Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Interview: Meinungsfreiheit: "Wehe man sagt ein falsches Wort"

Interview

Meinungsfreiheit: "Wehe man sagt ein falsches Wort"

    • |
    Auch die Umbenennung des Augsburger Traditionshotels Drei Mohren schlug hohe Wellen.
    Auch die Umbenennung des Augsburger Traditionshotels Drei Mohren schlug hohe Wellen. Foto: Silvio Wyszengrad

    Herr Petersen, seit 1953 bereits misst Allensbach die Meinungsfreiheit in Deutschland – nie waren die Werte so schlecht wie diesmal. Handelt es sich dabei um kleine Verschiebungen oder ist das schon ein richtiger Einschnitt?

    Thomas Petersen: Es ist schon ein richtiger Einschnitt. Über Jahrzehnte hinweg haben immer deutliche Mehrheiten der Bevölkerung gesagt, man könne seine Meinung frei äußern. Wir beobachten schon seit einigen Jahren, dass der Wert zurückgeht. Aber jetzt sind es nur noch 45 Prozent, die das sagen. Das ist schon bemerkenswert.

    Gefragt wurde gerade erst im Mai und Juni 2021. Welche Rolle spielt eigentlich Corona für das Stimmungsbild?

    Petersen: Das kann man noch nicht sagen. Man kann darüber spekulieren, ob die aktuelle Diskussion über Corona und die Corona-Maßnahmen zu diesem Effekt beigetragen haben. Das ist denkbar, aber es ist zu früh, um das deutlich zu sagen. Wenn der Wert nach Corona wieder steigen würde, dann läge der Verdacht nahe. Klar ist aber, dass der Abwärtstrend schon länger anhält. Wenn Corona eine Rolle spielt, dann hat es diesen ohnehin bestehenden Trend nur verstärkt.

    Was hat Sie an den Ergebnissen am meisten überrascht?

    Petersen: Eben dieser gewaltige Sprung. Den Abwärtstrend kannte ich ja, aber dass das unter 50 Prozent rutscht, das hat mich überrascht.

    Wobei man immer dazu sagen muss, dass Sie nicht danach fragen, was man rein juristisch sagen darf, sondern nach der gefühlten Meinungsfreiheit.

    Petersen: Es geht nicht um die grundgesetzlich verankerte Meinungsfreiheit. Man kann, glaube ich, annehmen, dass die übergroße Mehrheit, die sagt, man kann seine Meinung nicht mehr frei äußern, nicht meint, dass irgendwelche Gesetze ihnen das verbieten. Sondern es geht um die gesellschaftlichen Sanktionen, die drohen, wenn man sich in irgendeiner Weise äußert, die als nicht zeitgemäß oder sonst irgendwie unmoralisch gilt.

    "Es geht nicht um die gesetzlich verankerte Meinungsfreiheit"

    Wo gab es denn die gravierendsten Abweichungen zu den Vorjahren?

    Petersen: Wir haben eine ganze Reihe Fragen dazu gestellt, bei welchen Themen man vorsichtig sein muss. Da sieht man, dass das massiv zugenommen hat. Das betrifft beispielsweise den Islam, aber auch die Emanzipation. Das sind Themen, die vor 15 Jahren noch von wenigen als heikel empfunden wurden. Da merkt man, dass das gesellschaftliche Klima sich wandelt. Da wird stärker Druck ausgeübt, eine stärkere soziale Kontrolle. Es gibt mehr Intoleranz. Wehe man sagt ein falsches Wort. Wer als Politiker heute sagt, er wollte als Kind immer Indianerhäuptling werden, der muss sich heute kniefällig entschuldigen. Das wäre vor Jahren nicht vorstellbar gewesen. Und das engt natürlich ein. Da geht es um ganz alltägliche, harmlose Sachen, nicht irgendwelche wüsten Beschimpfungen. Das halte ich für einen gesellschaftlichen Missstand: Wenn sich mehr als die Hälfte der Bevölkerung ängstlich umschaut, um ja nichts Falsches zu sagen.

    Die Angst, etwas Falsches zu sagen

    Sie haben einen guten Teil Ihrer Umfrage der politischen Korrektheit gewidmet – war das auch in den vergangenen Umfragen der Fall?

    Petersen: Das haben wir auch in der Vergangenheit zum Teil gehabt. Aber das ist ja ein Phänomen, das zugenommen hat. In den 90er-Jahren wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen, danach zu fragen. Wir haben vor ein paar Jahren schon mal gefragt, ob man die bekannte Süßigkeit noch Mohrenkopf nennen darf. Damals wie heute sagt eine riesige Mehrheit: Klar kann man das sagen. Da merken Sie, wie sehr sich die Mediendebatte von dem unterscheidet, was außerhalb der öffentlichen Diskussion gedacht wird.

    Die Ergebnisse sind gerade bei der politisch korrekten Sprache sehr eindeutig ablehnend – quer durch alle Berufs- und Altersgruppen. Den einzigen Unterschied sieht man, wenn nach Parteien sortiert wird: Die Grünen-Anhänger haben deutlich mehr Verständnis für das Abstrafen dieser Sprechweise.

