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Interview: Ministerin Klöckner: "Lebensmittel zu horten, ist unsolidarisch"

Interview

Ministerin Klöckner: "Lebensmittel zu horten, ist unsolidarisch"

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    Bundesministerin Julia Klöckner warnt vor wirtschaftlichen Pleiten für Bauern in der Corona-Krise.
    Bundesministerin Julia Klöckner warnt vor wirtschaftlichen Pleiten für Bauern in der Corona-Krise. Foto: Frank Rumpenhorst, dpa

    Frau Ministerin, in der Krise ist auch die Lebensmittelversorgung in den Fokus gerückt. Ist das Essverhalten anders geworden?

    Julia Klöckner: Die Corona-Pandemie hat Auswirkungen. Es wird etwa wieder mehr mit frischen Produkten gekocht – das Bewusstsein dafür steigt, auch die Wertschätzung für unsere Lebensmittel. Das freut mich. Erste Ergebnisse unseres Ernährungsreports zeigen, dass fast 40 Prozent der Befragten angeben, dass die heimische Landwirtschaft jetzt in der Krise für sie an Bedeutung gewonnen hat. Ich sage: Unsere Bauern ernähren uns, sie sind systemrelevant!

    Das Auge isst ja mit. Und wenn eine verschrumpelte Kartoffel neben einer prallen liegt, greifen die meisten von uns zu letzterer. Das sind nur zwei Gründe von vielen, warum an sich noch brauchbare Lebensmittel in der Tonne landen. Wo setzt man an, um eine Verhaltensänderung zu erreichen?

    Klöckner: Das muss man langfristig angehen, Bewusstsein schaffen. Verhalten ändert sich nicht von heute auf morgen. Umso entscheidender ist Aufklärungsarbeit: Wenn ein Kilo Äpfel in der Tonne landen, dann werden damit auch 70 Liter Wasser verschwendet. So viel wird für die Produktion dieser Menge benötigt. Für ein Kilo Käse sind es gar 5000 Liter. In jedem Lebensmittel stecken wertvolle Ressourcen und die harte Arbeit unserer Bauern, die sie auch unter widrigen Bedingungen erzeugen. Da setzen wir mit unserer Kampagne „Zu gut für die Tonne“ an, informieren über Lebensmittel und geben Tipps, wie man sie am besten lagert. Und unsere Beste-Reste-App liefert Rezeptvorschläge für übrig gebliebene Produkte. Sie ist eine der erfolgreichsten Apps der Bundesregierung.

    Schade, dass Sie den „Zu gut für die Tonne“-Bundespreis wegen der Corona-Epidemie nicht wie geplant kommenden Donnerstag verleihen können. Gibt es schon einen neuen Termin?

    Klöckner: Ja, das ist schade. Die Verleihung war immer ein Highlight. Mir ist aber wichtig, dass wir trotzdem die herausragenden Projekte und das tolle Engagement ehren. Das geht ja zum Glück auch virtuell. Wir werden am 28. Mai die Gewinnerinnen und Gewinner online bekannt geben. Und bis dahin lohnt sich ein Blick auf den Twitter- oder Instagramkanal unseres Ministeriums. Da stellen wir die Nominierten und ihre Ideen vor.

    Jeder Verbraucher wirft pro Jahr im Schnitt 75 Kilogramm Lebensmittel weg. Von Handel und Gastronomie kommt die andere Hälfte der zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel, die jährlich in den Müll wandern. Ihr Ziel ist, das bis 2030 auf die Hälfte zu drücken. Wie zuversichtlich sind Sie?

    Klöckner: Mit unserer „Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung“ gehen wir das Problem umfassend an, entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Von den Landwirten, über die verarbeitenden Betriebe, den Groß- und Einzelhandel bis zur Gastronomie und den Privathaushalten. Das ist entscheidend. Das Problem lässt sich nicht allein an einem Punkt der Kette lösen. Die Gründe, warum Lebensmittel weggeworfen werden, sind jeweils unterschiedlich – entsprechend müssen es auch die Lösungen sein. Gemeinsam mit allen Sektoren werden wir uns deshalb erstmals auf konkrete Zielvorgaben einigen, die überprüfbar eingehalten werden müssen.

    Zum Beispiel?

    Klöckner: Landwirtschaft kann etwa noch bedarfsgerechter produzieren, die Gastronomie kann Portionsgrößen anpassen. Zudem haben wir bereits rechtliche Hürden zur Mitnahme von Speisen aus Restaurants abgebaut. Gemeinsam mit Partnern haben wir dafür die Beste-Reste-Box entwickelt. Auch digitale Lösungen helfen: Über eine digitale Plattform werden Tafeln und Unternehmen vernetzt, sodass die Logistik bei Lebensmittelspenden verbessert wird. Und ja, das Ziel ist klar formuliert: Bis zum Jahr 2030 wollen wir die Lebensmittelverschwendung so halbieren. Für mich ist das eine ökonomische, ökologische, aber auch ethische Verpflichtung. Weltweit hungern über 800 Millionen Menschen.

    Die Erfahrungen in der Corona-Krise schocken Sie nicht? Trotz geöffneter Supermärkte wurden tonnenweise Lebensmittel gehortet, vieles davon, so steht zu befürchten, wird unweigerlich auf den Müll wandern. Ärgert Sie das oder können Sie dieses Verhalten nachvollziehen?

    Klöckner: Natürlich kann ich die Verbraucher verstehen. Ein leeres Regal im Supermarkt, das ansonsten immer gefüllt ist, ruft bei Manchem Sorge hervor. Gerade deshalb war es gut, dass wir es früh zum Thema gemacht haben. Mir war wichtig, deutlich zu machen, dass genug für alle da ist. Lebensmittel zu horten ist unsolidarisch. Unsere Kampagne #KaufNurWasDuBrauchst hat viele sensibilisiert. Jetzt ist wichtig, dass Hamsterkäufe nicht dazu führen, dass Lebensmittel vom Kühlschrank und dem Vorratsraum in die Abfalltonne wandern. Die vielen gekauften Lebensmittel sollen nun auch verbraucht werden, solange sie genießbar sind. Oder man friert sie ein, auch bestehen Möglichkeiten, Lebensmittel zu spenden.

    Restaurants sind aber derzeit kaum eine Alternative?

    Klöckner: Dass die Restaurants im Moment geschlossen haben, ist eine schwierige Situation. Viele Inhaber und Betreiber fürchten um ihre wirtschaftliche Existenz. Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung hilft. Aber mir ist noch ein anderer Aspekt wichtig: Gastronomie ist ja auch Teil unserer Ernährungskultur, sie spiegelt regionale Besonderheiten und Identität wider. Und wenn ein Traditionsgasthaus schließt, dann hat das wirtschaftliche und soziale Konsequenzen, aber es geht eben auch Wissen verloren. Deshalb müssen wir jetzt alle gemeinsam schauen, wie wir diese schwierige Zeit überbrücken.

    Und wie?

    Klöckner: Zum Beispiel, indem wir die Angebote auch annehmen, die die Gaststätten jetzt machen. Also: Essen einfach mal nach Hause holen oder Gutscheine kaufen. So unterstützen wir die, die dort arbeiten. Wir tragen aber auch dazu bei, dass wir die Strukturen erhalten, die unsere Kultur und unser Land mit ausmachen. Ohne unsere vielfältige Esskultur wäre unser Land um einiges ärmer.

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