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Interview: Manfred Weber: „Jetzt ist wieder mehr politische Führung gefragt“

Interview

Manfred Weber: „Jetzt ist wieder mehr politische Führung gefragt“

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    Verlässlichkeit und Konsequenz beeindruckten EVP-Fraktionschef Manfred Weber an Kanzlerin Merkel.
    Verlässlichkeit und Konsequenz beeindruckten EVP-Fraktionschef Manfred Weber an Kanzlerin Merkel. Foto: Nicolas Armer, dpa

    Herr Weber, nach der Bundestagswahl im Herbst beginnt eine neue Ära: Deutschland, aber auch Europa ohne Angela Merkel im Kanzleramt. Was ist ihr Erbe auf europäischer Ebene?

    Manfred Weber: Sie hat Deutschland, aber auch Europa durch fundamentalste Krisen geführt. Die Eurokrise hätte fast den Abgrund dargestellt für unsere Währung und die EU. Dann gab es natürlich die Migrationsherausforderungen und jetzt Corona. Sie hat hervorragendes Krisenmanagement bewiesen. Wenn man beschreibt, was von Angela Merkel bleibt, wird man sich daran erinnern, dass sie die Interessen von allen ernst nimmt, dass sie analysiert und dann auf Faktenbasis zusammenführt. Sie ist eine Managerin im Hintergrund. Diese Art, Politik zu machen, also nicht die Schlagzeile zu suchen, sondern verlässlich Brücken zu bauen, macht ihre Ära aus und hat Europa in den letzten 16 Jahren gutgetan.

    Können Sie sich an einen Merkel-Moment erinnern, der besonders einprägsam war?

    Weber: Das ist schwierig, weil einem so viele Sachen einfallen. Wenn man den Merkel-Moment sucht, würde ich eher sagen, dass es viele gibt, weil sie immer sehr verlässlich ihren Stil praktiziert hat. Sie ging über Jahre hinweg ihren Weg. Manche würden ihn als langweilig beschreiben, ich nenne ihn verlässlich und konsequent.

    Merkels Ansehen erscheint manchmal widersprüchlich. In Deutschland wird ihr oft vorgeworfen, Probleme aufzuschieben und Krisen auszusitzen. Dagegen wird sie in Europa und vielen Teilen der Welt als starke und durchsetzungswillige Führungsfigur betrachtet. Wie passt das zusammen?

    Weber: Wenn man sich die Umfragen anschaut und mit den Bürgern spricht, dann schätzt die Mehrheit in Deutschland ihre Art ebenfalls sehr – und das nach so langer Zeit als Kanzlerin. Auf der anderen Seite treten wir jetzt in eine neue Phase ein. Wir hatten 16 Jahre, in denen die Stabilität gewährleistet wurde und oftmals das Krisenmanagement im Mittelpunkt stand. Wir kommen aber nun in eine Phase, in der wieder mehr politische Führung gefragt ist. Wir haben Corona erlebt, wir sehen die Bilder in Afghanistan und was das geopolitisch bedeutet. Und es gibt die große Thematik China. In welcher Welt werden wir morgen leben? Welche Werte werden eine Rolle spielen? Nichts ist sicher. Weder Wohlstand noch das europäische Lebensmodell ist automatisch gewährleistet. Die Zeit Angela Merkel war gut. Aber wir brauchen jetzt jemanden im Kanzleramt, der vorangehen will, beispielsweise gemeinsam mit Emmanuel Macron. Armin Laschet als überzeugter Europäer will das. Damit steht er europapolitisch eher in der Tradition von Helmut Kohl und Konrad Adenauer und vielleicht ein bisschen weniger in der von Angela Merkel.

    Bundeskanzlerin Angela Merkel wird ihr Amt in absehbarer Zeit abgeben. Manfred Weber bewundert Merkel, hofft aber auf "jemandem im Kanzleramt", der  stärkere Impulse für Europa liefert.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel wird ihr Amt in absehbarer Zeit abgeben. Manfred Weber bewundert Merkel, hofft aber auf "jemandem im Kanzleramt", der stärkere Impulse für Europa liefert. Foto: Thilo Schmuelgen, Reuters Pool, dpa

    Was braucht es denn konkret von Merkels Nachfolgerin oder Nachfolger?

    Weber: Vor allem Mut und den Willen, Themen jetzt anzupacken. Das Wichtigste ist eindeutig die Außen- und Sicherheitspolitik. Europa muss selbstbewusst und eigenständig auftreten können. Wenn wir als Europäer nicht in der Lage sind, zumindest temporär den Kabuler Flughafen zu sichern, zeigt das die ganze Tragik unserer fehlenden Fähigkeiten. Die müssen wir aufbauen. Wir brauchen eine eigenständige Eingreiftruppe. Beim Cyberkrieg, also bei den modernen Formen von Verteidigung, wäre es eine Frage der Effizienz, dass wir die besten Programmierer an einen Tisch setzen, die unser Internet verteidigen sollen. Das zweite Thema ist: Wenn wir endlich das politische Gewicht dieses starken Kontinents Europa, des wirtschaftsstärksten Raums der Welt, auf die Waagschale bringen wollen, dann müssen wir die Einstimmigkeit in der Außenpolitik abschaffen. Das ist mit dem heutigen Vertrag möglich. Deshalb geht es jetzt um Führung, ums Machen.

