Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Interview: Hubertus Heil: "Der Tsunami am Arbeitsmarkt ist ausgeblieben"

Interview

Hubertus Heil: "Der Tsunami am Arbeitsmarkt ist ausgeblieben"

    • |
    Arbeitsminister Hubertus Heil drängt die Koalition, auch bei Lieferkettengesetz und Rentenreform noch zu Ergebnissen zu kommen.
    Arbeitsminister Hubertus Heil drängt die Koalition, auch bei Lieferkettengesetz und Rentenreform noch zu Ergebnissen zu kommen. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Herr Heil, die Arbeitswelt verändert sich gerade rasend, durch Corona wird der Wandel noch zusätzlich beschleunigt. Auf welche Entwicklungen müssen sich die heutigen und künftigen Berufstätigen einstellen?

    Hubertus Heil: Die Corona-Pandemie hat zur größten Wirtschaftskrise unserer Generation geführt. Jetzt geht es darum, dauerhaften Schaden am deutschen Arbeitsmarkt zu verhindern. Das heißt, dass wir Brücken bauen müssen und das tun wir mit dem Instrument der Kurzarbeit. Gemessen am tiefen Einschnitt der Wirtschaft ist der Tsunami am Arbeitsmarkt durch durchdachte Entscheidungen ausgeblieben. Gleichzeitig erleben wir, wie Corona bestehende Trends am Arbeitsmarkt beschleunigt hat.

    Was sind die wichtigsten dieser Trends?

    Heil: Auf jeden Fall die Digitalisierung, die jetzt einen deutlichen und für viele Beschäftigten spürbaren Schub erlebt hat. Wir wollen durch eine Qualifizierungsoffensive dafür sorgen, dass die Beschäftigten in der Lage sind, die Arbeit von morgen zu machen. Das gilt etwa für die Auto- und Zulieferindustrie. Wir erleben auch, dass neue Formen der Arbeit zunehmen. Zum Beispiel das mobile Arbeiten. Durch Corona haben wir einen für alle ungeplanten Großversuch mit dem Homeoffice erlebt. Nun müssen wir dafür sorgen, dass diese Formen des Arbeitens auch vernünftig abgesichert sind und nicht zu Entgrenzung führen.

    Mit Ihrer Forderung nach einem Recht auf Homeoffice haben Sie sich aber nicht durchgesetzt.

    Heil: Das ist so nicht richtig. Die Abstimmungen in der Bundesregierung sind auf einem guten Weg. Wir werden klare Regeln für mobiles Arbeiten schaffen. Das ist auch notwendig, denn nach der Pandemie wird mobiles Arbeiten Alltag sein. Wir müssen zum Beispiel Fragen des Unfallversicherungsschutzes regeln. Hier gibt es Lücken. Wenn Sie auf dem Weg ins Büro ihr Kind zur Kita bringen und einen Unfall haben, sind Sie unfallversichert. Wenn Sie im Homeoffice arbeiten und Ihr Kind zur Kita bringen, ist das nicht der Fall. Wir dürfen zudem keine Entgrenzung von Privat- und Berufsleben zulassen. Auch im Homeoffice muss mal Feierabend sein. Wir wollen den Menschen den Rücken stärken, die zeitweise im Homeoffice arbeiten möchten.

    Statt eines Anspruchs soll es nun aber nur das Recht geben, mit dem Chef über die Möglichkeit zu sprechen, zeitweise von zu Hause aus zu arbeiten. Reicht das?

    Heil: Leider musste ich feststellen, dass mit der Union ein Rechtsanspruch nicht möglich war. So konzentrieren wir uns jetzt auf das Machbare. Nach niederländischem Vorbild kann nun mit dem Chef erörtert werden, ob und zu welchen Bedingungen Homeoffice stattfindet. Das heißt, es kann nicht mehr einfach abgelehnt werden, für die Entscheidung braucht es betriebliche Gründe. Das ist vernünftig.

