Frau Karliczek, die Schulen mussten kurz vor Weihnachten ein zweites Mal schließen. Das Umschalten auf Digital-Unterricht allerdings funktioniert kaum. Warum kommt Deutschland nach einem Dreivierteljahr Corona hier nur auf die Note mangelhaft?
Anja Karliczek: Wir sind in diesem Jahr in der Digitalisierung einen großen Schritt vorangekommen. Das Thema ist jetzt überall – in den Ländern, bei den Schulträgern, in den Schulen – ganz oben auf der Tagesordnung. Die Richtung stimmt, aber richtig ist auch: Wir sind bei der Digitalisierung der Schulen noch nicht dort, wo wir gerne wären. Natürlich liegt auch noch so manches im Argen. Dabei geht es übrigens nicht nur darum, Möglichkeiten für digitales Lehren und Lernen als Ersatz für Präsenzunterricht zu schaffen. Das wäre zu kurz gesprungen. Das langfristige Ziel ist, die vielen guten Möglichkeiten digital gestützten Lernens systematisch zu nutzen. Wir wollen bessere Bildung in Deutschland. Das ist die eigentliche, die große bildungspolitische Herausforderung – im neuen Jahr, aber auch in den Jahren darüber hinaus. Und zur Verbesserung der Bildung kann das digitale Lernen einen Beitrag leisten. Wir müssen dieses Jahrzehnt zu einer Dekade von Bildung, Forschung und Innovation machen.
Wo hakt es denn?
Karliczek: Für die Bildung, und insbesondere die Schulen, sind in Deutschland die Länder zuständig. Aber der Bund hat das getan, was er in diesem Rahmen tun konnte. Für die Unterstützung der Digitalisierung haben wir als Bund – übrigens lange vor Corona – den Digital-Pakt Schule aufgelegt. Mit 5 Milliarden Euro an Bundesmitteln! Diesen Rahmen haben wir in der Pandemie dann auch noch zügig erweitert. Innerhalb kürzester Zeit haben wir mit den Ländern drei Zusatzvereinbarungen verhandelt. Zwei davon sind in Kraft. Das betrifft die Anschaffung von digitalen Endgeräten für Schülerinnen und Schüler, die zu Hause nicht über ein entsprechendes Gerät verfügen, und die Beschäftigung von Administratoren, damit die neuen Systeme und Geräte in den Schulen auch gewartet werden können. Und zu guter Letzt geht es um die Beschaffung von Laptops für die Lehrkräfte. Hier läuft noch das übliche Unterschriftenprocedere. Für die Zusatzvereinbarungen haben wir jedes Mal 500 Millionen Euro draufgelegt, also insgesamt 1,5 Milliarden Euro. Das ist doch eine gewaltige Anstrengung, die zeigt: Bildung hat für diese Bundesregierung wirklich Priorität.
Ein Paukenschlag in 2020 war die doch recht zügige Entwicklung von Corona-Impfstoffen. Warum sollten die Menschen einem Impfstoff wie dem von Biontech und Pfizer vertrauen?
Karliczek: Der Impfstoff von Biontech ist in Phase III einfach sehr intensiv getestet worden – an 44.000 Probanden. Das ist eine sehr hohe Zahl. Normalerweise sind es etwa 5000 bis 10.000 Probanden. Es liegt so eine sehr umfangreiche Datenbasis zur Sicherheit des Impfstoffs vor. Diese ist größer als die Datenbasis bei vielen anderen Impfstoffen. In der großen Testgruppe waren auch schon ältere Menschen einbezogen. Das ist sonst auch nicht immer der Fall. Diese intensiven Tests sind übrigens durch das Impfstoff-Programm des Bildungsministeriums mit gefördert worden. 375 Millionen Euro hat Biontech erhalten – und jeder Cent hat sich da bezahlt gemacht. Und wir haben in Europa dann ein ordentliches Zulassungsverfahren durchgeführt. Die Europäische Arzneimittelagentur Ema ist sehr tief in die Daten eingestiegen – tiefer, als dies im Fall einer Notfallzulassung üblich ist. Das Versprechen, das immer Sicherheit vor Schnelligkeit gelautet hat, ist in den vergangenen Monaten eingelöst worden. Und: Nach der Zulassung wird der Impfstoff weiter streng beobachtet. Jede Ärztin, jeder Arzt ist beispielsweise aufgefordert, Nebenwirkungen zu melden. Das sind die Fakten. Wenn jemand etwas anderes verbreitet, sind das Unwahrheiten.
