Herr Stauss, Sie haben als Werbeexperte viele Wahlkämpfe vor allem für die SPD in Bund und Land bestritten. Sie haben einmal gesagt, Sie lieben und Sie hassen Wahlkampf. Warum?
Frank Stauss: Was ich liebe, ist die Energie und die Spannung, die darin steckt. Es ist auch die Liebe zur Demokratie. Allein dieses Zusteuern auf den einen Tag hin, an dem wirklich jeder Mann, jede Frau, ob arm oder reich, jung oder alt, eine Stimme hat. Der Tag, vor dem die Mächtigen zittern. Ich liebe die Herausforderung, als Wahlkämpfer genau auf diesen einen Tag zuzuarbeiten, an dem mit dem 18 Uhr-Gongschlag alles vorbei ist. Was man hasst, ist genau dasselbe: Es gibt so viele Faktoren, die in so einen Wahlkampf reinspielen, dass man tatsächlich bis 18 Uhr, nicht in Gottes Hand auf hoher See, aber in Wählers Hand ist. Am Ende kann man nichts mehr machen und nur noch zuschauen.
Sie haben zuletzt mit Ihrer Agentur die Kampagne für den SPD-Wahlkampf von Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz im März gemanagt. Wie sehr erschwert derzeit Corona die Wahlkämpfe?
Stauss: Die Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg fanden auf einem Höhepunkt der Pandemie statt. Wir haben damals früher mit Werbung wie Postwurfsendungen begonnen, weil man davon ausgehen konnte, dass sehr viel mehr Menschen Briefwahl machen und sich früher entscheiden. Aber inzwischen ist die Pandemie in einem anderen Stadium. In den Parteizentralen hat man zwar sicher auch die Delta-Variante im Blick, wenn man Richtung 26. September schaut. Aber ich erwarte auch einen klassischen Wahlkampf mit Publikum. Vielleicht ist es eine Chance, dass sich die Menschen sogar mehr auf klassische Wahlkampfveranstaltungen freuen als sonst, um mal wieder Politiker live zu erleben.
Wie wichtig sind Wahlplakate für den Wahlkampf?
Wie erschwert es den Wahlkampf in der heißen Schlussphase, wenn viele Wähler schon mehrere Wochen vorher per Briefwahl abstimmen?
Stauss: Klassischerweise bevorzugen jene Menschen Briefwahl, die sich in ihrer Wahlentscheidung schon relativ sicher sind, unabhängig davon, wie die letzten Wochen des Wahlkampfs verlaufen. Auf der anderen Seite dürfte es nun sehr viele geben, die sich die Option bis zum Schluss offenhalten wollen, wen sie am Ende wählen. Denn bei dieser Wahl gibt es sehr viele Unbekannte, zum ersten Mal in der Geschichte Deutschlands wird es eine Wahl ohne Amtsinhaber. Deshalb wird es auch in der heißen Wahlkampfphase noch sehr viele Unentschlossene geben, um deren Stimme die Parteien bis zum Schluss kämpfen müssen.
Wie viele Prozent kann eine Partei mit einem sehr guten Wahlkampf, guten Slogans und einem überzeugenden Gesamtkonzept herausholen?
Stauss: Wie viel gekaufte Kommunikation letztendlich in Prozent bewirkt, kann man nicht in Zahlen ausdrücken. Wir wissen aber aus der Forschung, dass Plakate und Wahlkampf sehr viel damit zu tun haben, wie stark die Parteien Menschen zum Wählen mobilisieren können. Aber man darf einen Wahlkampf nicht auf Dinge wie Plakate reduzieren. Das geht immer einher mit Debatten um Inhalte und natürlich um Personen. Wir haben schon dramatische Verschiebungen bei Bundestagswahlen erlebt. 2005 ist die Union mit 49 Prozent in den Umfragen in den Wahlkampf gestartet und drei Monate später bei 35 Prozent gelandet. Noch zehn Tage vor der Wahl hatten CDU und CSU einen Vorsprung von sieben Prozent, am Wahlsonntag lagen sie dann nur einen Prozentpunkt vor der SPD.
Union könnte auch als stärkste Partei in die Opposition
Diese Wahlkampagne gilt bis heute als Ihr Meisterstück. Sie haben sie damals bei der Werbeagentur Butter geleitet und einen fulminanten Endspurt organisiert, bei dem Gerhard Schröder auf zahllosen Liveauftritten auf Marktplätzen um sein Comeback kämpfte ...
Stauss: Das war ein Spektakel, das wir seitdem so nicht mehr erlebt haben. Wir hatten kurz vor der Wahl Auftritte vor 12.000 Menschen in Frankfurt oder vor 10.000 in Berlin auf dem Gendarmenmarkt. Das ist heute unvorstellbar.
Gibt es vielleicht doch einen Amtsbonus, etwa für die seit 16 Jahren regierende Union oder für Olaf Scholz als SPD-Vizekanzler?