    Ist es nicht sogar sinnvoll, dass nach einem Abklingen der Pandemie möglichst viele Menschen in die Betriebe zurückkehren?

    Heil: Es geht ja nicht um dauerhaftes Homeoffice für alle. Ein Bäcker oder ein Stahlarbeiter können ihre Arbeit ohnehin nicht von zu Hause aus erledigen. In anderen Bereichen haben wir festgestellt, dass man zumindest einzelne Tätigkeiten im Homeoffice ausüben kann, dass auch einzelne Tage sinnvoll sind. Etwa auch, um lange Anfahrtswege mit Stau zu vermeiden. Diese Option ist ein Bedürfnis für viele Beschäftigte. Genauso wichtig ist es für viele, regelmäßig ihre Kollegen zu sehen. Ich möchte diese Flexibilität für die Beschäftigten schaffen, das ist Teil einer modernen Arbeitswelt.

    Chronologie der Corona-Pandemie 2020 in Eilmeldungen

    Mehr als 600 Eilmeldungen hat die Deutsche Presse-Agentur bis Dezember 2020 allein zum Corona-Virus gesendet. Die Überschriften dokumentieren die Zeitspanne von den ersten Hinweisen auf eine Ausbreitung der Viruserkrankung bis zu den jüngsten Erfolgen bei der Impfstoffentwicklung. Ein Überblick:

    Januar

    22.1. WHO ruft wegen Virus in China vorerst keine "internationale Notlage" aus

    24.1. Zwei Fälle der neuen Lungenkrankheit in Frankreich nachgewiesen

    28.1. Erster Coronavirus-Fall in Deutschland bestätigt

    30.1. Coronavirus in China: WHO erklärt internationale Notlage

    Februar

    15.2. Frankreich meldet ersten Coronavirus-Todesfall in Europa

    22.2. Italien will mit Coronavirus betroffene Städte abriegeln

    29.2. Erster Coronavirus-Todesfall in den USA

    März

    9.3. Coronavirus: Landrat meldet ersten Todesfall in Deutschland

    11.3. WHO bezeichnet Verbreitung des neuen Coronavirus als Pandemie

    12.3. USA erlassen wegen Coronavirus 30-tägigen Einreisestopp aus Europa

    12.3. CDU verschiebt Parteitag wegen Corona-Krise

    12.3. Merkel: Wegen Coronavirus auf Sozialkontakte weitgehend verzichten

    12.3. Bund und Länder: Ab Montag alle planbaren Operationen verschieben

    13.3. UEFA stoppt vorerst Spielbetrieb im Fußball-Europapokal

    13.3. NRW schließt nächste Woche alle Schulen

    (plus 14 weitere Eilmeldungen zu Schulschließungen in anderen Bundesländern)

