Frau Kramp-Karrenbauer, Corona trifft auch ganz konkret die CDU. Sie mussten Ihren Parteitag verschieben. Einer der Kandidaten für Ihre Nachfolge, Friedrich Merz, vermutet dahinter eine Verschwörung des Establishments. Seinem Konkurrenten Armin Laschet solle mehr Zeit gegeben werden. Ist das wahr?
Annegret Kramp-Karrenbauer: Die drei Kandidaten haben sich mittlerweile auf das geeinigt, was der Bundesvorstand beschlossen hat – nämlich, dass man sich Mitte Dezember noch mal zusammensetzt, um dann zu sagen, wie man den Parteitag am 16. Januar durchführt. Doch die Partei hat bei dieser Diskussion gespürt, dass aus diesem fairen Rennen ein ruinöser Wettbewerb geworden ist. Und dieser ruinöse Wettbewerb fällt zuallererst auf die Kandidaten selbst zurück, aber auch auf die CDU. Deshalb habe ich immer davor gewarnt.
Aber wer ist schuld an diesem ruinösen Wettbewerb? Friedrich Merz, der eine Verschwörung sieht? Oder Armin Laschet, der angeblich hinter den Kulissen für eine Verschiebung sorgt?
Kramp-Karrenbauer: Es war die gesamte Debatte und die gegenseitigen Vorwürfe, die im Raum standen. Das hat keinem gutgetan, und das hat vor allem der CDU nicht gutgetan. Ich erwarte von jemandem, der Vorsitzender werden will, dass er sein gesamtes Handeln in das Interesse dieser Partei stellt. Auch dann schon, wenn er erst Kandidat ist.
Glauben Sie, dass jemand wie Friedrich Merz sich nach einer Niederlage wieder in den Dienst der Partei stellt?
Kramp-Karrenbauer: Das ist die klare Erwartung der Mitglieder. Wir befinden uns im Januar schon im Wahljahr. Und dabei geht es nicht nur um die Bundestagswahl, sondern auch um wichtige Landtagswahlen etwa in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Die Parteimitglieder wissen sehr genau, dass das keine einfachen Wahlkämpfe werden und die CDU geschlossen stehen muss. Das heißt, sie erwarten dann von denjenigen, die das Rennen um den Vorsitz nicht für sich entscheiden, dass sie den Sieger unterstützen. Das habe ich den Kandidaten auch genauso deutlich mitgegeben.
In Bayern gibt es einen inoffiziellen vierten Kandidaten, der zwar nicht CDU-Chef werden wird, aber Kanzlerkandidat werden könnte.
Kramp-Karrenbauer: Für die CDU ist vollkommen klar: Derjenige, der sich jetzt um den Parteivorsitz bewirbt, ist der potenzielle Kanzlerkandidat. Es war schon immer so, dass CDU und CSU sich abgestimmt haben, ob der Kandidat der CDU auch der gemeinsame Kandidat der Unionsparteien ist – das muss dann zwischen dem neuen CDU-Vorsitzenden und dem CSU-Chef geklärt werden, und es wird einvernehmlich geklärt werden.
Wie schnell muss die Entscheidung fallen?
Kramp-Karrenbauer: Da gibt es in der Tat sehr unterschiedliche Meinungen. Sowohl in der CSU als auch in der CDU. Das müssen der neue CDU-Vorsitzende und Markus Söder besprechen. Ich bin mir ganz sicher, sie werden zu einem guten Vorschlag kommen.
Wenn man sich die Aussagen von Friedrich Merz anschaut, bekommt man den Eindruck, die CDU möchte zurück in die Zeit vor Angela Merkel – man könnte auch sagen: zurück zu den konservativen Wurzeln. Wie altmodisch kann ein neuer Vorsitzender sein?
Kramp-Karrenbauer: Die CDU ist eine Partei, die ein ganz breites Spektrum unter ihrem Dach vereint. Das ist notwendig, weil sie Volkspartei ist und Volkspartei bleiben will. Das alles zusammenzuhalten, ist eine große Herausforderung. Die CDU hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sehr stark weiterentwickelt. Sie ist heute eine andere Partei, als sie das vor zehn oder 20 Jahren war. Auch, weil wir heute eine andere Gesellschaft haben. Wichtig ist, dass sich unsere Werte und Überzeugungen in der Politik widerspiegeln. Und wir müssen Antworten geben auf die Fragen aus dem Jahr 2021 und nicht auf die aus den 80er Jahren. Wir haben in der CDU viele Verantwortliche, die das sicherstellen – auch in Zukunft.
Während der Bundestag vergangene Woche über die Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes beraten hat, mussten draußen Wasserwerfer gegen Demonstranten eingesetzt werden. Das Gesetz wurde mit dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten gleichgesetzt. Verstehen Sie die Kritik, die damit zum Ausdruck gebracht wird?