    Davon wird seit vielen Jahren geredet, passiert ist wenig.

    Weber: Afghanistan ist ein sehr lauter Weckruf. Jeder schaut verzweifelt auf die Bilder im Fernsehen. Meine Botschaft dabei ist: Wir müssen angesichts der Niederlage des Westens in Afghanistan zukünftig bei Auslandseinsätzen realistischer werden, was wir erreichen können. Nation-Building und unsere Werte zu implementieren ist ein ambitioniertes Ziel – und das dauert länger. Das nehmen wir in Afghanistan als Lektion mit. Gleichzeitig werbe ich dafür, dass wir uns nicht aus der Verantwortung zurückziehen, sondern engagiert bleiben in der Welt. Wenn Europa sich einigelt nach diesem Afghanistan-Einsatz, dann wird das Vakuum von China und Russland gefüllt und wir werden in einer Welt aufwachen, die nicht mehr unsere ist.

    Beschädigte Fahrzeuge und Flieger und viel Schrott - der chaotische Rückzug der Nato aus Afghanistan liefert symbolbeladene Bilder für das Fiasko des Westens am Hindukusch.  +
    Beschädigte Fahrzeuge und Flieger und viel Schrott - der chaotische Rückzug der Nato aus Afghanistan liefert symbolbeladene Bilder für das Fiasko des Westens am Hindukusch. + Foto: AP, dpa

    Was fordern Sie?

    Weber: Der richtige Weg geht über spezifische europäische Einsatztruppen, die wir für die Aufgaben unserer Zeit solidarisch miteinander tragen. Die Zusammenarbeit der nationalen Strukturen ist wertvoll, aber es funktioniert so nicht ausreichend. Wir erleben etwa jeden Tag Angriffe auf die digitale Infrastruktur. Ich plädiere dafür, dass wir Schritt für Schritt auch europäische Strukturen aufbauen. Es geht um die Frage: Bleibt Europa weiter schwach, nicht handlungsfähig, nicht einsatzfähig oder sind wir willens und in der Lage, für die westliche Gemeinschaft einen eigenständigen Beitrag zu leisten? Unsere Nachbarschaft ist in Unruhe und brennt teilweise sogar. Deswegen geht es schon aus Eigeninteresse darum, dass Europa gemeinsam Verantwortung übernimmt.

    Sie kündigten vor einigen Wochen an, im September über Ihre weiteren Pläne zu entscheiden. Wollen Sie uns Ihre Entscheidung mitteilen?

    Weber: Zunächst hat die EVP-Fraktion einen Führungsanspruch und wir werden auf jeden Fall einen starken Kandidaten für das Amt des Präsidenten des Europäischen Parlaments für die Wahlen im Januar vorschlagen. Das war die Vereinbarung zwischen den großen Parlamentsfraktionen und den Staats- und Regierungschefs 2019 und darauf pochen wir.

    Wird der Kandidat Manfred Weber heißen?

    Weber: Wir werden unseren Vorschlag in Ruhe diskutieren. Ich bitte um Verständnis, dass ich als Erstes mit meinen Fraktionskollegen über meinen persönlichen Weg und meine persönlichen Schwerpunkte sprechen will. Das wird diese Woche passieren. Aber die Vereinbarung ist eindeutig. Die Europäische Volkspartei wird in der zweiten Hälfte des Mandats den Präsidenten des Parlaments stellen. Und wir vertrauen auf die Verlässlichkeit der Sozialdemokraten, dass das umgesetzt wird.

    Nun wird auch das Amt des EVP-Vorsitzenden frei, weil der Amtsinhaber, Polens Ex-Regierungschef Donald Tusk, nach Hause zurückkehrt. Erlauben Sie uns das kleine Gedankenspiel. Sie bleiben Vorsitzender der Fraktion und werden zugleich Chef der EVP-Parteienfamilie. Worauf würden Sie die Schwerpunkte legen?

    Weber: Ich habe großen Respekt vor Donald Tusk und dass er sich für Polen, ein sehr wichtiges Land für die EU, entschieden hat. Wir leben in fundamental historischen Wendezeiten. Unsere Aufgabe ist es, zu definieren, was Christdemokratie in dieser neuen Zeit ausmacht. Und da wünsche ich mir, dass wir bei diesen Herausforderungen klare Botschaften entwickeln. Eine der großen Fragen jenseits der Außen- und Sicherheitspolitik wird sein, ob es uns gelingt, von den massiven Schulden, die wir in der Corona-Krise gemacht haben, wieder herunterzukommen. Wenn wir das nicht schaffen, dann steht uns die nächste Währungskrise bevor. Es darf die damalige Situation von Griechenland nicht in ganz großer Dimension geben. Es sind Weichenstellungen, wo wir Christdemokraten zwischen bürgerlichen und linken Positionen Unterschiede herausarbeiten, unser Profil schärfen müssen, aber auch die Themen beschreiben müssen, die uns ausmachen.

    Zur Person: Manfred Weber, 49, wurde in der niederbayerischen Stadt Rottenburg an der Laaber geboren. Der CSU-Politiker ist seit 2014 Fraktionsvorsitzender der konservativen EVP im Europäischen Parlament.

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