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Interview: Politikberaterin Melody Sucharewicz: „Netanjahu hat viel für das Land getan“

Interview

Politikberaterin Melody Sucharewicz: „Netanjahu hat viel für das Land getan“

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    In Deutschland geboren, in Israel heimisch geworden: Politikberaterin Melody Sucharewicz.
    In Deutschland geboren, in Israel heimisch geworden: Politikberaterin Melody Sucharewicz. Foto: Imago Images

    Melody Sucharewicz wanderte nach ihrem Abitur in München nach Israel aus. Nach einem Auftritt in der Fernsehsendung „The Ambassador“ wurde sie 2006 für ein Jahr zur Sonderbotschafterin Israels ernannt und vertrat das Land unter anderem vor der Uno. Die Politikberaterin hat für das Shimon-Peres-Center gearbeitet, das sich den Frieden im Nahen Osten zur Aufgabe gemacht hat, und für den Netanjahu-Herausforderer Benny Gantz. Die 41-Jährige lebt in Tel Aviv.

    Frau Sucharewicz. Der Liberale Jair Lapid schmiedet eine neue Regierungskoalition in Israel. Sind die Tage von Benjamin Netanjahu als Ministerpräsident gezählt?

    Sucharewicz: Sprechen wir lieber von Jahren, die wahrscheinlich vorüber sind. Momentan sieht es so aus, als hätte Lapid eine Mehrheit hinter sich gebracht.

    In der neuen Koalition säßen Parteien von ganz links bis ganz rechts, die noch nicht einmal eine eigene Mehrheit haben, sondern sich von einer achten, arabischen Partei tolerieren lassen wollen. Kann das gut gehen?

    Sucharewicz: Es kann. Aber wird es? Meine Kristallkugel hält sich bedeckt. Der bloße Wunsch, Netanjahu abzulösen, ist kein robuster gemeinsamer Nenner. Aber: Der Wunsch nach einem Ende des Wahlmarathons mit vier Wahlen innerhalb von nur zwei Jahren ist wirkungsmächtig. Also stehen die Chancen gut, dass wir eine neue politische Dynamik erleben.

    Hat Netanjahu sich zu lange an sein Amt geklammert? Mit einem rechtzeitigen Rückzug hätte er einen Weg für eine Koalition der konservativen und liberalen Kräfte frei machen können.

    Sucharewicz: Netanjahu hat viel für das Land getan – bis hin zu den Friedensabkommen mit einigen arabischen Staaten und seiner bravourösen Performance in der Pandemie. Er ist ein verdienter Kämpfer für Israel. Medienbashing aus dem Ausland hat er nicht verdient, kritisiert wird er in Israel ausreichend. Es spricht für die Demokratie in Israel, dass viele das Merkel-Syndrom zeigen: Über ein Jahrzehnt ist genug. Hätte er früher auf sein Amt verzichten sollen? Hätte Merkel...?

    Ministerpräsident Benjamin Netanjahu steht offenbar vor seiner Ablösung.
    Ministerpräsident Benjamin Netanjahu steht offenbar vor seiner Ablösung. Foto: Yonatan Sindel/Pool Flash 90/AP/dpa

    Welche Rolle spielt die arabische Ra’am-Partei im gegenwärtigen Koalitionspoker? Ist sie ein halbwegs verlässlicher Partner oder ein unsicherer Kantonist?

    Sucharewicz: Obwohl Ra’am eine Ideologie verfolgt, die in vielen Bereichen den demokratischen Werten des Staates widerspricht, hat ihr Anführer Mansour Abbas in den letzten Monaten Kompromissbereitschaft gezeigt. Inwieweit diese Haltung nur taktisch vorgeschoben ist, kann man im Moment nicht abschätzen. Auf alle Fälle handelt es sich um eine absolute Premiere. Passt gut zum Paradigmenwechsel der arabischen Staaten, die ihre jahrzehntelange Abwehrhaltung aufgeben und Kooperation mit Israel, Frieden und Fortschritt suchen.

    Vor allem in den konservativen Parteien sitzen die Vorbehalte gegen die Beteiligung einer islamistischen Partei an der Regierung tief. Ist das die Sollbruchstelle der neuen Regierung?

    Sucharewicz: Gerade gab es ein Treffen zwischen Ajelet Schaked, der Nummer zwei der rechten ‚Jamina‘ Partei, mit Abbas, um die Option eines arabischen Vizeministers zu besprechen. Das Treffen per se wäre vor kurzem noch unvorstellbar gewesen. Klar wäre es für die konservativen Parteien und für die meisten Israelis einfacher, wenn sich alle Abgeordneten von Ra’am und anderen arabischen Parteien distanzieren und den Terror der Hamas eindeutig benennen und verurteilen würden. Aber diese Form von offenem Dialog und gemeinsamer Akzeptanz ist ein wichtiger erster Schritt.

    Kann es sein, dass Netanjahu nur darauf wartet, dass die Anti-Netanjahu-Koalition bald zerbricht, um anschließend umso triumphierender zurückzukehren?

    Sucharewicz: Spekulieren darf man, fabulieren sollte man nicht. Man kann ein Rührei nicht zurückrühren. Vielleicht wird er irgendwann ja noch Präsident.

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