Kramp-Karrenbauer: Sie bestürzt mich vor allem. Bei aller berechtigten Debatte, die man ja führen kann, muss ich doch sagen: Der Begriff Ermächtigungsgesetz hat in Deutschland einen ganz besonderen Klang. Das war das Gesetz, das es ermöglicht hat, dass die Nationalsozialisten die Demokratie außer Kraft gesetzt haben. Heute geht es um eine Grundlage, die klärt, wo das Parlament eingreift und wo die Regierung schnell handeln kann. Das ist eine vollkommen andere Situation. Wenn es dann Kräfte im Bundestag gibt, die den Parlamentarismus, wie wir ihn kennen, außer Kraft setzen wollen, dann ist das etwas Ungeheuerliches. Das hat mit berechtigter Auseinandersetzung in der Sache nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun.
Kann sich jemand, der sachliche Kritik an den Corona-Maßnahmen übt, an diesen Demonstrationen überhaupt noch beteiligen?
Kramp-Karrenbauer: Jeder kann sein Recht auf freie Meinungsäußerung und sein Demonstrationsrecht wahrnehmen – unter den Bedingungen, die gerade herrschen. Dazu gehören das Tragen einer Maske und der Abstand zu anderen. Das entbindet aber nicht davon, sich selbst der Frage zu stellen, ob es das Anliegen wert ist, in einer Demonstration mitzulaufen, in der auch Neonazis zu finden sind. Die nutzen den Protest für ihre ganz eigene Agenda. Das ist etwas, das jeder für sich selbst in eigener Verantwortung entscheiden muss. Aus meiner Sicht kann diese Entscheidung immer auch so ausfallen, dass man sich nicht leichtfertig zum Instrument von Neonazis oder anderen extremen und gewaltbereiten Kräften in dieser Republik machen lässt.
Die Gewalt ist die eine Sache, die Rhetorik die andere. Entgleitet uns die Debatte über die Corona-Maßnahmen?
Kramp-Karrenbauer: Dass diese Diskussion schwerer wird, war zu erwarten. Im Frühjahr hatten wir eine andere Situation. Damals haben viele Menschen den Lockdown als einen Akt von Solidarität erlebt. Sie haben sich virtuell gegenseitig gestützt, weil man die Hoffnung hatte, mit dem Sommer klingt Corona ab. Jetzt sind wir in der zweiten Welle, die zum Teil härter ist als das, was wir im Frühjahr erlebt haben. Aber man muss sich auch immer wieder vor Augen führen, dass es in allererster Linie um Menschenleben und um Gesundheit geht. Ich frage jetzt einmal umgekehrt: Was verlangen wir den Menschen eigentlich ab? Wir verlangen, dass sie eine Maske tragen, dass sie Abstand halten, dass sie sich an die Hygieneregeln halten. Und wir erwarten, dass sie auch in eigener Verantwortung die sozialen Kontakte beschränken. Ich weiß, wie hart das ist. Ich habe drei Kinder, eines wohnt noch zu Hause. Dass wir uns nicht mehr alle an den Wochenenden treffen können, schmerzt mich sehr. Aber wenn ich mir überlege, dass eines meiner Kinder schwer an Corona erkrankt und ich mit schuld bin, weil ich nicht diszipliniert war, dann ertrage ich das nicht. Es sind harte Maßnahmen, aber wir müssen sie ergreifen.
Kommen in den nächsten Wochen noch einmal härtere Maßnahmen auf die Deutschen zu?
Kramp-Karrenbauer: Wir müssen schauen, wie die Maßnahmen bis jetzt gewirkt haben. Aber eines ist klar: Wir alle haben gesagt, dass wir möchten, dass die Menschen ein gemeinsames Weihnachtsfest feiern können. Und deshalb müssen wir uns überlegen, was wir vor Weihnachten an Maßnahmen ergreifen müssen, damit dies möglich ist. Wir werden es nächste Woche gemeinsam besprechen müssen. Je disziplinierter jeder Einzelne ist, desto schneller gehen die Zahlen runter und desto weniger hart müssen wir eingreifen.
Glauben Sie denn, dass wir wirklich Weihnachten feiern werden?
Kramp-Karrenbauer: Es ist der Wunsch. Ich weiß, wie wichtig persönliche Nähe ist. Und es gibt keine andere Zeit im Jahr, zu der der Wunsch danach so groß ist. Deshalb ist Weihnachten ein Ziel, für das es sich lohnt, vorher auch Maßnahmen zu ergreifen. Aber wie gesagt: Es hängt davon ab, wie sich die Zahlen entwickeln.
Sie sind mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron aneinandergeraten. Sie setzen auf eine Sicherheitspolitik unter Führung der USA, er hält das für einen Fehler. Man musste den Eindruck gewinnen, dass Sie Macron für ziemlich naiv halten. Stimmt der Eindruck?
Kramp-Karrenbauer: Nein, er stimmt natürlich nicht. Als Saarländerin bin ich eine sehr frankophile und frankofone Person. Ich kenne Frankreich sehr gut, liebe es auch heiß und innig. Zu großen Teilen sind Emmanuel Macron und ich uns auch einig darin, dass wir Europäer mehr tun müssen für unsere eigene Sicherheit und Verteidigung. Aber tun wir das, damit wir ein besseres Verhältnis auf Augenhöhe in der Nato mit den Vereinigten Staaten haben? Oder tun wir das, damit wir am Ende ohne Amerika und ohne die Nato zurechtkommen? Ich bin der tiefen Überzeugung: Wir werden auch in der Zukunft die Nato und gute amerikanische Verbündete brauchen.
Hat Europa nicht immer große Visionen gebraucht? Die offenen Grenzen, der Euro ... Warum entwickeln wir nicht die Vision einer europäischen Armee und unterstützen damit Macron?
Kramp-Karrenbauer: Das ist eine Vision, die wir teilen. Ob das am Ende eine europäische Armee ist oder eine Armee der Europäer, darüber kann man streiten. Aber dass wir gemeinsam als Europäer in den Einsatz gehen wollen, dass wir gemeinsam als Europäer auch Verteidigungssysteme für die Zukunft entwickeln wollen, das ist vollkommen unbestritten. An dieser Vision halten wir fest, und an dieser Vision arbeiten wir. Und ich finde, in der Debatte kommt auch zum Ausdruck, was Frankreich und was Deutschland immer schon verbunden hat: visionäres Denken, aber auch der Pragmatismus, der in der Umsetzung dazugehört. Für eine gute Politik braucht man beides.
US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, den Abzug der US-Truppen aus dem Irak und aus Afghanistan zu beschleunigen. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Kramp-Karrenbauer: Wir haben beim Einsatz in Afghanistan immer ganz klar gesagt: Wir sind im Verbund der Nato gemeinsam in diesen Einsatz gegangen, um dafür zu sorgen, dass Afghanistan nie mehr ein sicherer Hafen für Terroristen sein kann. Wir haben in diesem Einsatz einen hohen Zoll bezahlt, viele Bundeswehrsoldaten sind gestorben. Wir haben aber auch gesagt: Wir wollen aus diesem Einsatz wieder gemeinsam herausgehen. Grundlage dafür ist eine verbesserte Situation. Dafür laufen gerade Friedensverhandlungen – die aber brauchen noch Zeit. Und für diese Zeit brauchen wir auch eine gemeinsame militärische Präsenz. Deshalb sind wir auf die gute Zusammenarbeit mit den Amerikanern angewiesen. Es kann nicht ohne Auswirkungen bleiben, wenn Amerika seine Truppen reduziert. Die Reduzierung, die jetzt vorgenommen werden soll, hat in den Planungen der Nato aber schon länger eine Rolle gespielt. Wir können immer dafür sorgen, dass unsere Soldaten ihren Dienst sicher verrichten – aber im Notfall das Land auch sicher verlassen können.
Nato-Generalsekretär Stoltenberg – sonst ein eher kühler Mensch – wirkte sehr angespannt, als die Nachricht vom beschleunigten Abzug der US-Truppen bekannt wurde. Er warnt vor einem möglichen Terror-Kalifat in Afghanistan. Teilen Sie die Befürchtung?
Kramp-Karrenbauer: Ja, ich teile diese Einschätzung. Und deshalb hat die Nato auch mit den Amerikanern festgelegt, dass ein Abzug aus Afghanistan an Konditionen geknüpft ist. Die Erfolge, die wir erreicht haben, müssen abgesichert werden. Die Friedensverhandlungen laufen gerade, sie sind sehr schwierig, sie kommen auch nicht so voran, wie wir uns das gewünscht hätten. Deshalb sind aus unserer Sicht und aus Sicht der Nato-Partner die Bedingungen für einen Abzug noch nicht erfüllt. Ich weiß, dass auch in den Vereinigten Staaten nicht nur viele führende Militärs, sondern auch führende Republikaner Präsident Donald Trump vor diesen Problemen gewarnt haben.
Im Weißen Haus wurde noch über etwas anderes nachgedacht, nämlich einen militärischen Schlag gegen den Iran. Wie groß ist diese Gefahr?
Kramp-Karrenbauer: Wir müssen bis zum Rest der Amtszeit von Donald Trump damit leben, dass noch Entscheidungen getroffen werden, die sich nicht von selbst erklären und die in unseren Augen an der einen oder anderen Stelle irrational sind. Man muss sich da auch selbst ein wenig schützen und sich nicht verrückt machen lassen. Alle, die in den USA Verantwortung tragen, wissen sicherlich sehr genau, welche hohen Risiken mit einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Iran verbunden wären.
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Hier lesen Sie unsere Zusammenfassung: AKK will sich von Donald Trump nicht verrückt machen lassen
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