswechsels wird jetzt umso deutlicher.

    Was muss hinter so einem Kurswechsel stecken? Sollte die SPD die Koalition beenden?

    Lange: Zuallererst geht es um die Organisation der Partei. Wenn wir nach innen hin gesunden, werden wir nach außen hin wieder Boden gewinnen. Die SPD wird kaum noch als Partei wahrgenommen. Seit wir in der GroKo stecken, definieren wir uns über die Arbeit der Bundestagsfraktion. Die Definition, wie wir uns die Gesellschaft von morgen vorstellen, muss aus der Partei kommen und die roten Linien für die Regierungsarbeit auch. Wir müssen den Menschen glaubhaft zeigen, dass Parteien positive Orte sind, wo sie mitgestalten können. Viele Menschen hadern mit Parteien, und das trifft am Ende uns alle – auch die Sozialdemokratie.

    Welches große Bild möchten Sie für die SPD zeichnen?

    Lange: Ich wünsche mir die Bereitschaft, dass wir das gesellschaftliche Leistungsprinzip weiterentwickeln. Es hat uns viel Wohlstand gebracht, aber jetzt sind wir in einer Phase, in der wir Wohlstand neu definieren müssen. Wir werden Wohlstand nicht mehr über Eigentum definieren, sondern über Möglichkeiten. Die Frage ist doch: Welchen Sinn macht es, mit Klimaanlagen gegen den Klimawandel zu kämpfen? Wir müssen dem Klimawandel endlich die richtigen Maßnahmen entgegensetzen, damit unser Überleben gesichert werden kann. Das ist übrigens kein grünes Thema, das ist längst Aufgabe der gesamten Politik. Die Sozialdemokratie muss dabei darauf achten, dass alle gleich behandelt werden und alle gleich teilhaben können. Der Klimawandel darf nicht auf Kosten der Schwächsten vollzogen werden. Ich möchte mit der Gemeinwohl-Ökonomie ein neues Thema ins Spiel bringen.

    Was verstehen Sie genau unter einer solchen Gemeinwohl-Ökonomie?

    Lange: Es geht darum, den Kapitalismus in seiner Reinform abzulösen. Wir müssen das Wohl der Gemeinschaft, der Menschheit und der Natur, an die Spitze unseres Wirtschaftens stellen. Politik muss dafür den Rahmen vorgeben. Gemeinwohl-Ökonomie fokussiert auf soziale und ökologische Wertschöpfung vor wirtschaftlichem Erfolg. Es geht nicht nur mehr darum, was man tut, sondern auch wie man es tut. Dazu müssen neue Mechanismen und neue Modelle gesetzlich verankert werden und bei der Besteuerung von Unternehmen berücksichtigt werden. Es muss Lust machen, solche Wirtschaftsmodelle einzusetzen.

    Spielt für Sie dabei auch der Klimaschutz eine Rolle?

    Lange: Natürlich. Wir müssen mehr darauf achten, ob ein Produkt nachhaltig hergestellt wurde, ob es aus der Region kommt und welchen Weg es nimmt. Die Herstellungswege sind wichtig für den Klimaschutz und für die funktionierende Nachhaltigkeit. Ein Beispiel: Ich fahre als Oberbürgermeisterin ein mit Wasserstoff betriebenes Auto, das komplett emissionsfrei ist. Da tropft nur noch Wasser ab. Null Prozent CO2, das ist eine super Sache. Aber wurde das Auto nachhaltig produziert? Das müssen wir in Zukunft garantieren.

    Sind Sie mit der Verteilung des Wohlstands einverstanden? Es gibt in Ihrer Partei Forderungen, die Reichen mehr zur Kasse zu bitten.

    Lange: Umverteilung spielt natürlich eine Rolle. In meiner Stadt zum Beispiel gibt es mehr als 20 Schulen. Diese Schulen modern zu halten, sie gut auszustatten, damit Lehrer, Eltern und Kinder glücklich sind, ist teuer und wir Kommunen sind leider stark überschuldet. Vor allem aufgrund der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich ist Umverteilung ein notwendiges Thema. Wo ist großes Vermögen und wie kann man es beteiligen? Es muss verständlich werden, dass es uns allen nutzt.

    Sind Sie für eine neue Vermögenssteuer?

    Lange: Absolut, die Vermögenssteuer ist nötig. Genauso wie die Kapitalertragssteuer und die Finanztransaktionssteuer.

    Sprechen Sie sich also für einen dezidierten Linkskurs der SPD aus?

    Lange: Nicht rechts oder links – es muss logisch sein. Es kommt darauf an, in der Logik, was wir als Gesellschaft erleben, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ich wünsche mir, dass wir begreifen, dass wir eine SPD sind. Die SPD muss im Ganzen gesehen werden. Am Ende steht ein Ziel: Die SPD muss wieder gewinnen.

    Die Ränkespiele in der SPD sind legendär. Das Willy-Brandt-Haus wird oft als Schlangengrube charakterisiert. Was müsste sich dort ändern?

    Lange: Da sind die Gremien und der Bundesvorstand gefragt, auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Kultur der Partei wird vom Kopf geprägt und eben vom Vorstand selbst. Mein Wunsch ist, dass wir das gemeinsam stärker befördern und die Vergangenheit aufarbeiten. Es sind Dinge gesagt worden, die zu Verletzungen geführt haben. Wir brauchen eine neue Kultur.

    Muss der oder die neue Vorsitzende aus der Spitze oder aus dem Bauch der Partei kommen?

    Lange: Verdiente Parteikollegen müssen erkennen, dass neue Köpfe gebraucht werden. Wir brauchen die Bereitschaft, es auf allen Ebenen anders zu machen. Es wäre dabei aber ein Fehler zu sagen: Die obere Ebene muss komplett weg und nun kommt alles von unten. Wir haben als SPD jetzt die Chance, uns gemeinsam einen Ruck zu geben und uns unterzuhaken. Gemeinsam können wir einen offenen Prozess beschreiten. Die Mitglieder setzen darauf, dass die Urwahl jetzt kommt. Wir sprechen seit vielen Jahren darüber. Es wurde nur bisher nicht gemacht. Wir müssen mit Tatkraft zeigen, dass es besser geht.

    Würden Sie das Modell einer Doppelspitze bevorzugen?

    Lange: Gewiss, ich wünsche mir seit längerer Zeit eine Doppelspitze.

    Werfen Sie Ihren Hut noch mal in den Ring, auch nachdem Sie gesehen haben, was Andrea Nahles in den letzten Monaten erleben musste?

    Lange: Das kann ich heute noch nicht sagen. Ich bin gespannt, was der Bundesvorstand als Verfahren anbietet. Es tut sich viel im Moment, auch im SPD-Landesverband Schleswig-Holstein. Ich beteilige mich sehr gerne, wenn Ideen abgefragt werden. Es bleibt die Frage: Sind wir bereit, die neuen Ideen umzusetzen und aus Worten Taten werden zu lassen?  

    Zur Person Die 42-jährige SPD-Politikerin Simone Lange stammt aus dem thüringischen Rudolstadt. Nach ihrem Verwaltungsstudium in Kiel arbeitete sie als Kriminalhauptkommissarin in Flensburg. 2012 wurde die SPD-Stadträtin als Direktkandidatin in den schleswig-holsteinischen Landtag gewählt, 2016 gewann die bürgernahe Politikerin die Flensburger Oberbürgermeisterwahl im ersten Wahlgang mit 51 Prozent gegen den bisherigen OB Simon Faber (SSW).

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