Befürchten Sie, dass im neuen Jahr Anti-Impfkampagnen geben wird?
Karliczek: Die Entscheidung, sich impfen zu lassen, bleibt jeder Einzelnen und jedem Einzelnen persönlich überlassen. Die Entscheidung ist freiwillig. In einem freien Land kann auch Jede und Jeder seine Meinung zum Impfen haben. Aber die Diskussion sollte sich an den wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren. Wer falsche Nachrichten verbreitet, treibt ein gefährliches Spiel. Wer dies tut, gefährdet viele andere. Unwahren Behauptungen über das Impfen muss in den nächsten Wochen entgegengetreten werden. Von Anfang an. Wir müssen über das Impfen intensiv aufklären. Dabei müssen alle Fragen der Bürgerinnen und Bürger rund um das Impfen beantwortet werden.
Warum ist jetzt so schnell gegangen?
Karliczek: Das ist in erster Linie eine herausragende wissenschaftliche Leistung. Sie baut auf eine jahrelange intensive Krebsforschung auf, die wir als Ministerium auch unterstützt haben. Auf diese Erkenntnisse konnten sich Herr Sahin und Frau Türeci stützen, als sie sich im Januar entschlossen, ihre neue Technologie für die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Covid19 zu nutzen. Sie und ihr Team haben dann aber Tag und Nacht gearbeitet. Wir haben es dem Unternehmen neben der Förderung der breiten klinischen Prüfung des Impfstoffkandidaten mit ermöglicht, schon während der Entwicklung Produktionsstätten aufzubauen. Die Entwicklung des Impfstoffs und der Produktionsaufbau konnten parallel erfolgen. Das gab es in dieser Form so noch nicht! Nur so ist es möglich, so kurz nach der Zulassung jetzt mit dem Impfen zu beginnen.
Sie haben immer betont, dass es keine Impfpflicht geben wird. Das ist auch Linie der Bundesregierung. Doch die Sorge über eine Impfpflicht durch die Hintertür wächst – wenn Gastwirte ihr Hausrecht wahrnehmen und Nicht-Geimpften den Zutritt verwehren.
Karliczek: Über diese Frage muss noch eingehend diskutiert werden. Das sagt ja auch etwa der saarländische Regierungschef Tobias Hans. In unserer Rechtsordnung kann grundsätzlich natürlich Jede und Jeder bestimmen, mit wem er zum Beispiel einen Vertrag abschließen will. Auf der anderen Seite muss man auch beachten, dass wir im gesellschaftlichen Leben Diskriminierungen ansonsten entgegenwirkten. Ich hoffe, dass sich auch der Ethikrat noch einmal mit der Frage beschäftigt. Der Ethikrat hat sich im September übrigens noch zum damaligen Zeitpunkt gegen die Einführung eines Immunitätsausweises ausgesprochen, der nachweisen könnte, wenn man ihn will, ob man nach einer Infektion schon immun ist. Das sind ähnliche Fragen.
Und was sagte der Ethikrat?
Karliczek: Der Ethikrat hat vor allem darauf verwiesen, dass wir momentan zu wenig über die Immunität nach einer überstandenen Infektion wissen. Ähnlich verhält es sich ja auch bei der Immunität nach einer möglichen Impfung. Es ist nicht abschließend geklärt, wie lange und wie die Impfstoffe wirken – ob sie vor einer Erkrankung schützen oder sogar in der Weise, dass der Geimpfte die Infektion auch nicht mehr weitergeben kann. Hier muss es noch Antworten geben. Erst dann kann man sich überhaupt der ethischen Frage zuwenden.
2021 muss der weltweite Klimaschutz vorankommen. Wasserstoff ist neuer Wunderstoff für Industriebetriebe, Fuhrunternehmer und Autofahrer, weil das Klima damit geschont werden kann. Sind die Erwartungen an das Wundermittel nicht viel zu groß?
Karliczek: Die Pandemie ist eine Riesenherausforderung, aber auf lange Sicht ist die Eindämmung des Klimawandels sicher mit Blick auf die nächsten Generationen eine noch größere Aufgabe. Die EU hat gerade ehrgeizigere Klimaziele herausgegeben – eine Minderung des CO2-Ausstoßes bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990. Das ist ein ambitioniertes, aber notwendiges Ziel. Damit wir dieses Ziel erreichen, müssen wir schnell auch in den Industriebereichen mit hohen CO2-Emissionen vorankommen – also in der Chemie- und Stahl-Branche. Grüner Wasserstoff, also Wasserstoff, der mithilfe von Elektrolyse und Erneuerbaren Energien wie Sonnen- und Windenergie erzeugt wird, ist hier einfach eine Schlüsseltechnologie. Er ermöglicht es uns, Produktionsprozesse klimafreundlich aufzustellen. Die Zeit ist heute reif für den Durchbruch des Grünen Wasserstoffs als CO2-Umwandler und ein Energieträger der Zukunft. Warum? Erneuerbare Energien zur Erzeugung von Grünem Wasserstoff sind heute deutlich kostengünstiger und wettbewerbsfähiger als noch vor zehn Jahren. Und das Wichtigste: Die Gesellschaften wollen stärker als jemals zuvor ein klimafreundliches Energiesystem – und dies fast weltweit.
Gehen wir als Deutschland diesmal also keinen Sonderweg?
Karliczek: Überhaupt nicht. Ganz viele Länder starten momentan in Richtung Wasserstoff-Wirtschaft. Überall ist das Potenzial des Grünen Wasserstoffs längst erkannt. Weltweit werden Wasserstoffstrategien veröffentlicht, Länder positionieren sich und intensivieren ihre Anstrengungen massiv – ich denke hier an Australien, Japan, Südkorea, aber auch Staaten in Afrika und im Nahen Osten. Deutschland und Europa müssen auch aus wirtschaftlichen Gründen hellwach sein und ihr Engagement noch verstärken. Ich bin mit dem Tempo in Deutschland noch nicht ganz zufrieden. Wir müssen noch mehr an einem Strang ziehen. Mit unserem Innovationsbeauftragten „Grüner Wasserstoff“, Stefan Kaufmann, will ich 2021 in der Förderung von Innovation für die Grüne Wasserstoffwirtschaft noch ein paar Schippen drauflegen. Das Jahr 2021 wird für mein Haus ein Jahr des Grünen Wasserstoffs werden. Ich kann Ihnen daher schon jetzt ankündigen, dass wir als Bildungsministerium in einem mehrere hundert Millionen umfassenden Programm groß angelegte Innovationsvorhaben auf den Weg bringen werden.
Noch ist seine Herstellung viel zu teuer und damit chancenlos gegen Öl, Gas und Strom als Energiequelle. Wie lange werden wir in Deutschland Wasserstoff staatlich fördern müssen, damit er eine Chance am Markt hat?
Karliczek: Wie gesagt: Die Erneuerbaren werden bei uns immer wettbewerbsfähiger und kostengünstiger. Aber die Bundesregierung und gerade auch mein Haus drehen ihrerseits an weiteren Schrauben. Neben den Fördermaßnahmen wird der zur Herstellung von Grünem Wasserstoff eingesetzte Storm von der EEG-Umlage befreit werden. Wir schauen auch ins Ausland. Der Grüne Wasserstoff ist ein sauberer Energieträger, den wir auch kostengünstig aus Regionen importieren können, wo mehr Wind weht und die Sonne intensiver scheint als bei uns. Eine amerikanische Investmentbank geht übrigens davon aus, dass Grüner Wasserstoff aus Wind schon 2023 zu gleichen Kosten zu haben ist wie sein Pendant aus fossilen Quellen.
Wasserstoff ist ein Bereich, der mit Milliarden Euro aus dem Konjunkturpaket bedacht wurde. Die Künstliche Intelligenz ein anderer. Wo können wir darüber hinaus im neuen Jahr mit finanziellen Paukenschlägen aus ihrem Ministerium rechnen?
Karliczek: Wir werden die restlichen Monate in dieser Wahlperiode nutzen, um für die Zukunft zentrale Innovationen voranzutreiben. Mein Ministerium wird bis zum Sommer zu einem langen Schlussspurt ansetzen. Ein paar Stichworte: Wir werden ein neues Förderprogramm für die Entwicklung eines Quantencomputers auflegen, der die Rechenleistung revolutionieren wird. Im Gesundheitsbereich werde ich gleich zu Beginn des Jahres ein Förderprogramm zur Medikamentenentwicklung gegen Covid19 vorstellen, das die Forschung hier noch einmal verstärken wird. Wir wollen auch die Digitalisierung der Hochschulen vorantreiben. Und wir werden in der Bildung versuchen, weitere neue Kapitel aufzuschlagen, damit in allen Bereichen und über die gesamte Bildungskette zeitgemäßes Lernen etabliert werden kann.
Zur Person: Anja Karliczek (CDU) ist seit 2018 Bundesministerin für Bildung und Forschung. Zuvor war sie Parlamentarischer Geschäftsführerin der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.
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