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Interview: Lambsdorff: "Von vorneherein falsch war der Einsatz nicht"

Interview

Lambsdorff: "Von vorneherein falsch war der Einsatz nicht"

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    Das Ende einer Mission: Soldaten am vergangenen Freitag bei einem Appell auf dem niedersächsischen Stützpunkt Wunstorf nach ihrer Rückkehr aus Afghanistan.
    Das Ende einer Mission: Soldaten am vergangenen Freitag bei einem Appell auf dem niedersächsischen Stützpunkt Wunstorf nach ihrer Rückkehr aus Afghanistan. Foto: Daniel Reinhardt, dpa

    Wann ist der Einsatz der Nato in Afghanistan aus dem Ruder gelaufen? Oder war er von vorneherein falsch?

    Alexander Graf Lambsdorff: Von vorneherein falsch war der Einsatz ganz sicher nicht. Man darf ja nicht vergessen, dass die schrecklichen Anschläge vom 11. September 2001 der Ausgangspunkt der Nato-Mission waren. Diese Anschläge hat die Terrororganisation Al-Kaida von Afghanistan aus geplant – dort wurde sie von den Taliban beherbergt. Also war der internationale Militäreinsatz gerechtfertigt. Die Bundeswehr hat dort gute und insbesondere in den ersten Jahren auch erfolgreiche Arbeit geleistet.

    Sehen Sie einen Punkt, von dem an die Mission in die falsche Richtung lief?

    Lambsdorff: Einen fixen Punkt sehe ich nicht. Es handelte sich eher um einen schleichenden Prozess. Die politische Zielsetzung, aus Afghanistan einen modernen Staat zu machen, hatte immer weniger mit der Realität zu tun. Das mag auch daran liegen, dass sich die Öffentlichkeit in westlichen Ländern manchmal damit schwertut, ein eng begrenztes Mandat, das klare sicherheitspolitische Ziele verfolgt, über längere Zeit zu unterstützen.

    Es fiel der Politik immer schwerer, den Deutschen zu erklären, dass es auch um militärische Ziele ging?

    Lambsdorff: Ich meine, dass in der Öffentlichkeit Dinge in den Vordergrund traten, die auch ihre Berechtigung hatten, wie beispielsweise die Bildung von Mädchen und jungen Frauen. Das ist ja völlig in Ordnung. Nur, dies war nicht der Kern der Mission. Der Kern war sicherheitspolitisch. Der Graben zwischen dem militärischen Auftrag und der politischen Zielsetzung wurde immer breiter. So etwas wie eine Schweiz am Hindukusch zu schaffen, war schlicht nicht erreichbar.

    Der frühere US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, hat beklagt, dass schon seit Jahren nicht mehr klar gewesen sei, ob es sich bei dem Einsatz um ein Anti-Terror-Unternehmen handelte oder ob es um „Nation Building“ – also Entwicklung sowie Demokratisierung – gehe? Hat er recht?

    Alexander Graf Lambsdorff fordert die Einrichtung einer Enquête-Kommission, um den Auslandseinsatz exakt und tiefgehend zu analysieren.
    Alexander Graf Lambsdorff fordert die Einrichtung einer Enquête-Kommission, um den Auslandseinsatz exakt und tiefgehend zu analysieren. Foto: Ulrich Wagner

    Lambsdorff: Da kann ich eine kurze Antwort geben: Ja.

    Kornblum ging noch weiter: Er hat am Montag im „Deutschlandfunk“ der damaligen rot-grünen Koalition in Berlin vorgeworfen, für diese falsche Ausrichtung der Mission verantwortlich gewesen zu sein.

    Lambsdorff: Das kann ich nicht ausschließen. Aber ich will jetzt auch nicht viele Jahre später mit dem Finger auf frühere Regierungen zeigen. Das sollte eine mit Experten besetzte Enquête-Kommission analysieren. Dort muss der gesamte Einsatz in den letzten 20 Jahren in der Tiefe untersucht werden. Das sollte nicht als Teil einer parteipolitischen Auseinandersetzung geschehen, sondern als Teil eines Prozesses, um künftige Einsätze besser vorzubereiten.

    Also kein Untersuchungsausschuss?

    Lambsdorff: Einen Untersuchungsausschuss brauchen wir für den Ablauf der Evakuierung aus Afghanistan. Das ist eine klare Forderung der FDP. Leider versucht die SPD, jetzt Nebelkerzen zu werfen, um Außenminister Heiko Maas vor berechtigter Kritik zu schützen.

    Als ein großes Problem erwies sich, dass man den offensichtlich korrupten Regierungen in Kabul zu oft freie Hand ließ. Sehen Sie das auch so?