    13.3. DFL: Fußball-Bundesliga stellt Spielbetrieb vorerst ein

    13.3. Trump ruft wegen Coronavirus nationalen Notstand aus 

    16.3. Regierung schlägt Schließung von Läden vor - Supermärkte aber offen

    17.3. Maas startet Rückholaktion für im Ausland festsitzende Deutsche

    17.3. Bundesregierung spricht weltweite Reisewarnung aus 

    17.3. Fußball-EM wegen Coronavirus um ein Jahr verschoben

    17.3. Nur noch EU-Bürger sollen nach Deutschland reisen dürfen

    18.3. Österreich kontrolliert ab Mitternacht Grenze zu Deutschland

    19.3. Coronavirus-Pandemie: Italien meldet mehr Tote als China

    21.3. Mietern soll in Krise nicht gekündigt werden dürfen

    22.3. Bund und Länder wollen Restaurants unverzüglich schließen

    24.3. IOC bestätigt: Olympia in Tokio wird verschoben

    25.3. Historisches Hilfspaket in Corona-Krise beschlossen

    27.3. Corona-Pandemie: Italien meldet fast 1000 Tote an einem Tag

    April

    2.4. Weltweit mehr als eine Million nachgewiesene Coronavirus-Infektionen

    6.4. Kreise: Zwei Wochen Quarantäne bei Rückkehr nach Deutschland

    6.4. Corona-Infektion: Britischer Premierminister auf Intensivstation

    15.4. Bund will Öffnung von Geschäften bis 800 Quadratmeter ermöglichen

    15.4. Schulstart in Deutschland schrittweise ab 4. Mai geplant

    17.4. Spahn: Ausbruch ist beherrschbar geworden

    21.4. Saison in Handball-Bundesliga abgebrochen

    22.4. Erste klinische Studie zu Corona-Impfstoff in Deutschland zugelassen

    23.4. Merkel: Länder in Corona-Krise teils zu forsch

    28.4. Nun bundesweite Maskenpflicht auch im Einzelhandel

    30.4. Betriebe melden für 10,1 Millionen Menschen Kurzarbeit an

    Mai

    5.5. Wirtschaftsminister der Länder wollen Gastronomieöffnung ab 9. Mai

    6.5. Bund will Öffnung aller Geschäfte in Corona-Krise erlauben

    6.5. Politik erlaubt Geisterspiele der Fußball-Bundesliga ab Mitte Mai

    13.5. Bundesregierung beschließt Lockerung der Grenzkontrollen

    15.5. Deutsche Wirtschaft bricht in der Corona-Krise ein

    26.5. Bund und Länder einig: Kontaktbeschränkungen bis 29. Juni

    Juni

    9.6. Deutscher Export bricht im April um mehr als 30 Prozent ein

    16.6. Offizielle Corona-Warn-App steht zum Download bereit

    17.6. Großveranstaltungen werden mit Ausnahmen bis Ende Oktober verboten

    17.6. Schulen sollen nach Sommerferien wieder komplett öffnen können

    23.6. Zahlreiche Einschränkungen nach Corona-Ausbruch bei Tönnies

    25.6. EU-Kommission genehmigt Rettungspaket für Lufthansa

    29.6. Bundestag beschließt Mehrwertsteuersenkung und Familienbonus

    Juli

    3.7. Arznei Remdesivir erhält europäische Zulassung für Covid-19

    7.7. Brasiliens Präsident Bolsonaro mit Coronavirus infiziert

    22.7. Corona-Tests bei Einreise aus Risikogebieten sollen Pflicht werden

    30.7. Deutsche Konjunktur bricht dramatisch ein

    30.7. Historischer Konjunktureinbruch in den USA wegen Corona-Krise

    August

    11.8. Putin: Russland lässt Impfstoff gegen Coronavirus zu

    14.8. Reisewarnung des Auswärtigen Amts für fast ganz Spanien samt Mallorca

    27.8. Bund und Länder: Großveranstaltungen bis Ende des Jahres verboten

    September

    29.9. Feiern in öffentlichen Räumen auf 50 Teilnehmer beschränkt

    30.9. Neue Corona-Risikogebiete in elf europäischen Ländern

    Oktober

    2.10. US-Präsident Trump und First Lady positiv auf Coronavirus getestet

    7.10. Länder: Beherbergungsverbot für Reisende aus Risikogebieten

    8.10. Corona-Neuinfektionen in Deutschland steigen sprunghaft auf über 4000

    14.10. Beschluss: Sperrstunde um 23 Uhr für Gastronomie in Corona-Hotspots

    14.10. Bund und Länder wollen striktere Kontaktbeschränkungen in Hotspots 

