Waren Sie vor neun Jahren für oder gegen die Aussetzung der Wehrpflicht, Herr Robbe?
Reinhold Robbe: Ich bin seit jeher ein überzeugter Verfechter der Wehrpflicht. Damals war allerdings die Debatte um Wehrgerechtigkeit in vollem Gange. Die Zahlen gingen auseinander. Immer weniger wurden eingezogen, immer mehr absolvierten lieber den Zivildienst.
Dann kam der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg...
Robbe: Als er in einer Nacht- und Nebelaktion die Aussetzung der Wehrpflicht verkündete, war ich tatsächlich überrascht. Guttenberg ging es damals nicht um sicherheitspolitische Aspekte, sondern darum, Geld einzusparen. Noch mehr hat mich aber überrascht, dass die Union diesen Kurswechsel so klaglos geschluckt hat. Aus meiner Sicht ging das alles viel zu schnell. Es blieb keine Zeit, alternative Modelle zu diskutieren.
Jetzt hat Ihre Parteikollegin, die neue Wehrbeauftragte Eva Högl, die Aussetzung als „Riesenfehler“ bezeichnet und mit Blick auf rechtsextremistische Vorfälle in der Truppe eine Rückkehr zur Wehrpflicht ins Spiel gebracht. Ist das realistisch?
Robbe: Da habe ich große Zweifel. Und zwar schon aus verfassungsrechtlichen Gründen: Das Grundgesetz sagt, dass die Wehrpflicht nur eingeführt werden darf, wenn eine entsprechende Krisensituation vorliegt. Und die vermag ich trotz der weltweiten Konflikte oder der Aufrüstung Russlands nicht zu sehen.
Aber die Wehrpflicht ist doch lediglich ausgesetzt?
Robbe: Ja, auf dem Papier. Faktisch ist die Wehrpflicht aber abgeschafft. Die Bundeswehr hat inzwischen eine ganz andere Struktur aufgebaut, sie ist überhaupt nicht mehr für Wehrpflichtige ausgelegt, sondern längst eine Berufsarmee, die hoch qualifiziertes Personal erfordert. Heute fehlen die Kapazitäten, um rund ein Drittel zusätzliche Soldaten, die bei einer Wehrpflicht zur Truppe kommen würden, auszubilden. Es fehlt an Kasernen, es fehlt an Material. Nach groben Schätzungen wären die Streitkräfte um mehr als 30 Prozent teurer, ohne dass sie militärisch leistungsfähiger wären. Das ist politisch überhaupt nicht darstellbar.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer regt einen neu konzipierten Freiwilligendienst an. Nach einer sechsmonatigen militärischen Grundausbildung sollen weitere sechs Monate Reservedienste folgen. Alles heimatnah. Könnte das die Zukunft sein?
Robbe: Ich finde ihren Vorstoß durchaus anerkennenswert. Darüber sollte man diskutieren. Aber die Ministerin hat außen vor gelassen, dass die Aufstockung des freiwilligen Wehrdienstes – es gibt ihn ja heute bereits – deutlich mehr Geld kosten würde. Zudem zweifele ich daran, ob die gesellschaftliche Akzeptanz, die für so einen Dienst notwendig ist, ausreichend vorhanden ist.
Welche Ursachen sehen Sie dafür?
Robbe: In weiten Teilen unserer Gesellschaft fehlt es an der entsprechenden Einstellung zum Staat und der Notwendigkeit bewaffneter Streitkräfte. Für eine gesellschaftliche Akzeptanz müsste man im zivilen Bereich ein Äquivalent zu einem militärischen Freiwilligendienst haben. Dennoch: Kramp-Karrenbauer hat eine gute Diskussionsgrundlage geliefert.
Ist das Argument Eva Högls stichhaltig, dass Zustände wie in der Eliteeinheit KSK mit rechtsextremistischen Vorfällen weniger wahrscheinlich wären?
Robbe: Ich halte diese Begründung nicht für sehr belastbar. Auch zu Zeiten der Wehrpflicht gab es vergleichbare Skandale. Natürlich ist Transparenz und Öffentlichkeit wichtig. Aber ich sehe vor allem eine zunehmend ablehnende Haltung unserer Zivilgesellschaft gegenüber allem Militärischen. Man ist immer weniger bereit, sich mit dem zu identifizieren, was die Soldatinnen und Soldaten leisten.
Was meinen Sie damit?
Robbe: Dazu gehört die oft anzutreffende Neigung in unserem Land, sich nur sehr widerwillig mit komplexen und zum Teil auch unangenehmen Themen wie militärische Verteidigung, die leider auch mit Verwundung oder Tod einhergehen, auseinanderzusetzen. Das ist ein deutsches Phänomen. In Frankreich oder Großbritannien gibt es zum Beispiel eine große Zustimmung zur Notwendigkeit der Landesverteidigung und Würdigung der Leistungen ihrer Soldatinnen und Soldaten. Ohne einen vernünftigen Verfassungspatriotismus in Deutschland, ohne Empathie und ohne eine breite moralische Unterstützung der Gesellschaft wird es auf lange Sicht nicht möglich sein, eine tief verwurzelte, demokratische Motivation in der Truppe zu gewährleisten.
Was muss nun mit Blick auf das KSK geschehen?
Robbe: Ich bin absolut davon überzeugt, dass wir eine Einheit wie das KSK brauchen. Die Frage ist, wie sich dort eine regelrechte Parallelgesellschaft entwickeln konnte. Da ist einmal eine vollkommen versagende militärische Führung. Damit meine ich nicht den Kommandeur, der ja mit dafür gesorgt hat, dass die ganze Geschichte jetzt aufgearbeitet wird. Ich meine vielmehr die Führung des Heeres und die Dienstaufsicht im Verteidigungsministerium.
Was ist falsch gelaufen?
Robbe: Ich weiß noch aus meiner Zeit, wie abgeschottet diese KSK-Kaserne in Calw ist. Auch daraus resultiert die Skepsis der Bevölkerung. Ich selber bekam einen tieferen Einblick, weil ich als Wehrbeauftragter überall ohne Ankündigung auftauchen konnte. Die Geheimhaltung dient natürlich dem Schutz einer Einheit wie dem KSK. Aber dass auch die Medien sich dort kein realistisches Bild machen konnten, ist fatal. Amerikanische und britische Spezialtruppen präsentieren sich mit Stolz der Öffentlichkeit. Verheerend ist auch, dass der politische, ethische und lebenskundliche Unterricht in der Ausbildung offensichtlich zu kurz gekommen ist. Dabei ist er gerade für Soldaten der Eliteeinheiten wichtig. Wir brauchen dringend Reformen.
Wie beurteilen Sie die Rolle des Militärischen Abschirmdienstes MAD in der Affäre?
Robbe: Ich bin der Auffassung, dass wir den MAD schlicht nicht benötigen. Er hat in diesem Fall nicht nur versagt, er hat sogar einen Fall von Kollaboration mit Rechtsradikalen im KSK gegeben. Das hat schon den Geruch von Korruption. Wir brauchen einen funktionierenden Geheimdienst, der sich um das Militär kümmert. Es wäre aber meiner Ansicht besser, wenn dies der Verfassungsschutz mit einer neuen Abteilung für die Bundeswehr übernehmen würde.
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