Frau Ministerin, Biontech hat mit optimistischen Meldungen über einen Corona-Impfstoff Schlagzeilen gemacht. Das Unternehmen gehört zu denen, die Ihr Ministerium mit einem Sonderprogramm fördert. Alles richtig gemacht, könnte man sagen?
Anja Karliczek: Wir freuen uns natürlich sehr über die positiven Studiendaten von Biontech und Pfizer. Diese ersten Ergebnisse machen Hoffnung und werden sich hoffentlich auch in den noch folgenden Analysen zur Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffs bestätigen. Ein Antrag auf Zulassung noch in diesem Jahr wäre ein enormer Erfolg. Mit dem Sonderprogramm zur Beschleunigung der Impfstoffentwicklung stärken wir gezielt diese Arbeiten von Biontech, aber auch zwei weitere Impfstoffentwicklungen von Curevac und IDT Biologika, um breiter aufgestellt zu sein und bei der Entwicklung eines Impfstoffs auf unterschiedliche Technologien zu setzen.
Hat sich angesichts der aktuellen Entwicklung an Ihrer Prognose etwas geändert, dass Impfstoffe im kommenden Sommer flächendeckend zur Verfügung stehen werden?
Karliczek: Vorerst nicht. Wenngleich die Daten von Biontech und Pfizer ermutigend sind, handelt es sich hierbei um Zwischenergebnisse, welche sich in weiteren Analysen und durch die Auswertung größerer Probandenzahlen noch bestätigen müssen. Der Weg bis hin zur Zulassung des Impfstoffs muss mit aller Sorgfalt Schritt für Schritt absolviert werden. Die Standards im Hinblick auf Wirksamkeit und Sicherheit werden im Zulassungsverfahren eingehalten. Die Zulassungsbehörden müssen die Anforderungen und die Sicherheit für die verschiedenen Alters- und Risikogruppen berücksichtigen. Es ist davon auszugehen, dass das Ziel, große Teile der Bevölkerung impfen zu können, nur schrittweise, in Abhängigkeit der verfügbaren Daten, erreicht werden kann. Dennoch, die Zuversicht steigt. Und sollte der Impfstoff bereits vor dem Sommer flächendeckend zur Verfügung stehen – umso besser.
Das Sonderprogramm Ihres Ministeriums soll auch die Ausweitung der Produktions- und Abfüllkapazitäten fördern, damit Impfstoffe schnell in ausreichender Zahl hergestellt werden können. Wie zufrieden sind Sie mit der bisherigen Entwicklung in diesem Bereich?
Karliczek: Die Ausweitung dieser Kapazitäten ist ein Prozess, den die geförderten Unternehmen jetzt schon angehen. Das ist sehr positiv. Biontech konnte beispielsweise einen Herstellungsstandort in Marburg übernehmen, um dort eine der größten Produktionsstätten für Boten-RNA in Europa aufzubauen. Das ist ein wichtiger Schritt, den man schon frühzeitig gehen konnte, um bei einer erfolgreichen Zulassung zeitnah auch ausreichende Mengen des Impfstoffs herstellen zu können. Die Produktion ist bereits angelaufen, in der Hoffnung, dass nach einer Zulassung damit schon gewisse Menge bevorratet sind.
Die EU-Kommission soll mit Biontech und Pfizer für Europa einen entsprechenden Abnahmevertrag ausgehandelt haben. Die Nachrichten überschlagen sich in diesen Tagen.
Karliczek: Auch das ist natürlich eine gute Nachricht, weil damit die Grundlage für eine erste Versorgung geschaffen wird. Angesichts der weltweiten Nachfrage war der Schritt auch wichtig, auch wenn die Zulassung noch aussteht. Der solidarische Ansatz in Europa ist richtig. Wir können angesichts der offenen Grenzen in Europa und unserem Werteverständnis die Pandemie nur gemeinsam überwinden.
Bei aller Freude über die Fortschritte in der Impfstoffforschung gibt es viele Menschen, die Angst vor einer Impfung haben - vor der Verabreichung des Impfstoffs an sich, aber vor allem vor dem Wirkstoff und möglichen Nebenwirkungen. Wie kann diesen Menschen die Furcht genommen werden?
Karliczek: Um dieser Angst zu begegnen, ist die kontinuierliche Information und Aufklärung der Bevölkerung zur Wirksamkeit der Impfung und ihrer Risiken wichtig. Wenn positive Ergebnisse zur Sicherheit und Wirksamkeit von Impfstoffen vorliegen, sollten diese auch bekannt gemacht werden. Das soll den Menschen dabei helfen, eine selbstbestimmte Impfentscheidung zu treffen. Eine Impfpflicht ist nicht vorgesehen.
Der Deutsche Ethikrat, die Ständige Impfkommission und die Leopoldina haben in einem gemeinsamen Positionspapier ihre Vorstellungen formuliert, wie der Zugang zu einem Covid-19-Impfstoff geregelt werden soll. Was halten Sie von den Vorschlägen?
Karliczek: Der von der Arbeitsgruppe Impfstoffverteilung aufgezeigte Handlungsrahmen bietet eine gute Grundlage für eine effektive, gerechte und faire Impfstoffverteilung. Die Covid-19-Pandemie darf nicht zulasten der Schwächsten in unserer Gesellschaft gehen. Deshalb müssen bei einer zukünftigen Impfstoffverteilung vor allem die Risikogruppen in der Bevölkerung sowie die Menschen in den Gesundheitsberufen einen schnellen Zugang zu Impfstoffen erhalten. Als Bundesbildungsministerin begrüße ich es sehr, dass die Arbeitsgruppe auch Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieherinnen und Erzieher auf der Vorschlagsliste mit aufgeführt hat. Die Lehrkräfte und Erzieher gewährleisten die Bildung unserer Kinder und nehmen damit eine Aufgabe wahr, die für unsere Gesellschaft von höchster Bedeutung ist. Sie sind in ihren Berufen auch erhöhten Infektionsrisiken ausgesetzt.
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