    14.10. Frankreich führt Gesundheitsnotstand wieder ein 

    15.10. RKI meldet Rekordwert bei Corona-Neuinfektionen in Deutschland

    21.10. Gesundheitsminister Spahn positiv auf Corona getestet

    26.10. CDU-Spitze verschiebt Parteitag zur Vorsitzendenwahl ins nächste Jahr

    28.10. Bund und Länder: Beginn von Kontaktbeschränkungen am 2. November

    28.10. Bund und Länder wollen Gastronomiebetriebe vorübergehend schließen

    November

    2.11. Teil-Lockdown startet: Öffentliches Leben wird heruntergefahren

    9.11. Biontech veröffentlicht vielversprechende Daten zu Corona-Impfstoff

    16.11. Auch US-Konzern Moderna legt positive Daten zu Corona-Impfstoff vor

    16.11. Bund und Länder appellieren: Keine privaten Feiern mehr

    18.11. Bundestag beschließt Änderungen beim Infektionsschutzgesetz

    25.11. Private Zusammenkünfte werden auf fünf Personen begrenzt

    25.11. Bund und Länder lockern Kontaktbeschränkungen für Weihnachten

    30.11. Moderna will Zulassung für Corona-Impfstoff in EU beantragen

    Dezember

    1.12. Biontech und Pfizer beantragen EU-Zulassung für Corona-Impfstoff

    2.12. Biontech und Pfizer: Großbritannien lässt Corona-Impfstoff zu

    2.12. Bund und Länder: Teil-Lockdown wird bis in den Januar verlängert

    9.12. Verfassungsschutz Baden-Württemberg beobachtet "Querdenken"-Bewegung

    12.12. Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer erhält US-Notfallzulassung

    13.12. Bund und Länder beschließen harten Lockdown ab dem 16. Dezember 

    13.12. Bund und Länder beschließen Versammlungsverbot an Silvester

    13.12. Möglichst keine Schul- und Kita-Besuche ab Mittwoch bis 10. Januar

    13.12. Bund erhöht Corona-Finanzhilfen für Unternehmen

    19.12. Corona-Impfstoff von Moderna erhält Notfallzulassung in den USA

    21.12. EMA empfiehlt erste Zulassung eines Corona-Impfstoffs in der EU

    21.12. EU-Kommission genehmigt Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer

    22.12. Bayern führt Corona-Testpflicht für Reisende aus Risikogebieten ein

    (dpa)

    Wie geht es in den kommenden Monaten bei der Kurzarbeit weiter?

    Heil: Ich bin zuversichtlich, dass wir im kommenden Jahr weniger Menschen in Kurzarbeit haben werden als in diesem Jahr. Die Erfahrung aus diesem Jahr hat gezeigt, dass hohe Kurzarbeiterzahlen nicht zu hoher Arbeitslosigkeit geführt haben. Wir sichern Arbeitsplätze, damit Beschäftigte im nächsten Jahr nahtlos an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können und so die Wirtschaft angekurbelt wird. Darum ist es absolut sinnvoll, dass ich die Kurzarbeiterregelungen bis ins nächste Jahr verlängert habe.

    Könnten zu umfangreiche Kurzarbeitsregelungen das Wiederanfahren der Wirtschaft auch verzögern?

    Heil: Im Gegenteil. Kurzarbeit schafft die Möglichkeit, dass Unternehmen nach der Krise mit ihren Fachkräften wieder voll durchstarten können. Das Instrument ist zwar sehr teuer. Aber die Alternative Massenarbeitslosigkeit wäre für den Staat und die Gesellschaft noch viel teurer. Deshalb ist es kein Wunder, dass viele Staaten unseren Weg kopieren, sogar in den USA ist „the Kurzarbeit“ inzwischen eine Art Lehnwort. So wie „Kindergarden“.

    Teilen Sie die Sorge, dass die Kurzarbeitsregelungen von Firmen missbraucht werden?

    Heil: Wir haben keinen massenhaften Missbrauch von Kurzarbeit. Aber es gibt durchaus Fälle. Denen gehen wir nach über die Bundesagentur für Arbeit, und wer das missbraucht, wird konsequent zur Rechenschaft gezogen werden. Wir hatten beim Höchststand im April mit sechs Millionen Beschäftigten in Kurzarbeit rund 2000 Hinweise, dass etwas schiefgelaufen ist. In den allermeisten Fällen ging es um technische Fehler.

    Gerade beobachten wir wieder massive Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen. Eigentlich sollten doch die Missstände in der Fleischindustrie gesetzlich ausgeschlossen werden?

    Heil: Das Gesetz gilt ab Januar und dann werden wir auch spürbare Verbesserungen erleben. Ausbeutung in Teilen der Fleischindustrie war schon vorher ein Problem, in der Pandemie wurde sie zum allgemeinen Gesundheitsrisiko. Das neue Arbeitsschutzkontrollgesetz beendet Werkverträge und wird mit den Missständen bei Arbeitszeiten, Unterbringung und Leiharbeit aufräumen. Vor allem wird mehr kontrolliert. Die Arbeitsschutzbehörden werden dafür mehr Personal einstellen müssen, viele wurden in den vergangenen Jahren systematisch kaputt gespart, wie das ja zum Teil auch bei den Gesundheitsämtern der Fall war. Die Krise zeigt, dass wir widerstandsfähiger, resilienter werden müssen. Wir brauchen einen starken Staat, der nicht nur Regeln setzt, sondern auch deren Umsetzung kontrolliert.

    Lieferdienste zählen zu den Gewinnern der Krise, aber ihre Mitarbeiter sind oft schlecht bezahlt und kaum abgesichert. Wie wollen Sie denen helfen?

    Heil: In der Krise weitet sich die sogenannte Plattformwirtschaft aus. Neue Geschäftsmodelle, neue Vertriebswege – für die Verbraucher ist das eine sehr praktische Sache, am Handy etwas zu bestellen. Wir beobachten aber mit Sorge viele Fehlentwicklungen. Dass etwa Plattformen ihre Marktmacht gegenüber Beschäftigten missbrauchen. Deshalb müssen wir klären, wer als Beschäftigter auf diesen Plattformen gilt und wer als Solo-Selbstständiger.

    Warum?

    Heil: Weil es um die Frage geht, welcher Sozialschutz und welche Rechte für diese Menschen gelten. Selbstständige müssen im Alter abgesichert sein und auch Verhandlungsmacht haben, sich also auch zusammenschließen dürfen, um gegenüber einer Plattform ihre Rechte durchzusetzen. Und Plattformen, die ja viele innovative Möglichkeiten bieten, müssen faire Arbeitsbedingungen garantieren.

    Am unteren Ende der Lieferketten vieler Produkte stehen oft Ausbeutung und Rechtlosigkeit in den Herkunftsländern. Doch die CDU blockiert das geplante Lieferkettengesetz. Wie groß sind die Chancen, dass es doch noch kommt?

    Heil: Ich will, dass die Koalition hier zu einer Lösung kommt. Es geht um die Verantwortung deutscher Unternehmen für die Menschenrechte in Ländern, aus denen ihre Produkte kommen. Wir haben jahrelang auf freiwillige Selbstverpflichtungen gesetzt, ohne Ergebnis. Darum brauchen wir jetzt ein wirksames Gesetz mit klaren Haftungsregeln und der Verpflichtung, auf Menschenrechte in der Lieferkette zu achten. Ich habe viele Verbündete in der Union, etwa Entwicklungsminister Gerd Müller von der CSU. Ich erwarte, dass wir nach ausführlicher Debatte endlich zu einem Ergebnis kommen.

    Das Rentensystem gerät mit zunehmender Überalterung der Bevölkerung immer mehr in Schieflage. Die CDU schlägt ein flexibles Renteneintrittsalter vor. Der richtige Weg?

    Heil: Es kursieren viele Papiere. Im Kern müssen wir dafür sorgen, dass die Alterssicherung verlässlich bleibt. Dafür hat diese Regierung schon viel getan. Wir haben Maßnahmen getroffen, um das Rentenniveau zu sichern, und vor allem haben wir die Grundrente eingeführt. Es gibt längst flexible Übergänge in den Ruhestand.

