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Interview: „Rassismus ist keine Meinung, sondern Rassismus“

Interview

„Rassismus ist keine Meinung, sondern Rassismus“

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    Claudia Roth
    Claudia Roth

    Die AfD erhebt den Anspruch, einen Bundestagsvizepräsidenten zu stellen – wie alle anderen Fraktionen auch. Notfalls soll Woche für Woche ein neuer Kandidat präsentiert werden und Fraktionschef Alexander Gauland will sogar das Bundesverfassungsgericht einschalten. Wer ist hier im Recht?

    In der Geschäftsordnung steht, dass grundsätzlich allen Fraktionen ein Platz zusteht. Aber: Dort steht auch, dass eine geheime Wahl stattfindet. Und die zählt. Wenn ein Kandidat also nicht genügend Stimmen erhält, ist er nicht gewählt. Es gibt keinen Rechtsanspruch auf den Posten. Auch wenn sich die AfD jetzt als Opfer aufspielt: So funktioniert Demokratie. Und Demokratie lässt sich nicht erpressen.

    Die AfD nutzt den Dauerstreit, um ihre Märtyrer-Rolle zu pflegen. Ist es das wert?

    Ich halte es für falsch, zu glauben, die AfD höre jemals mit dieser Opferrolle auf. Das gehört zum Konzept. Derweil entgrenzt die AfD ganz bewusst die Sprache, greift gezielt demokratische Institutionen und Abläufe an, stellt immer wieder auch Kernelemente unseres Rechtsstaats infrage. Wer die Idee unserer Demokratie offenbar gar nicht repräsentieren will, kann nicht erwarten, ganz selbstverständlich ins Präsidium des Deutschen Bundestags gewählt zu werden.

    Belastet Sie die aufgeheizte Stimmung im Bundestag?

    Sie belastet das Parlament in seiner Gesamtheit, natürlich. Früher sind wir bei allem Streit in der Sache und über alle Parteigrenzen hinweg sehr kollegial miteinander umgegangen. Sogar Grüne und CSU-Abgeordnete konnten miteinander lachen. Das können wir immer noch, aber es herrscht durchaus eine höhere Grundanspannung im Bundestag. Und besonders für Frauen ist es viel unangenehmer geworden, weil mit der AfD der Sexismus im Bundestag deutlich an Raum gewonnen hat.

    Die Methode der AfD heißt: Aufmerksamkeit durch Provokation. Das macht Ihr Parteifreund Boris Palmer auch so. Wie genervt sind Sie von ihm?

    Die Methode Palmer ist narzisstische Egomanie. Zumindest auf Bundesebene und in den sozialen Medien handelt er zudem fernab dessen, was demokratische Verantwortung bedeutet. Wir reden so viel über Populisten und Spaltungsversuche, über Alltagsrassismus und Diskriminierung in Europa – all das befördert Boris Palmer. Immer wieder bedient er mit rassistischen Aussagen all jene, die wieder bestimmen wollen, wer dazugehört und wer nicht. Das ist brandgefährlich.

    Ist Palmer noch in der richtigen Partei?

    Das müssen Sie Boris Palmer fragen. Jedenfalls hat er in meinen Augen mehr als einmal eine Grenze überschritten. Nehmen wir das jüngste Beispiel. Seit Jahrzehnten zeichnet Werbung in Deutschland ein falsches, überproportional weißes und nicht-migrantisches Bild unserer Gesellschaft. Ich habe da von Boris Palmer nie Kritik gehört. Die kam erst, als ein Unternehmen (die Bahn, Anmerkung der Redaktion) ausnahmsweise mit demonstrativer Vielfalt warb. So leid es mir tut: Das ist eindeutig rassistisch und Rassismus ist keine Meinung, sondern

    Sollte er die Grünen verlassen?

    Ich denke, man sollte sich in einer Partei zu Hause fühlen. Und ich glaube, er hat sich Lichtjahre von den Grünen und vielen ihrer Grundüberzeugungen entfernt. Selbst sein eigener Landesverband hat sich ja sehr deutlich von ihm distanziert. Denn eines ist doch klar: Er regt mit seinen Ausfällen keine parteiinterne Debatte an, sondern schadet dem demokratischen Zusammenhalt ebenso wie unserer Partei.

    Ist sogar ein Parteiausschlussverfahren denkbar?

    Davon halte ich nichts. Es ist aus gutem Grund extrem schwer, jemanden aus einer Partei auszuschließen. Aber niemand wird ihn davon abhalten, sich einen Ort zu suchen, an dem er sich politisch wohler fühlt – auch jenseits der Grünen.

    Einer, der sich sichtlich wohlfühlt bei den Grünen, ist Robert Habeck. Er ist eine Art Popstar und setzt voll auf Emotionen. Neulich hat er darüber gesprochen, was ihn zum Weinen bringt. Manche sprechen schon von Verkitschung der Politik. Stört Sie das?

    Überhaupt nicht. Robert ist, wie er ist. Natürlich ist Politik in gewisser Weise eine Bühne. Aber er mimt keine Rolle. Was die Menschen von ihm erleben, ist schon sehr nah dran an dem Robert Habeck, den ich kenne. Dass er eine Wahnsinnsausstrahlung hat, wird niemand bestreiten. Das Entscheidende ist aber, dass er nicht so schwurbelig daherkommt wie viele andere. Dass er mutig ist, nachdenklich und auch Kritik ernst nimmt. Klar ist allerdings auch: Ohne Annalena Baerbock an seiner Seite, die programmatisch nach vorne denkt und unsere Partei so gut kennt wie kaum jemand sonst, könnte auch Robert Habeck nicht so glänzen. Interview: Michael Stifter

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