    Petersen: Was nicht unbedingt verwunderlich ist. Wenn ich selbst der Meinung bin, man darf nicht mehr Mohrenkopf sagen, kann ich auch nichts falsch machen.

    Driftet da in unserer Gesellschaft etwas auseinander?

    Petersen: Ja, ich glaube, wir haben ein massives Problem mit einer intellektuellen Debatte, die kaum noch Berührungspunkte hat zum wirklichen Leben. Das betrifft ganz massiv die Universitäten. Es betrifft aber auch bestimmte journalistische Kreise, nicht alle, aber maßgebliche. Ich glaube, da gibt es die Tendenz, sich untereinander auszutauschen und sich gegenseitig zu bestätigen, wie progressiv man doch ist. Dass die Mehrheit der Menschen anders denkt, wird dabei vergessen. Wenn das so weitergeht, dann könnte die Intellektuellenwelt auch wieder anfangen, untereinander Latein zu sprechen, wie im 16. Jahrhundert. Das wäre dann auch nicht wesentlich unverständlicher für Menschen außerhalb.

    "Dann könnte die Intellektuellenwelt auch wieder Latein sprechen"

    Was bedeutet das eigentlich, wenn jemand die Aussage nicht schlimm findet, dass ein Fußballer sein letztes Tor wohl geschossen habe, als er noch „bei den Sushis“ spielte? Ist er deswegen tendenziell ein Rassist?

    Petersen: Dass der Fußball-Reporter dafür entlassen wird, halten 86 Prozent für übertrieben. Also denjenigen möchte ich sehen, der behauptet, dass 86 Prozent der Deutschen Rassisten seien. Nein, das ist Quatsch. Da macht jemand mal einen lockeren Spruch und schon fallen die Heuchler über einen her. Das ist genau das Problem .

    Der Allensbach-Forscher Thomas Petersen warnt davor, dass eine Mehrheit schweigt.
    Der Allensbach-Forscher Thomas Petersen warnt davor, dass eine Mehrheit schweigt. Foto: Allensbach

    Die Aussage „Man kann seine Meinung nicht mehr sagen“ bekommt man auch von Rechten immer wieder zu hören. Wobei da auch von Meinungsdiktatur die Rede ist. Auch uns Zeitungsleuten wird immer wieder vorgeworfen, wir wären von der Regierung gesteuert.

    Petersen: Das geht aber deutlich über das Empfinden, nicht sagen zu können, was man denkt, hinaus. Das ist die klassische rhetorische Masche von Radikalen aller Art, dass sie Wahres mit Wirrem vermischen und auf die Weise versuchen akzeptabel zu machen. Aber bloß weil auch AfD-Leute beklagen, sie könnten ihre Meinung nicht sagen, ist es nicht automatisch falsch. Das zeigt eigentlich, wie schädlich diese Political Correctness ist, weil sie solchen Leuten noch Andockmöglichkeiten gibt. Da setzen die nämlich an. Die sagen: Jetzt wollen sie euch schon das Zigeunerschnitzel verbieten. Eine Gesellschaft, die zu intolerant wird, bietet diesen Leuten Gelegenheit, die Gesellschaft zu schädigen.

    Ist eigentlich politische Korrektheit eine Frage des Alters oder des Geschlechts? Gibt es da signifikante Unterschiede?

    Petersen: Nein, vermutlich weil dahinter ein zutiefst menschlicher Vorgang steckt. Es gibt in Gesellschaften immer Konflikte. Auch in Punkten, wo man sich nicht einig wird, muss ein Weg gefunden werden, dass man miteinander zurechtkommt. Deshalb wird ein Konsens gefunden. Die Allensbach-Gründerin Elisabeth Noelle-Neumann hat dafür den Begriff der Schweigespirale erfunden. Wenn ich eine Meinung vertrete, von der ich weiß, dass das allgemein nicht akzeptiert wird, neige ich dazu, zu verstummen. Das ist für die Betroffenen erstmal unerfreulich, aber es ist ein natürlicher Mechanismus, der dazu dient, die Gesellschaft zusammenzuhalten. Wenn das aber dazu führt, dass die Mehrheit verstummt, weil eine Minderheit fälschlicherweise den Eindruck erweckt, sie sei im Besitz der herrschenden Meinung, dann ist das ein Problem.

    Wird in zehn Jahren die Zustimmung zur Umbenennung der Mohrenstraße deutlich größer sein, weil sich die Haltung durchgesetzt hat?

    Petersen: Es ist möglich, ich halte es aber nicht für wahrscheinlich. Man muss es abwarten.

    Sehen Sie politische Gefahren darin, dass viele Menschen sich nicht mehr trauen, ihre Meinung zu sagen?

    Petersen: Wenn die öffentliche Diskussion sich derart loslöst von der Art und Weise, wie die Leute am Gartenzaun sprechen, dann ist das ein Problem. Wir klagen oft darüber, wir hätten abgehobene Politiker. Ich glaube das nicht. Aber was wir wirklich haben, ist eine wirklich abgehobene intellektuelle Klasse. Das geht auf Dauer nicht gut.

    Zur Person: Thomas Petersen, Jahrgang 1968, ist Projektleiter am Institut für Demoskopie Allensbach und lehrt an der TU Dresden.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden