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Interview: Notärztechef Hossfeld: "Wir kommen schon in Schwierigkeiten, bevor das letzte Bett belegt ist"

Interview

Notärztechef Hossfeld: "Wir kommen schon in Schwierigkeiten, bevor das letzte Bett belegt ist"

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    Blick in einen Intensivtransportwagen mit Beatmungsgerät. Diese Wagen sind speziell ausgestattet, um Patienten zwischen Intensivstationen von Krankenhaus zu Krankenhaus zu verlegen.
    Blick in einen Intensivtransportwagen mit Beatmungsgerät. Diese Wagen sind speziell ausgestattet, um Patienten zwischen Intensivstationen von Krankenhaus zu Krankenhaus zu verlegen. Foto: Robert Michael, dpa

    Wie sehr gefährdet die aktuelle Lage auf den Intensivstationen derzeit Ihre Arbeit als Notarzt und die Versorgung von Notfallpatienten?

    Björn Hossfeld: Wir haben ein großes Problem mit den Kapazitäten auf den Intensivstationen. Aber kein Patient muss sich auch heute Sorgen machen, dass er im akuten Notfall keinen dringend benötigten Platz auf der Intensivstation bekommt. Ein normales Krankenhaus wird stets versuchen, seine Intensivstation nicht zu hundert Prozent auszulasten. Denn es passiert immer etwas: Es kommt ein Unfall, ein Herzinfarkt, ein Schlaganfall oder der Zustand eines Patienten auf der Normalstation verschlechtert sich. Man muss immer eine kleine Zahl von Intensivbetten freihalten, um auf Notfälle reagieren zu können. Das heißt aber auch, wir kommen schon in Schwierigkeiten, bevor das letzte Bett belegt ist. Die Kliniken verlegen derzeit tagsüber Intensivpatienten, auch damit sie abends Platz für Notfälle haben. Denn, wie gesagt, es passiert immer was.

    Was ist an Gerüchten dran, Rettungswagen müssten mit Herzinfarkts- oder Schlaganfallpatienten stundenlang herumfahren, bis sie ein Krankenhaus finden, das ihnen den oder die Patientin abnimmt?

    „Keiner stirbt, weil er keine Hilfe bekommt“: Der Anästhesist Björn Hossfeld ist unter anderem Leitender Notarzt des ADAC-Rettungshubschraubers „Christoph 22“ und spricht für Bayerns Notärztinnen und Notärzte.
    „Keiner stirbt, weil er keine Hilfe bekommt“: Der Anästhesist Björn Hossfeld ist unter anderem Leitender Notarzt des ADAC-Rettungshubschraubers „Christoph 22“ und spricht für Bayerns Notärztinnen und Notärzte. Foto: ADAC-Luftrettung

    Hossfeld: So etwas können wir nicht bestätigen. Solche akuten Fälle werden immer versorgt. Herzinfarkt, Schlaganfall oder schwerer Unfall: Für solche Notfallpatienten finden wir Notärzte immer eine Klinik, die sie uns zeitgerecht abnimmt. Die akute Versorgung in den Notfallaufnahmen oder im OP ist auch weiterhin gewährleistet. Den Flaschenhals bilden die Intensivbetten nach der Versorgung. Problematisch ist die Dauer der Belegung bei den Intensivbetten: Ein Herzinfarktpatient liegt üblicherweise zwei Tage auf Intensiv und kann dann auf die Kardiologie verlegt werden. Ein Covid-Patient blockiert ein Intensivbett aber sehr viel länger. Wir müssen sie deshalb inzwischen in ganz Bayern und auch außerhalb Bayerns verlegen.

    Wie sehr belasten die Verlegungen von Corona-Patienten Ihre Arbeit?

    Hossfeld: Bereits, wenn jemand aus Rosenheim in Bamberg behandelt werden muss, ist das eine Wahnsinnsdistanz für den kranken Patienten und seine Angehörigen. Aber auch für den Rettungsdienst, der die Transporte durchführt. Solche langen Strecken sind für alle Beteiligten anstrengend, binden Personal und Fahrzeuge, die hinterher noch eine Stunde lang desinfiziert werden müssen. Das heißt, auch die jetzige Situation belastet und fordert auch das Personal im Rettungsdienst ganz außerordentlich. Und noch dazu erleben wir seit langem Fälle, in denen Patienten nicht den Rettungsdienst rufen und zu spät in die Klinik kommen, weil sie Angst haben, sie könnten sich im Krankenhaus infizieren.

    Ist die Infektionsangst immer noch ein großes Phänomen?

    Hossfeld: Fast jeder im Rettungsdienst kann von solchen Fällen berichten. Viele Menschen finden das Krankenhaus gefährlicher als einen Supermarkt. Das ist ein gefährlicher Irrtum: In einem Krankenhaus werden die Corona-Hygienemaßnahmen am strengsten kontrolliert und praktiziert. Doch wir erleben Patienten, die zum Beispiel einen Herzinfarkt nicht ernstnehmen. Wir hatten den konkreten Fall, dass ein Patient mit leichter Atemnot in ein Krankenhaus kam und die Kollegen mit einem Labortest den Verdacht auf Herzinfarkt diagnostizierten. Sie wollten den Mann in die Uniklinik einweisen. Doch der Patient hat sich geweigert und dann zu Hause seiner Frau erzählt, die Ärzte hätten nichts Schlimmes festgestellt. Am nächsten Morgen war er tot. Als der Notarzt kam, waren alle Wiederbelebungsbemühungen erfolglos. Er hätte nur einen Herzkatheter in der Klinik gebraucht. Das ist kein Einzelfall. Diese gefährliche Angst vor Ansteckung im Krankenhaus sehen wir leider immer wieder.

    Können denn Corona-Patienten in der Notfallmedizin schnell isoliert werden?

    Hossfeld: Corona-Fälle und Patienten mit verdächtigen Symptomen, wie erhöhter Temperatur, werden im Krankenhaus natürlich sofort isoliert. Sie werden sofort auf Covid getestet, wenn sie in die Notaufnahme kommen. Die Ergebnisse der verlässlichen PCR-Tests liegen schon nach rund 30 Minuten vor. Es muss sich wirklich niemand Sorgen machen, dass er sich in einem Krankenhaus mit Corona anstecken kann.

    Aber müssen die Menschen in Bayern Angst haben, dass sie bei einem Autounfall oder Infarkt jetzt schlechter oder zu spät versorgt werden?

    Hossfeld: Nein, diese Angst ist unbegründet. Niemand sollte trotz der großen Probleme Panikmache betreiben: Keiner stirbt, weil er keine Hilfe bekommt. Die Frage kann aber sein, wohin kommt ein Patient, nachdem sein akutes Problem gelöst wurde. Es kommt mitunter zu weiten Fahrten, wenn es nicht um lebensbedrohliche oder zeitkritische Fälle geht. Die Rettungsdienste fahren zum Beispiel von Augsburg bis nach Kaufbeuren in Fällen, um die Uniklinik zu entlasten. Vor allem innerhalb der Kliniken kommt es zu belastenden Entscheidungen. Wenn zum Beispiel eine Hirntumor-Operation verschoben wird, weil man ein Intensivbett für Notfälle freihalten muss, kann sich jeder vorstellen, wie extrem belastend dies für den betroffenen Patienten ist, auch wenn es kein akutes Risiko bedeutet. Das ist die Form von Priorisierung oder Triage, wenn man es so nennen will, die tatsächlich jeden Tag stattfindet, weil die Kapazitäten vieler Krankenhäuser nicht mehr ausreichen. Jetzt eskaliert der Pflegemangel, den wir im Gesundheitswesen schon seit vielen Jahren beklagen. Auch für uns Ärzte ist das eine belastende Situation.

    Hochfrequentierte medizinische Einrichtungen sind derzeit speziell für Corona-Patienten ausgestattete Intensivstationen.. Unser Bild zeigt eine Hightech-Station des Klinikums Kempten.
    Hochfrequentierte medizinische Einrichtungen sind derzeit speziell für Corona-Patienten ausgestattete Intensivstationen.. Unser Bild zeigt eine Hightech-Station des Klinikums Kempten. Foto: Ralf Lienert

    Wie sehr wird dadurch auch Ihre Arbeit als Notarzt schwieriger?

    Hossfeld: Als Notärzte müssen wir und die Leitstellen viel mehr kommunizieren, in welche Kliniken wir Patienten bringen können. Oft fährt man nicht ins nächste, sondern ins übernächste Krankenhaus. Natürlich ist nicht jeder Notfall ein Fall für die Intensivstation, aber wir brauchen für die Untersuchungen zum Beispiel die Radiologie oder Herzkatheter. Wir merken natürlich auch als Notärzte, dass die Intensivbetten knapp sind. Nicht weil die technische Ausstattung fehlt, sondern das Pflegepersonal. Da besitzt eine Station vielleicht zwölf Betten, hat aber nur noch Pflegepersonal, um acht zu betreiben, und dann kommen mehr Corona-Patienten als je zuvor. Den Pflegekräften wird seit Jahren alles Mögliche versprochen, aber am Schluss gibt es nie Verbesserungen, sondern die Belastung steigt immer weiter. Ich kenne viele Pflegekräfte, die ihre Arbeitszeit auf 60 Prozent reduziert haben, weil sie es anders nicht mehr schaffen. Viele haben einen Partner, dessen Job besser bezahlt wird, und müssen gleichzeitig sehen, dass in ihrer Arbeit nichts besser wird.

    Haben Sie Furcht vor einer Triage? Dass Ärzte wie Sie entscheiden müssen, wer eine Versorgung bekommt und wer nicht?

    Hossfeld: Wir priorisieren bereits jeden Tag, wenn wir geplante Eingriffe verschieben. Aber zu einer Triage, dass jemand gar keine Therapie bekommt, wird es nach meiner Überzeugung in Deutschland nicht kommen. Zuvor werden wir in viel größeren Rahmen Patienten verlegen, nicht nur deutschlandweit, sondern vielleicht auch europaweit. Vergangenes Jahr haben wir Patienten aus Bergamo geholt, vor einer Woche hat uns Meran in Italien zwei Patienten aus Freilassing abgenommen. Das ist ein positiver Effekt von Europa.

    Würden Sie eine allgemeine Corona-Impfpflicht begrüßen?

    Hossfeld: Absolut. Ich bin bei Bundeswehreinsätzen in viele Länder gekommen. Wenn man Polio-Kranke als Bettler am Straßenrand gesehen hat, weiß man, dass meine Generation für die verpflichtende Schluckimpfung dankbar sein kann. Die vielen Corona-Kranken sind anders als damals in Bergamo für viele Deutsche heute unsichtbar. Ich bin auch aus wissenschaftlicher Überzeugung für die Impfpflicht. Eigentlich hätte man darüber nie diskutieren sollen, seitdem die Sicherheit der Impfstoffe feststeht. Ich bin der Auffassung, dass eine Regierung auch einen Auftrag zur Führung hat. Doch in der Pandemie wird nur verwaltet und gemanagt, aber nicht geführt. In den siebziger Jahren hat man gegen Proteste eine Gurtpflicht im Auto und eine Helmpflicht für Motorradfahrer beschlossen. Auch damals fühlten sich viele unverwundbar und in ihrer Freiheit eingeschränkt. Heute klingt das fast wie ein Witz. Aber es gab damals Politiker, die sich dieser Debatte gestellt und das Richtige durchgesetzt haben.

    Zur Person: Dr. Björn Hossfeld ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärztinnen und Notärzte. Der 52-Jährige ist Leitender Oberarzt des Notfallmedizinischen Zentrums am Bundeswehrkrankenhaus Ulm.

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