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Interview: Impfexperte: "Warum jeder bei AstraZeneca zugreifen sollte"

Interview

Impfexperte: "Warum jeder bei AstraZeneca zugreifen sollte"

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    Das Vakzin von Astrazeneca ist zuletzt etwas in Verruf geraten.
    Das Vakzin von Astrazeneca ist zuletzt etwas in Verruf geraten. Foto: Andrew Matthews, PA Wire/dpa

    Herr Professor Watzl, viele Mediziner zögern derzeit in Impfzentren, sich mit dem Impfstoff von AstraZeneca impfen zu lassen, weil sie lieber die neuartigen sogenannten mRNA-Impfstoffe hätten, die eine noch höhere Wirksamkeit haben sollen. Schadet diese Diskussion möglicherweise der Impfbereitschaft in der Bevölkerung?

    Carsten Watzl: Diese Sorge ist berechtigt: Ich sehe es als absolut kontraproduktiv an, wenn auf einmal von führenden Medizinern der Ruf kommt, sich nur mit einem bestimmten Impfstoff impfen lassen zu wollen. Aus immunologischer Sicht ist es ganz klar: AstraZeneca bietet einen deutlichen Schutz vor einer Corona-Erkrankung, der um ein Vielfaches besser ist, als wenn man nicht geimpft ist. Das heißt, wenn man vor die Wahl gestellt wird, jetzt AstraZeneca oder in ein paar Monaten mit einem anderen Impfstoff, sollte man auf jeden Fall jetzt bei AstraZeneca zugreifen!

    Entsteht aber nicht der Eindruck, klassische Impfstoffe wie von AstraZeneca sind nur zweite Wahl?

    Watzl: Zu sagen, der AstraZeneca-Impfstoff wäre zweitklassig, ist sowohl wissenschaftlich als auch von der öffentlichen Wirkung her völlig daneben. Das Minimum für die Zulassung eines Impfstoffs war eine Effektivität von mindestens 50 Prozent. AstraZeneca bietet laut der klinischen Studie 70 Prozent Effektivität. Neue Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Effektivität sogar auf 80 Prozent steigt, wenn die zweite Impfdosis etwas hinausgezögert wird. Deshalb verimpfen wir jetzt in Deutschland erst nach neun bis zwölf Wochen Abstand die zweite Dosis. Ob die Wahrscheinlichkeit an Corona schwer zu erkranken, je nach Impfstoff um 80 oder um 95 Prozent sinkt, ist in der Praxis ein viel kleinerer Unterschied, als es für den Laien erscheint. Denn die unter 65-Jährigen haben ohnehin schon ein deutlich geringeres Risiko, schwer an Corona zu erkranken, als die Älteren. Ziel der Impfung ist es, nicht im Krankenhaus oder gar auf der Intensivstation zu landen. Es geht nicht darum, zu verhindern, dass man vielleicht ein paar Tage zuhause im Bett liegen muss. Deshalb leistet der Impfstoff von AstraZeneca gute Arbeit.

    Das heißt auch AstraZeneca ist aus medizinischer Sicht auch im Vergleich mit Biontech ein guter Impfstoff?

    Watzl: Das Mittel von AstraZeneca ist ein sehr guter Impfstoff, auch wenn die anderen noch ein bisschen besser sind.

    Kann man mit anderem Impfstoff nachimpfen?

    Könnte man sich nach einer Impfung mit AstraZeneca zu einem späteren Zeitpunkt mit einem mRNA wie von Biontech impfen lassen, um den Schutz zu erhöhen?

    Watzl: Zunächst muss man die ersten beiden Impfdosen vom gleichen Präparat bekommen, denn es gibt noch keinerlei Studien, wie es wäre, wenn man verschiedene Impfstoffe bei Erst- und Zweitimpfung verwenden würde. Wenn man die Impffolge mit zwei Dosen beispielsweise von AstraZenca abgeschlossen hat, kann man natürlich später mit einem anderen Corona-Impfstoff geimpft werden. Zum Beispiel, wenn ein neues Präparat die Virusmutationen besser abdecken würde oder wenn der Impfschutz sich nach einigen Jahren sich abschwächen würde. Dann kann man mit jedem anderen Impfstoff nachimpfen.

