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Interview: Politik-Experte: „Westliche Dominanz ist eine Anomalie“

Interview

Politik-Experte: „Westliche Dominanz ist eine Anomalie“

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    An einer großen Fabrik in Wuhan in der zentralchinesischen Provinz Hubei stehen Menschen Schlange, um einen Corona-Test zu machen.
    An einer großen Fabrik in Wuhan in der zentralchinesischen Provinz Hubei stehen Menschen Schlange, um einen Corona-Test zu machen. Foto: dpa

    Herr Mahbubani, die Corona-Pandemie hat kein anderes Land stärker getroffen als die USA – Chinas Erzrivalen. Wird die Volksrepublik zum Krisengewinner?

    Kishore Mahbubani: Ich wäre zum jetzigen Stand sehr vorsichtig, denn der Kampf gegen Covid-19 ist noch lange nicht vorbei. Bislang scheint es so, dass China den Virusausbruch wesentlich besser gehandhabt hat. Aber wenn morgen eine US-Universität mit einem Wunderimpfmittel um die Ecke kommen sollte, würde die ganze Welt Amerika applaudieren. Lassen Sie uns abwarten.

    Dennoch sprechen Sie vom Wechsel weg von der westlichen Dominanz hin zum asiatischen Jahrhundert. Hat die Pandemie diesen Prozess beschleunigt?

    Mahbubani: Die Beschleunigung fand doch bereits vor Covid-19 statt. Sehen Sie: Bis zum Jahr 1820 waren die größten Volkswirtschaften der Welt stets China und Indien. Nur in den letzten 200 Jahren haben Europa und die Vereinigten Staaten ihren Siegeszug angetreten. Verglichen mit den 2000 Jahren zuvor ist die westliche Dominanz also eine Anomalie. Natürlich wird diese irgendwann ihr Ende finden.

    Gesellschaften in Schwarz und Weiß zu kategorisieren ist ein Fehler

    Viele europäische Länder haben in den letzten Wochen tatsächlich versucht, von Südkorea und Taiwan zu lernen. China hingegen gilt in Teilen auch als abschreckendes Beispiel: In den ersten Wochen nach dem Virusausbruch hat die Regierung die Wissenschaftler mundtot gemacht.

    Mahbubani: Der große Fehler, den der Westen meiner Meinung nach begeht, ist es, Gesellschaften in Schwarz und Weiß zu kategorisieren, wobei die Realität in allen möglichen Grautönen verläuft. Natürlich hat China Fehler gemacht – etwa Wissenschaftler wie den Whistleblower Li Wenliang zum Schweigen zu bringen. Aber meine Freunde, die selber Ärzte und Wissenschaftler sind, sagen mir: Wenn ein neues Virus mit zunächst scheinbar harmlosen Erkältungssymptomen auftritt, wie soll man sich dann sicher sein, dass diese Erreger letztlich hunderttausende Menschen töten werden? Es gab in der Anfangszeit eine große Verwirrung. Als China jedoch erkannt hat, dass sich ein schwerwiegendes Problem auftut, war die Reaktion absolut einmalig: Sie haben eine ganze Provinz mit 60 Millionen Menschen zwei Tage vor chinesisch Neujahr abgeschottet. Amerika hätte so etwas zwei Tage vorm Erntedankfest sicher nicht geschafft.

    China streitet Fehler ab und inszeniert sich als Retter der Welt

    Die chinesische Regierung propagiert jedoch ihrerseits eine Schwarz-Weiß-Propaganda: Sie streitet nach außen jegliche Fehler ab und inszeniert sich mit seinen Maskenlieferungen als Retter der Welt.

    Mahbubani: Chinesen sollte man am besten nicht innerhalb einer öffentlichen Debatte konfrontieren. Meine Erfahrung mit chinesischen Diplomaten und Regierungsvertretern ist, dass sie im Privaten sehr informiert und nachdenklich sind. Ich habe keine Zweifel daran, dass sie im persönlichen Gespräch auch Fehler eingestehen werden. Es ist eben ein anderes System. Wir müssen mit einem China leben, welches existiert – und nicht ein China, von dem wir uns wünschen, dass es existieren würde.

    Welche Rolle sollte Europa in Bezug auf China einnehmen?

    Mahbubani: Europa hat derzeit eine große Chance, sich als geopolitischer Player für die Welt von morgen zu positionieren: Denn während der Konflikt zwischen China und den USA eskaliert, braucht die internationale Gemeinschaft eine Gegenkraft, die stark genug ist, zwischen beiden Weltmächten zu vermitteln. Es wäre derzeit eigentlich nur logisch, dass man gemeinsam gegen das Virus kämpft.

    Arroganz: Die USA will China ändern

    War es ein Trugschluss der USA zu denken: Wenn China seine Wirtschaft reformiert, wie Ende der 70er Jahre, wird es sich auch früher oder später politisch öffnen?

    Mahbubani: Das klingt sehr naiv auf mich! Wieso sollte ein Land wie die USA mit nicht mal 250 Jahren Geschichte und dem Viertel der Bevölkerung denken, dass es China ändern kann – und nicht umgekehrt. Da kommt eine gewisse Arroganz durch. Trotzdem: Ich glaube nach wie vor, dass jede Gesellschaft irgendwann demokratisch wird. Die Geschwindigkeit und auch die Art und Weise sind jedoch für jeden Fall unterschiedlich. Der beste Weg für China zu einer Demokratie ist ein innerer Weg. Je weniger die Welt von außen Druck macht, desto besser für China.

    Wer soll denn Ihrer Meinung nach entscheiden, wann ein Land reif für Demokratie ist? Taiwan ist seine autokratische Führung losgeworden, auch Südkorea ist mittlerweile eine lebhafte Demokratie.

    Mahbubani: Welches Land war denn der größte Unterstützer des einstigen südkoreanischen Diktators? Die USA! Natürlich hat sich Südkorea gewandelt – vom Innern heraus. Und wieso? Weil der damalige Diktator Park Chung-hee für Bildung seiner Bevölkerung und Wohlstand gesorgt hat. Wenn es eine große Mittelschicht gibt, dann wird diese auch für Änderungen sorgen.

    Kishore Mahbubani gilt als einer der renommiertesten Politikwissenschaftler Asiens. Von 2001 bis 2002 war der Sohn indischer Immigranten Präsident des Weltsicherheitsrats. Derzeit lehrt er an der National University of Singapore.

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