Herr Herrmann, nach dem Mord in Idar-Oberstein ist eine Debatte um die Querdenkerszene entbrannt. Wie schätzen Sie Gefahr der zunehmenden Radikalisierung und Gewaltbereitschaft dieser Corona-Gegner ein?
Joachim Herrmann: Der Großteil der bisherigen „Corona-Proteste“ in Bayern verlief gewaltfrei. Besonders bei Versammlungen mit hohen Teilnehmerzahlen kommt es auch in Bayern immer wieder zu Solidarisierungen gegen polizeiliche Maßnahmen in Form von Beschimpfungen bis hin zu vereinzelten körperlichen Übergriffen gegen Einsatzkräfte. Mehrfach haben wir in letzter Zeit außerdem Versuche erlebt, die Wahlkampfveranstaltungen verschiedener Parteien massiv zu stören.
Steigt die Gewaltbereitschaft?
Herrmann: Die Lage im Protestgeschehen verändert sich ständig, weshalb das aktuelle Gewaltpotential nur schwer zu prognostizieren ist. Es kommt immer wieder zu gefährlichen Aktionen der Querdenkerszene: So führte eine durch Holzlatten gespannte Plane über ein Bahngleis zu einer Notbremsung eines ICE auf einer Bahnstrecke in Unterfranken. Ich erinnere auch an die Aufrufe zu Blockadeaktionen auf Autobahnen in Bayern. Insgesamt zeigt sich hier leider die Tendenz, dass Teile der so genannten „Querdenker-Szene“ die Grenzen einer legitimen gesellschaftlichen Debatte über die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie überschreiten und Gewalt anwenden oder diese zumindest befürworten.
Welche Erkenntnisse gibt es aus der Beobachtung der Szene durch den bayerischen Verfassungsschutz?
Herrmann: Einzelne Akteure der Querdenkerszene werden beobachtet, weil sie dem Rechtsextremismus oder der Szene der so genannten „Reichsbürger und Selbstverwalter“ zugerechnet werden. Die Querdenkerszene in ihrer Gesamtheit in Bayern ist kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Aber dass Einzelpersonen oder Gruppierungen im Zuge der Corona-Pandemie zur Gewalt aufrufen und dass sie Stör- und Sabotagehandlungen gegen staatliche Infrastruktur planen oder durchführen, war für den Verfassungsschutz der Anlass, ein neues Sammelbeobachtungsobjekt "Sicherheitsgefährdende demokratiefeindliche Bestrebung" einzurichten. Es ist klar erkennbar, dass manche die Funktionsfähigkeit des Staates erheblich zu beeinträchtigen versuchen und dass auch Straftaten vorliegen. Das Sammel-Beobachtungsobjekt erfasst zum Beispiel Personen, die nachdrücklich und ernsthaft, beispielsweise vor dem Hintergrund der Verschwörungstheorie „QAnon“, zu gewalttätigem Widerstand gegen den aus ihrer Sicht illegitimen Staat aufrufen.
Welche Konsequenzen ergeben sich für die Politik und die Debatte in der Gesellschaft?
Herrmann: Wir dürfen diesen Entwicklungen unserer Gesellschaft nicht tatenlos zusehen. Wir werden nicht nur weiterhin entschieden klarmachen, dass Hass und Gewalt in unserem Land keinen Millimeter Platz haben. Wir werden auch mit aller Härte des Rechtstaats gegen alle vorgehen, die die Grenzen einer demokratischen Auseinandersetzung überschreiten.