Herr Payar, hat Sie der gewaltsame Tod des Generals Soleimani überrascht?
Farhad Payar: Ja. Ich konnte es nicht glauben. Wer Soleimani kennt, für den ist es unfassbar, dass die US-Militärs einen Mann in seiner Position so leicht auslöschen konnten. Ich habe den Eindruck, dass der General unvorsichtig geworden ist, weil er sich durch die zögerliche Haltung der USA bei früheren Provokationen des Iran – wie dem Angriff auf saudische Ölförderanlagen oder die Attacken auf Schiffe in der Straße von Hormus – in Sicherheit wähnte.
Kann es nicht sein, dass US-Präsident Donald Trump den Befehl zum Angriff aus einer impulsiven Stimmung heraus gegeben hat?
Payar: Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube nicht, dass Trump eine solch weitreichende Entscheidung ohne seine Militärexperten trifft. Diese Leute kennen den Iran sehr gut und waren genau im Bilde über die wichtige Rolle von Soleimani. Ich gehe davon aus, dass das Pentagon der Ansicht war, dass die Zeit jetzt reif gewesen ist, für eine solche Aktion.
Fürchten Sie einen offenen Krieg zwischen den USA und dem Iran?
Payar: Wenn ich allein von der Interessenlage der beiden Mächte ausgehe, dann ist ein solcher Krieg unvorstellbar
Warum?
Payar: Weil der Iran sich so einen Krieg einfach nicht leisten kann. Das Land ist wirtschaftlich am Boden. Und selbst der Luftwaffe fehlen die Ersatzteile. Der Außenminister Dschawad Sarif hat im Dezember 2013 zu Studenten an der Universität in Teheran gesagt: ,Glaubt doch nicht, dass die USA Angst vor uns haben. Eine einzige gezielte Bombe würde ausreichen, um unser ganzes Verteidigungssystem zu zerstören.’ Dafür wurde Sarif im Iran hart kritisiert und gemaßregelt. Klar ist aber, dass die Militärs die Schwächen der Streitkräfte kennen. Die Gefahr ist, dass ein Krieg durch eine einzelne, unbedachte Aktion ausgelöst wird. Stellen Sie sich beispielsweise vor, dass Milizen in Afghanistan, die den iranischen Revolutionsgarden unterstehen, dort einen amerikanischen Minister erschießen.
Das iranische Staatsoberhaupt, Ayatollah Ali Chamenei, und andere im Iran haben Rache für die gezielte Tötung Soleimanis geschworen. Wie ernst nehmen Sie diese Drohungen? Welche Optionen hat Teheran?
Payar: Reaktionen werden kommen, ganz sicher. In welchem Umfang, kann man noch nicht sagen. Die USA unterhalten ja dutzende Stützpunkte in einer Region, in der der Iran großen Einfluss hat. Das macht sie verletzbar. Auch die neuen Drohungen von Trump werden Teheran nicht daran hindern, dosierte Stiche zu setzen, die wahrscheinlich auch Menschenleben kosten werden. Diese Attacken könnten von Milizen oder islamistischen Gruppen ausgeführt werden, die der Iran steuert. Direkte Angriffe auf Einrichtungen in den USA oder in Israel wird es meiner Ansicht jedoch nicht geben. Ein ehemaliger General der Revolutionsgarden hat Anfang der Woche gesagt, wenn Trump auf unsere Vergeltungsmaßnahmen seinerseits mit größeren Angriffen reagiert, dann machen wir Israel dem Erdboden gleich. Das ist eine leere Drohung, das ist Poker.
Hat Trump mit seiner Militäraktion nicht dafür gesorgt, dass die USA noch verhasster in Nahost sind als zuvor?
Payar: Die USA werden jetzt als der große Feind angesehen. Lange galten ja die USA im Irak als Retter im Kampf gegen den IS, aber nun sind sie wieder die Bösen. Auch die Taliban haben jetzt Soleimanis Tötung verurteilt, obwohl die Taliban und der Iran nicht gerade die besten Freunde sind. Aber der gemeinsame, große Feind macht kleinere Feinde zum Freund.
Die Trauer der Iraner, die zu Hunderttausenden auf der Straße General Soleimanis gedachten, wirkte echt. Trauern auch die Gegner des Regimes?
Payar: Es waren sicher nicht nur Anhänger des Regimes, die ich auf rund zehn Prozent der rund 80 Millionen Iraner schätze, auf der Straße. Der Antiamerikanismus von Soleimani und sein Ziel, Israel zu vernichten, wird auch von linken und nationalistischen Gegnern des Regimes geteilt.
Hat Trump mit der gezielten Tötung dafür gesorgt, dass der Druck auf das Regime im Inneren gesunken ist?
Payar: Das ist nur eine Atempause. Die Proteste, die es im November gab, waren ja eine Reaktion auf die gescheiterte Wirtschafts- und Sozialpolitik der letzten 40 Jahre. Die Gründe, warum die Menschen auf die Straße gegangen sind – also auch Vetternwirtschaft und Korruption – sind ja nicht aus der Welt. Die nächsten Proteste werden zwangsläufig kommen. Zumal die USA den Druck noch weiter erhöhen werden.
Ist der Atomvertrag jetzt am Ende?
Payar: Seitdem Trump die USA aus dem Atomvertrag herausgezogen hat, existiert der Deal faktisch nicht mehr. Diese Atombombe ist ein Bluff von allen Seiten. Er dient vielen Regierungen in der Region, Angst vor dem Iran zu schüren, um ihre Bevölkerung auf einen Feind einzuschwören. Teheran wiederum hat das Beispiel Nordkorea vor Augen. Das Regime hat darauf gesetzt, dass die Drohung mit der Bombe ihre Verhandlungsposition stärkt. In Wirklichkeit ist der Iran aber auf absehbarer Zeit gar nicht in der Lage sie zu bauen.