    Könnte es dabei nicht Probleme wegen der unterschiedlichen Technik geben?

    Watzl: Nein. Immunologisch ist das kein Problem, weil bisher alle zugelassenen Impfstoffe bei dem sogenannten Spike-Protein des Coronavirus ansetzen. Das heißt, man kann die Immunität, die man mit dem AstraZeneca Impfstoff ausgelöst hat, ohne Probleme mit einem mRNA-Impfstoff später noch einmal verstärken. Man legt sich also nicht fest, dass man, wenn man sich einmal mit AstraZeneca impfen lässt, sich auch bei einer Auffrischung nochmals mit AstraZeneca impfen lassen müsste.

    Wenn man sich als zum Beispiel dieses Jahr mit AstraZeneca impfen lässt und nächstes Jahr oder im Winter mit Biontech, Moderna, Curevac oder einem anderen mRNA Impfstoff, ist dann die Wirkung schlechter oder besser?

    Watzl: Die neuerliche Impfung mit einem mRNA Impfstoff würde die Wirksamkeit des Impfstoffschutzes auf jeden Fall verstärken. Diesen Effekt sehen wir bei der Impfung von Menschen, die bereits mit Corona infiziert waren. Sie hatten bereits durch die natürliche Infektion einen gewissen Immunschutz. Laut Studien haben diese Menschen nach der ersten von zwei Impfdosen einen so hohen Antikörperspiegel wie andere erst nach der zweiten Impfung. Das heißt, wenn man sich jetzt mit zwei Dosen AstraZeneca impfen lässt und in einem halben Jahr eine Dosis mRNA-Auffrischung bekommt, dann wird das sehr viel besser ein, als wenn man sich vorher überhaupt nicht impfen lässt. Die Erfahrung bei Mehrfachimpfungen ist, dass mehrere Dosen generell helfen, eine stärkere und länger anhaltende Immunität herzustellen. Es werden beispielsweise bei Hepatitis B oder manchmal bei der Impfung gegen das Papillomavirus drei Impfungen empfohlen. Man hat also keine schlechteren Karten für die Zukunft, wenn man sich jetzt erst einmal mit AstraZeneca impfen lässt. Das Gegenteil ist richtig.

    Ist eine Garantie für Impfung mit Biontech & Co. möglich?

    Wäre also eine Garantie der Bundesregierung für eine neuerliche Impfung auf Wunsch mit einem anderen Impfstoff ein Mittel, um eine nun möglicherweise drohende Skepsis im Keim zu ersticken?

    Watzl: Es wäre ein Leichtes für die Bundesregierung, eine neuerliche Impfung mit einem mRNA-Impfstoff zu garantieren, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, dass die Menschen dadurch besser geschützt wären. Deutschland hat spätestens ab dem vierten Quartal mehr Impfdosen zur Verfügung, als für eine zweifache Impfung der Gesamtbevölkerung nötig wäre. Es wäre deshalb kein Problem, eine dritte Impfung mit einem mRNA Impfstoff nachzuholen. Das könnte möglicherweise wegen der Varianten des Coronavirus ratsam sein. Und wir wissen zum Beispiel auch noch nicht, ob die mRNA-Impfstoffe möglicherweise einen besseren Schutz davor bieten, dass Geimpfte andere Menschen anstecken könnten.

    Gibt es neue Erkenntnisse, ob die mRNA-Impfstoffe davor schützen, dass Geimpfte andere bei einer Infektion anstecken können?

    Watzl: In Israel sind auch geimpfte Über-60-Jährige positiv getestet worden. Bei diesen PCR-Tests hat man laut ersten Studien aber eine deutlich geringere Virenlast festgestellt. Es könnte sich um eine bis zu 20-fache Reduzierung handeln. Das würde bedeuten, dass diese geimpften Menschen bei einer Corona-Infektion deutlich weniger ansteckend sind als Nichtgeimpfte, aber es keinen hundertprozentigen Schutz vor Fremdansteckungen gibt. In Israel wird mit Biontech geimpft, von AstraZeneca gibt noch keine vergleichbaren Daten. In Israel ist zudem der Großteil der älteren Menschen bereits zum zweiten Mal geimpft. Man sieht nun, dass bei den Über-60-Jährigen die Zahl der Krankenhaus-Einlieferungen wegen Covid-19 deutlich gesunken ist und ebenso die schweren Krankheitsverläufe. Beim Vergleich mit den Unter-60-Jährigen, die erst zu 30 Prozent geimpft sind, sieht man diese Entwicklung dagegen nicht.

    Welche Nebenwirkungen gibt es bei AstraZeneca?

    Es mehren sich derzeit Berichte über Nebenwirkungen bei AstraZeneca-Impfungen. Wie bewerten Sie das?

    Watzl: Es war von vornherein klar, dass es bei den Impfstoffen zu solchen Effekten kommen kann und man sich darauf einstellen muss. Das ist nichts Besonderes für AstraZeneca. Die oft typischen Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Muskelschmerzen sind in der Regel Ausdruck davon, dass der Impfstoff das tut, was er tun soll, nämlich eine Immunreaktion auszulösen. Ein Unterschied zwischen den Impfstoffen ist, dass diese Nebenwirkungen bei mRNA Impfstoffen in mehr Fällen und stärker nach der zweiten anstelle der ersten Impfung auftreten. Bei AstraZeneca ist es genau umgekehrt: Da sehen wir dieses Phänomen nach der ersten Impfung häufiger und bei der zweiten weniger. In Kliniken impft man deshalb jetzt nicht mehr alle Mitarbeiter einer Station auf einmal, sondern auf mehrere Etappen, damit man keinen hohen Krankenstand bekommt, wenn sich Geimpfte ein oder zwei Tage krankmelden. Aber die Nebenwirkungen treten sowohl bei AstraZeneca als auch bei den mRNA Impfstoffen auf und sind laut bisherigen Studien vergleichbar häufig.

    In Studien wurde in manchen Fällen Impfkandidaten vorbeugend Paracetamol verabreicht. Ist das ratsam?

    Watzl: Man hat untersucht, ob es sinnvoll ist, prophylaktisch Paracetamol gegen die Nebenwirkungen zu geben. Das wird allerdings als nicht sinnvoll empfohlen. Wenn, dann wäre es nur nach der Impfung ratsam, wenn beispielsweise Kopfschmerzen auftreten. Man sollte Schmerzmittel nicht vorbeugend verabreichen, da diese Medikamente entzündungshemmend wirken und es unklar ist, ob dies die Impfwirkung beeinträchtigen könnte.

    Das heißt aus Ihrer Sicht spricht nichts dagegen, sich jetzt auch mit AstraZenca impfen zu lassen?

    Watzl: Absolut nicht. Solange die Impfdosen knapp sind, ist jeder Impfschutz von einem zugelassenen Präparat besser als kein Impfschutz. Deswegen sollte man den Impfstoff nehmen, den man kriegen kann. Wenn wir im dritten Quartal wirklich einen Überschuss an Impfdosen haben, kann man immer noch versuchen, über seinen Arzt an einem bestimmten Impfstoff nach Wahl heranzukommen. Es macht überhaupt keinen Sinn, wenn jetzt alle auf AstraZeneca herumreiten.

    Zur Person: Der Leibniz-Forscher Carsten Watzl ist Professor für Immunologie an der Universität Dortmund und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.

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