Herr Lauterbach, Sie und andere Experten fordern, den Impfabstand zwischen den beiden Dosen bei Biontech und Moderna deutlich zu erhöhen. Was wäre der Vorteil?
Karl Lauterbach: Wir sollten uns jetzt voll auf die Erstimpfungen konzentrieren. Ich plädiere dafür, den Abstand bei Biontech und Moderna von sechs auf zwölf Wochen zu erhöhen, damit wir jetzt schnell deutlich mehr Menschen eine Erstimpfung geben können, um sie angesichts der stark steigenden Infektionszahlen vor schweren Krankheitsverläufen zu schützen. Studienergebnisse aus Australien weisen darauf hin, dass der Schutz der mRNA-Impfstoffe auch zwischen der sechsten und der zwölften Woche nach der Impfung so stark ausgeprägt ist, dass bei einer Corona-Infektion das Risiko schwerer Verläufe mit Klinikaufenthalten oder tödlichem Ausgang extrem gering ist.
Wie sehr könnte man dadurch die Geschwindigkeit der Impfungen erhöhen, damit die Menschen schneller geschützt werden?
Lauterbach: Mit der Strategie der Erstimpfung können wir das Impftempo in Deutschland erheblich beschleunigen. Wenn wir die zweite Impfung verzögern, stehen uns deutlich mehr Dosen für die Erstimpfungen zur Verfügung. Wir könnten bis zum 1. Juli jedem Impfwilligen das Angebot einer Erstimpfung machen, da jetzt im zweiten Quartal die Impfstofflieferungen deutlich ansteigen. Bis Juli könnten über 60 Millionen Menschen in Deutschland die Erstimpfung haben. Damit könnten wir deutlich entspannter in den Sommer gehen, auch wenn es uns jetzt nicht davor bewahrt, dass wir jetzt einen dritten harten Lockdown brauchen.
Wäre die Aussicht auf eine baldige Erstimpfung auch eine Perspektive für die Menschen angesichts der Lockdowns?
Lauterbach: Es geht nicht nur um eine Perspektive für die Menschen, sondern vor allem darum, jetzt in der dritten Welle tausende Todesfälle durch die viel gefährlichere Virusvariante B.1.1.7 zu vermeiden. Durch eine Umstellung der Impfstrategie auf Erstimpfungen könnte man laut unseren Modellrechnungen in den kommenden Monaten weit über 10.000 Menschenleben retten und sehr viele Menschen vor Langzeitfolgen schwerer Corona-Erkrankungen schützen.
Was unterscheidet Ihren geforderten harten Lockdown von dem Zustand, in dem sich das Land bereits seit Monaten befindet?
Lauterbach: Wir brauchen jetzt noch einmal einen letzten harten Lockdown. Härter als bislang bedeutet Ausgangssperren am Abend und Schulunterricht nur für die Schüler, die zweimal in der Woche getestet werden und dazu bereit sind. Zusätzlich plädiere ich für eine Homeoffice-Pflicht, wo dies möglich ist, und eine Testpflicht in den Betrieben.
Worin ist Ihre Hoffnung begründet, dass dies der letzte Lockdown wäre?
Lauterbach: Wenn wir jetzt unsere Strategie wechseln und auf möglichst viele Erstimpfungen ausrichten, wird kein vierter Lockdown mehr nötig sein. Wir sehen in Großbritannien, dass eine stärkere Streckung der Impfintervalle einen Erfolg im Kampf gegen die Virusvariante B.1.1.7 gebracht hat, was vermiedene Todesfälle angeht. Der Schutz nach der ersten Impfung ist bei Biontech und Moderna nach zwei Wochen sehr hoch. Beim AstraZeneca-Impfstoff setzt der Schutz nach drei Wochen ein. Es geht jetzt darum, Menschenleben zu retten und die von vielen unterschätzen Langzeitfolgen der Krankheit zu verhindern.
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