    Viele Selbstständige sind im Alter schlecht abgesichert. Sollten sie verpflichtet werden, in die gesetzliche Rentenversicherung einzutreten?

    Heil: Zunächst gibt es viele Selbstständige, die gut im Alter abgesichert sind, Anwälte oder Architekten etwa. Aber es gibt eben eine wachsende Zahl von Selbstständigen, denen nach ihrem Arbeitsleben im Alter Armut droht und die dann auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Da haben wir noch Arbeit vor uns.

    Wird diese Reform auch die Beamten betreffen, deren Pensionsansprüche eine immer größere Herausforderung für die Staatskasse werden?

    Heil: Darüber besteht Diskussionsbedarf. Ich nehme mit Interesse zur Kenntnis, dass auch in der CDU darüber gesprochen wird. Diese Debatte muss geführt werden, da sie ja auch Länder und Kommunen betrifft, die die meisten Beamten beschäftigen.

    Im Moment wird viel über Ausgaben geredet, doch durch Corona werden die Einnahmen knapper. Wie soll das alles finanziert werden?

    Heil: Wir leisten enorme Anstrengungen zur Bewältigung der Pandemie, zur Stabilisierung am Arbeitsmarkt und zur sozialen Absicherung. Das sind hohe finanzielle Ausgaben. Zuvor hatten wir fast zehn Jahre guter wirtschaftlicher Entwicklung und konnten Rücklagen bilden. Im Vergleich zu anderen Ländern wie Italien oder Frankreich sind wir nicht so überschuldet, dass wir nicht mehr handlungsfähig sind. Es ist richtig, dass wir jetzt nicht in die Krise hineinsparen, sondern auch investieren. Es werden ja sogar Steuern gesenkt, für 90 Prozent der Zahler fällt ab Januar 2021 der Solidaritätszuschlag weg.

    Also keine Abgaben- und Steuererhöhungen mit der SPD?

    Heil: In der Krise werden wir keine Steuern und Abgaben erhöhen. Ein wesentlicher Teil der Refinanzierung soll durch einen wirtschaftlichen Wiederaufschwung erfolgen, der ja zu mehr Steuereinnahmen führt. Grundsätzlich werden wir über eine gerechtere Verteilung von Lasten in der Gesellschaft sprechen müssen, wenn die Krise vorbei ist. Da bin ich der Meinung, dass Spitzenverdiener und Menschen mit sehr hohen Vermögen einen stärkeren Beitrag zum Gemeinwesen leisten müssen. Sonst zahlen am Ende des Tages die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen die Zeche für diese Krise.

    Was ist eigentlich für die SPD ein Spitzeneinkommen? 100.000 Euro im Jahr?

    Heil: Da gibt es ja unterschiedliche Definitionen. Es wird jedenfalls nur einen Bruchteil der Menschen im Land betreffen.

    Was glauben Sie, was für ein Weihnachtsfest uns bevorsteht?

    Heil: Es wird dieses Jahr ein anderes Weihnachtsfest für alle. Ich hoffe, dass die Menschen zur Ruhe kommen und im Kreis ihrer Familie Kraft tanken können. Den Menschen, die sich Sorgen um die Gesundheit ihrer Angehörigen machen, wünsche ich Kraft. Corona erfordert, dass wir uns dieses Jahr alle verantwortlich und rücksichtsvoll verhalten.

    Wie verbringen Sie die Feiertage?

    Heil: Das eben Gesagte gilt auch für meine Familie. Wir werden im ganz kleinen Kreis bleiben. Dann werde ich kochen, das tue ich sehr gerne, und wie man sieht, esse ich auch gerne. Skilaufen fällt leider aus.

    Lesen Sie mehr:

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden