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Interview: Rotkreuz-Präsidentin Gerda Hasselfeldt fordert mehr Katastrophenschutz

Interview

Rotkreuz-Präsidentin Gerda Hasselfeldt fordert mehr Katastrophenschutz

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    Will junge Menschen zu freiwilligen Hilfsdiensten ermuntern: Rotkreuz-Präsidentin Gerda Hasselfeldt.
    Will junge Menschen zu freiwilligen Hilfsdiensten ermuntern: Rotkreuz-Präsidentin Gerda Hasselfeldt. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Keine Schutzmasken, keine Schutzanzüge, Ärzte und Kliniken am Anschlag: Was läuft im Kampf gegen Corona schief in Deutschland, Frau Hasselfeldt? Sie waren selbst mal Gesundheitsministerin.

    Gerda Hasselfeldt: Aus meiner Sicht hat die Bundesregierung im Schulterschluss mit den Wissenschaftlern die richtigen Entscheidungen getroffen: Ausgangsbeschränkungen, Ertüchtigung des Gesundheitswesens mit der Ausweitung der Intensivbetten sowie die Unterstützung der Wirtschaft und der sozialen Einrichtungen. Gerade letzteres ist für die gemeinnützigen sozialen Einrichtungen jetzt wichtig, denn sie dürfen kaum finanzielle Rücklagen bilden und wären durch die Krise in ihrer Existenz bedroht. Das alles ging sehr schnell. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass auch die praktische Umsetzung des Rettungsschirms der Bundesregierung rasch und unbürokratisch läuft. Außerdem verdient der Einsatz unseres medizinischen und sozialen Personals höchste Anerkennung.

    Nach dem kalten Krieg wurden viele für den Notfall gedachte Materiallager aufgelöst. Hat Deutschland den Zivilschutz vernachlässigt?

    Gerda Hasselfeldt: Mitte der neunziger Jahre wurde die so genannte Bundesvorratshaltung mit Feldbetten, Hygieneartikeln und ähnlichen lebensnotwendigen Gütern aufgelöst - im großen Einvernehmen übrigens. Damals hieß es: Der Kalte Krieg ist zu Ende, wir brauchen das nicht mehr. Das Deutsche Rote Kreuz kämpft gemeinsam mit anderen anerkannten Hilfsorganisationen seit längerem schon für ein Wiedereinrichten solcher Materiallager. Ich habe viel Zeit und Engagement aufgewendet, damit dafür im Bundeshaushalt auch Mittel bereitgestellt werden, was ab 2020 auch geschehen ist. Die Corona-Krise zeigt uns gerade, wie wichtig es ist, sich auf Pandemien, Naturkatastrophen und ähnliche Herausforderungen gut vorzubereiten. Wir dürfen außerdem nicht zu sehr von anderen Ländern und Organisationen abhängig werden.

    Was planen Sie konkret?

    Gerda Hasselfeldt: Wir wollen an zehn verschiedenen Standorten in Deutschland Lager mit Zelten, Decken, Feldbetten, Medikamenten und Hygieneartikeln für die Versorgung von insgesamt 50.000 Menschen einrichten. Die Standorte dafür sind allerdings noch nicht festgelegt. Im Haushalt für das laufende Jahr hat der Bund knapp 24 Millionen Euro für ein erstes solches Lager eingeplant. Damit könnte man im Krisenfall etwa 5.000 Menschen versorgen. Ich hoffe allerdings, dass wir unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse nun etwas schneller vorankommen. Solche Vorräte sind zwingend notwendig!

    Stimmt es eigentlich, dass der Bund die ersten aus China ausgeflogenen Deutschen nur deshalb so schnell unter Quarantäne stellen konnte, weil das Rote Kreuz alles organisiert hat? Aus Bordmitteln, heißt es, hätte die Regierung das nicht über Nacht leisten können.

    Gerda Hasselfeldt: In Regierungskreisen hat man uns das sogar ausdrücklich bestätigt. Wir haben da sehr schnell gehandelt und in einer Kaserne in Germersheim in der Pfalz 22 Haupt- und Ehrenamtliche zusammengezogen, die sich freiwillig 14 Tage mit mehr als 120 Rückkehrern gemeinsam in Quarantäne begeben und sich um alles gekümmert haben - ohne zu wissen, wie groß die Gefahr der Ansteckung eigentlich ist, und wie das alles am Ende ausgeht. Das war eine Riesenleistung unserer Leute.

    Wie hilft das Rote-Kreuz denn im Moment? In Nordrhein-Westfalen verteilen Sie Schutzmasken, in Österreich beschaffen das Rote Kreuz sogar für die Regierung Overalls und Beatmungsgeräte.

    Gerda Hasselfeldt: Wir betreiben an einigen Standorten mobile Arztpraxen in Containern, wir haben Fieberambulanzen und eigene Testzentren aufgebaut und helfen bei der Errichtung von Behelfskrankenhäusern. Außerdem haben wir einen Corona-Nothilfefonds eingerichtet, in dem wir Spenden für Ehrenamtliche sammeln, die Menschen in Quarantäne oder Risikogruppen betreuen. Diese Freiwilligen organisieren den Kauf von Lebensmitteln und Medikamenten und leisten beispielsweise über einen Telefondienst psycho-soziale Betreuung. Die Hilfsbereitschaft in Deutschland ist unglaublich groß. Das zeigt mir, dass unsere Gesellschaft auch in schwierigen Zeiten zusammenhält. Es kann keine Rede davon sein, dass die Deutschen ein Volk von Egoisten sind. Viele sind auch in dieser ja für alle schwierigen Situation bereit, sich ehrenamtlich zu engagieren.

    Das Rote Kreuz betreibt auch selbst Kliniken und Altenheime. Was sind dort Ihre größten Probleme?

    Gerda Hasselfeldt: Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nicht nur in der Medizin und in der Pflege stark gefordert. Durch das Besuchsverbot entstehen gerade in den Alten- und Pflegeheimen große Lücken im Alltag, die sonst von den Angehörigen gefüllt werden. Das Thema Einsamkeit und soziale Isolation ist für diese Altersgruppe schon unter normalen Umständen eine große Herausforderung. Hier sind jetzt vor allem unsere Mitarbeiter und unsere Ehrenamtlichen gefragt, um die Älteren nicht im Stich zu lassen. In den Kliniken sagen wir planbare Operationen ab, um uns auf die Behandlung von Corona-Patienten vorzubereiten. Leider fehlt es vielfach nach wie vor an Material, an Atemschutzmasken, an Schutzausrüstung und an Desinfektionsmitteln. Unsere Leitstellen im Rettungsdienst klagen außerdem über eine Überlastung.

    Was heißt das? Sind zu viele Mitarbeiter krank oder in Quarantäne?

    Gerda Hasselfeldt: Nein. Die Leitstellen sind ja nur für Notfälle gedacht. Immer häufiger aber wählen Menschen einfach die „112“ anstatt der „116117“ für den ärztlichen Bereitschaftsdienst oder der Hotline der Gesundheitsämter, weil sie dort nicht durchkommen. Persönlich kann ich das verstehen, aber es ändert nichts: Die „112“ soll nur angerufen werden, wenn es sich um einen Notfall handelt. Diese Selbstdisziplin kann Leben retten.

    Zuletzt haben Sie offensiv um Blutspenden geworben. Gehen wegen der Corona-Krise die Blutkonserven zur Neige, weil es keine Gelegenheiten mehr gibt, zu spenden?

    Gerda Hasselfeldt: Wir hatten in einigen Regionen Engpässe, im Moment können wir den Bedarf aber decken. Allerdings haben wir bei den Blutkonserven das Problem, dass wir hier keine lange Vorratshaltung betreiben können, sondern kontinuierlich immer wieder neue Spenden brauchen. Insofern kann ich nur an alle Menschen in Deutschland appellieren: wer gesund und fit ist, sollte auch bereit sein, Blut zu spenden. Gerade in den kommenden Wochen. Für den Weg zum Blutspendedienst des Roten Kreuzes ist die Ausgangsbeschränkung übrigens aufgehoben.

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