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Interview: Russland-Expertin Epifanova: "Deutschland und EU haben keine langfristige Strategie"

Interview

Russland-Expertin Epifanova: "Deutschland und EU haben keine langfristige Strategie"

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    Alena Epifanova ist Russland-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
    Alena Epifanova ist Russland-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Foto: DGAP

    Frau Epifanova, die Kanzlerin hat Russland im Fall Nawalny scharf kritisiert. Sie hat Konsequenzen angekündigt. Muss die Bundesregierung  eine klarere Kante zeigen im Umgang mit Moskau?

    Alena Epifanova: Deutschland neigt dazu, auf Russland nur zu reagieren – egal, ob es um die Annexion der Krim geht oder die Vergiftung eines Oppositionellen. Das zeigt, dass Russland den Kurs bestimmt. Deutschland und die EU haben keine langfristige Strategie, wie sie mit Moskau umgehen wollen. Das zeigt sich auch im Fall Nawalny. Für alle, die die russische Innenpolitik verfolgen, ist das, was passiert ist, keine große Überraschung. Alexey Nawalny wird schon lange verfolgt, sein Bruder saß im Gefängnis. Der Umgang mit der Opposition und mit unabhängigen Journalisten zeigt immer wieder, wie brutal das Regime vorgeht. Das wird zwar von der Bundesregierung kritisiert, aber mehr geschieht nicht – bis der nächste Fall passiert.

    Das heißt, Sie erwarten auch dieses Mal keine umfassenden Konsequenzen?

    Epifanova: Ich hoffe, dass es zu umfassenden Konsequenzen kommt, aber die müssen eben Teil einer wirklichen Strategie sein. Und das betrifft nicht nur Deutschland, sondern die EU insgesamt. Russland wird immer repressiver. Der Grund dafür liegt in der russischen Innenpolitik. Das, was wir hier beobachten, sind Vorgänge, die dazu dienen, die Macht nach innen zu stabilisieren. Russland geht es wirtschaftlich schlecht, es ist eine absteigende Wirtschaftsmacht mit großen geopolitischen Ansprüchen. Für den Kreml ist es also perfekt, dass er nun wieder die Aufmerksamkeit der ganzen Welt hat. Er will zeigen, wozu er fähig ist und dass er trotzdem keine Konsequenzen zu befürchten hat. Mit so einem Regime können Deutschland und die EU nicht mehr kooperieren – oder zumindest nur in einem sehr engen Rahmen.

    Warum gibt es diese Strategie bislang nicht? Wollte man den Partner Russland nicht verärgern?

    Epifanova: Russland ist ein wichtiger Akteur in ganz vielen außenpolitischen Feldern: Syrien, Ukraine, Belarus. Das Beispiel Belarus zeigt übrigens sehr gut, dass Russland in diesen Ländern sehr viel investiert. Die EU hat das kaum getan. Russland geht sehr strategisch vor, nutzt die Schwachstellen Europas aus. Natürlich muss man auch mit dem Kreml diplomatische Beziehungen pflegen. Doch man muss Grenzen ziehen. Bei Nord Stream 2 hat man das nicht getan, das Projekt wurde nach der Annexion der Krim gestartet. Man wusste also, auf wen man sich einließ.

    Sind wir auf Russland angewiesen?

    Epifanova: Es gibt Abhängigkeiten auf beiden Seiten. Die sind sowohl wirtschaftlich, energiepolitisch als auch geopolitisch. Zwar ist Russland inzwischen wirtschaftlich angeschlagen, doch die innenpolitische Schwäche wird durch außenpolitischen Einfluss ausgeglichen. Trotzdem ist es höchste Zeit, jetzt rote Linien zu ziehen, die nicht mehr überschritten werden dürfen.

    Hat der Westen Angst davor, rote Linien zu ziehen – weil er das Überschreiten ohnehin nicht sanktionieren würde?

    Epifanova: Es sieht zumindest danach aus. Und das weiß der Kreml auch. Er weiß, wie groß die Hemmungen sind, die wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen zu kappen. Deshalb muss sich Deutschland genau überlegen, wie es vorgeht. Die Gaspipeline Nord Stream 2 wird von Gazprom betrieben, das ist ein Konzern, der großen Einfluss auf die Eliten, auf das russische Regime hat. Es müssen also nicht alle Beziehungen zu Russland abgebrochen werden – sondern konkrete Schritte übernommen werden: Mit welchen Unternehmen wollen wir noch zusammenarbeiten? Zugleich kann man die Visafreiheit für die EU für russische Journalisten, für Wissenschaftler, aber auch für Privatpersonen einführen – und jene ausschließen, die für die Regierung arbeiten. Deutschland braucht eine differenzierte Strategie.

    Alexander Nawalny war nicht der erste, den der Kreml mit Gift ausschalten wollte. Warum greift Russland immer wieder zu diesem Mittel?

    Epifanova: Ein Nervengift wie Nowitschok ist sehr schwer nachzuweisen. Es lässt sich leicht vertuschen, der Verdacht kann auf andere medizinische Ursachen gelenkt werden. Auch im Fall Nawalny steht die Aussage der Ärzte der Charité gegen die Aussage der russischen Ärzte. In den staatlichen russischen Medien wird zudem der Verdacht geschürt, dass die Vergiftung erst in Berlin geschehen sei.

    Gift hat auch stets eine Schockwirkung, es ist ein grausamer Tod.

    Epifanova: Ja, nicht nur die Angehörigen sollen dadurch Angst bekommen, sondern auch alle anderen, die Kritik an der russischen Regierung üben. Niemand soll sich sicher fühlen, jeder könnte in eine ähnliche Falle geraten. Das Gift kann als Pulver verabreicht werden, es wirkt in flüssiger Form, man sieht es nicht – das macht Angst.

    Zur Person: Alena Epifanova ist Russland-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Sie studierte Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin sowie der Staatlichen Altai Universität (Russland).

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