Stauss: Viel spricht dafür, dass die Union stärkste Partei wird. CDU und CSU haben mit Abstand die stärkste Stammwählerschaft. Wenn sie die an die Urne bringt, ist die Union schon bei 30 Prozent. Grüne und SPD müssten sich enorm steigern, um in diese Region zu kommen. CDU-Chef Armin Laschet und Olaf Scholz versuchen, sich als Träger der Fackel zu präsentieren. Sie sagen frei nach Gerhard Schröder, mit uns wird nicht alles anders, aber vieles besser. Auf der anderen Seite steht Annalena Baerbock und sagt, alles wird anders. Aber es kommt nicht darauf an, wer stärkste Partei wird, sondern wer am Ende eine Koalition schmiedet. Sonst wäre Helmut Schmidt nie Kanzler geworden. Vielleicht redet auch diesmal die FDP ein Wörtchen mit, wer die nächste Regierung führt, und es kommt zu einem Dreierbündnis. Ich halte es auch nicht für völlig ausgeschlossen, dass die SPD noch auf Platz zwei landet.
Welche Rolle Medienberater wie Tanit Koch spielen
Welche Rolle spielen die Medienberater im Wahlkampf? CDU-Chef Armin Laschet hat sich die frühere Bild-Chefredakteurin Tanit Koch an seine Seite geholt ...
Stauss: Es ist ein Ausweis von Stärke, wenn Führungspersönlichkeiten Rat einholen und nicht meinen, sie könnten alles selbst am besten. Ein Bundestagswahlkampf ist eine Ebene, auf der man sich unbedingt Rat holen sollte, auch wenn man nicht alles machen muss, was Berater empfehlen. Es ist wichtig, sich diesen Rat auch von jemandem aus der Medienlandschaft zu holen, der die Mechanismen der Verknappung, Verkürzung und der Zuspitzung gut kennt. Ob diese Beratung aber sehr ausschlaggebend ist, da habe ich meine Zweifel.
Es wird wohl ein TV-Triell statt eines TV-Duells geben. Was bedeutet das für die Kandidaten?
Stauss: Ein Duell ist eine völlig andere Situation als eine Dreierrunde. In Österreich hatte man deshalb im Wahlkampf die Kandidaten in Zweiergesprächen in unterschiedlichen Konstellationen miteinander konfrontiert. Grundsätzlich ist es wichtig, solche TV-Sendungen vorher zu üben. Man kann sich da nicht einfach hinstellen und denken, so etwas hat man schon tausendmal gemacht. Diese Sendungen werden für einen wichtigen Teil der Wähler die letzte Entscheidungshilfe sein. Das bedeutet, dass man diese Situation intensiv mit sehr guten Gegenpartnern eine ganze Sendung komplett durchspielen muss. Man muss wissen, wie geht man auf Argumente ein. Oder auch banal, wie sieht man gerade aus, wenn man gerade nicht spricht, aber die Kamera das Gesicht zeigt. Augenroller kommen zum Beispiel schlecht rüber. Aber das ist kein Hexenwerk, das kann man üben.
Online-Wahlkampf in Sozialen Medien spielt wichtige Rolle
Können Parteien hier mit einer klugen Kampagne in den sozialen Medien extra Zugewinne erzielen?
Stauss: Es gibt nicht einen Online- und einen Offline-Wahlkampf, sondern nur einen Wahlkampf. Das kann man nicht mehr trennen. Es gibt unterschiedliche Stärken und Schwächen. Ein schnelllebiges Medium wie Twitter hilft, Statements schnell abzusetzen, die dann auch in der Presse landen. Auch die Aufgeregtheit der Debatten kommt sehr häufig über die sozialen Medien. Man muss erkennen, wie schnell zum Beispiel ein dummer Versprecher aufgebauscht wird und in den klassischen Medien landet. Um zu reagieren, muss man dieses Handwerk beherrschen. Und natürlich sind dort Kreise wie Verschwörungstheoretiker oder Querdenker unterwegs, die den Einfallkanal für Wahlmanipulation darstellen. Sie sind am meisten anfällig für den Versuch Russlands, Destabilisierung und Zwist zu säen. Das werden wir auch in Deutschland erleben.
Trauen Sie Annalena Baerbock oder Olaf Scholz ein ähnliches Comeback wie damals Gerhard Schröder zu?
Stauss: Die Deutschen sind bei Wahlen kein sehr wechselwilliges Volk. Deswegen sehen viele ihnen unbekannte Kandidatinnen und Kandidaten kritisch. Bei Annalena Baerbock schlagen die Zweifel noch mehr durch, denn neben eher kleineren Fehlern, die sie begangen hat, verfügt sie über keinerlei Regierungserfahrung. Ich halte es für nahezu unmöglich, dass sie in den verbleibenden Wochen das erschütterte Vertrauen wiederherstellen kann. Sie befindet sich in einem gnadenlosen Umfeld in eisigen Höhen. Olaf Scholz müsste wiederum das Feld der Kanzlerkandidaten mit weiterem Abstand anführen, um drei bis fünf Prozentpunkte zusätzlich für die SPD holen zu können. Dann geht noch etwas. Die größte Chance für beide wäre natürlich, wenn auf Seite der Union schwere Fehler gemacht würden.
Zur Person: Der Werbeprofi Frank Stauss (56) von der Agentur „Richel, Stauss“ entwarf seit den Neunzigerjahren rund 30 Wahlkampagnen für SPD und die österreichische ÖVP.