    Lambsdorff: Das ist so. Die Unbeliebtheit der Regierungen in der Bevölkerung – erst unter Karzai, dann Ghani – war ein offenes Geheimnis. Das hatte natürlich mit der Korruption zu tun. Es ist nicht gelungen, faire Wahlen durchzuführen, aus der eine Regierung mit breiterer Akzeptanz hätte hervorgehen können. Das war für den gesamten politischen Prozess eine große Hypothek.

    Auch in die Region um Kundus, die die Bundeswehr kontrollieren sollte, wurde aus Kabul ein ortsfremder Regionalchef geschickt, der die Einwohner schikanierte und Schutzgeld erpresste. Die Deutschen konnten nicht eingreifen und verloren Sympathien in der Bevölkerung.

    Ein Feldjäger der Bundeswehr steht in Kundus mit seinem Maschinengewehr in der Sonne. Das Bild entstand im Jahr 2007 - von Krieg sprach zu dieser Zeit in Deutschland noch kaum jemand.
    Ein Feldjäger der Bundeswehr steht in Kundus mit seinem Maschinengewehr in der Sonne. Das Bild entstand im Jahr 2007 - von Krieg sprach zu dieser Zeit in Deutschland noch kaum jemand. Foto: Johannes Eisele, dpa

    Lambsdorff: Auch solche Entscheidungen gingen auf das Konto der Regierung in Kabul. Dennoch würde ich sagen, dass man in Afghanistan ein positives Bild von der Rolle hat, die die Bundeswehr dort spielte.

    Hat nicht der von Oberst Klein angeforderte US-Luftangriff auf einen Tanklaster einen Teil dieses positiven Bildes zerstört?

    Lambsdorff: Ja, wobei die Geschichte um Oberst Klein sich im Nachhinein als massiv medial aufgebauscht erwiesen hat. Das wird ja durch die aktuelle Kritik von zwei Richtern des Bundesgerichtshofs an der öffentlichen Darstellung des Vorfalls eindrücklich bestätigt.

    War die Bundeswehr ausreichend auf die Mentalität und die heterogene ethische und religiöse Zusammensetzung des Landes mit verschiedenen Stämmen vorbereitet?

    Lambsdorff: Alle Staaten waren 2001 schlecht vorbereitet. Schließlich war der Einsatz eine schnelle Reaktion auf die Anschläge 9/11. In Deutschland war kaum jemand gut informiert über die Lage in Afghanistan.

    Klar dürfte sein, dass aus dem Desaster Konsequenzen für die Zukunft gezogen werden müssen. Als heikle Mission der Bundeswehr gilt der Einsatz in Mali. Droht auch dort ein Fiasko?

    Lambsdorff: Die Situation in Mali ist in vielen Punkten völlig anders. Die Parallele allerdings ist, dass wir aufpassen müssen, dass wir dort nicht – wie in Afghanistan geschehen – unrealistische Zielsetzungen verfolgen. Was Auslandseinsätze in der Zukunft betrifft, sollten die tieferen Erkenntnisse der angesprochenen Enquête-Kommission die Grundlage bilden.

    Wäre es nicht politisches Harakiri für einen Kanzler oder eine Kanzlerin, in Zukunft Auslandseinsätze durchzusetzen?

    Lambsdorff: Die Zahlen geben diese Analyse nicht her. Die Gruppe von Menschen, die sagen, es war richtig, sich in Afghanistan zu engagieren, ist ähnlich groß wie diejenige, die das skeptisch sieht. Es ist eine Aufgabe der politischen Führung, gut zu begründen, warum ein Einsatz notwendig ist.

    Alleine dürfte Europa oder gar Deutschland kaum in der Lage sein, größere Einsätze zu stemmen.

    Lambsdorff: Die Situation auf dem Kabuler Flughafen hat erneut gezeigt, dass wir militärisch von den USA abhängig sind, auch wenn es um die Rettung deutscher Staatsangehöriger geht. Deutschland ist Teil der Nato . Wenn wir sicherheitspolitisch alleine dastehen würden – also ohne Nato –, hätten wir keine Diskussion über zwei Prozent vom Bruttosozialprodukt für die Bundeswehr, sondern über drei bis vier Prozent. Wenn die SPD schon bei einem Anteil von 1,3 Prozent jammert, vergessen Herr Scholz oder Frau Esken, dass die Bundesrepublik Deutschland zu Zeiten ihres Helden Willy Brandt deutlich mehr als drei Prozent für die Bundeswehr aufgewendet hat.

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