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Interview: Haben Sanktionen als politisches Werkzeug eine Wirkung?

Interview

Haben Sanktionen als politisches Werkzeug eine Wirkung?

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    Ein von Russland unterstützter Soldat der Separatisten begleitet eine Gruppe von ukrainischen Kriegsgefangenen bei einem Gefangenenaustausch.
    Ein von Russland unterstützter Soldat der Separatisten begleitet eine Gruppe von ukrainischen Kriegsgefangenen bei einem Gefangenenaustausch. Foto: Alexei Alexandrov, dpa

    Seit es Sanktionen als politisches und ökonomisches Werkzeug gibt, wird über die Wirksamkeit derselben gestritten. Was sagt uns das Beispiel Nord Stream 2 in diesem Zusammenhang?

    Janis Kluge: Grundsätzlich muss man sagen, dass es sehr, sehr schwierig ist, von außen die Innenpolitik eines Landes wie Russland direkt zu verändern. Es hilft, wenn man von Anfang an eine relativ geringe Erwartungshaltung hat. Das heißt aber nicht, dass Sanktionen in diesem Fall grundsätzlich unangebracht oder unangemessen sind. Man sollte sich nur darüber im Klaren sein, dass man ein Land wie Russland nicht von außen demokratisieren kann.

    Was funktioniert denn dann überhaupt mit dem Blick auf Russland?

    Kluge: Die Möglichkeiten sind sehr begrenzt. Das Einzige was bei autoritären Staaten regelmäßig funktioniert, ist, dass man politische Gefangene schützt oder für ihre Freilassung sorgt. Das hat mitunter auch in Belarus Erfolg gehabt.

    Man könnte ja auch andersherum argumentieren. Wie würde es in der Ostukraine aussehen, wenn es keine Sanktionen oder Drohungen mit Sanktionen geben würde?

    Kluge: Genau, das ist ein wichtiger Punkt. Aber Sie merken ja auch, dass es ganz schwierig ist, die Wirksamkeit von Sanktionen zu bewerten. Wir haben ja keine alternative Geschichte, aus der wir lernen könnten wie es ohne Sanktionen gelaufen wäre. Man muss also letztlich fast immer mit Indizien arbeiten. Im Fall Ostukraine sind die Indizien aber sehr, sehr stark. Russland ist aus zwei Gründen unter erheblichen ökonomischen Druck geraten. Einmal durch den fallenden Ölpreis, aber eben auch wegen der Sanktionen des Westens. Der Wert des Rubels hat sich in kurzer Zeit halbiert – das ist wirklich keine Kleinigkeit.

    Ist es nicht tatsächlich so, dass ein Mann wie der russische Präsident Wladimir Putin schon die Folgen möglicher Sanktionen einpreist, wenn er sich in politische oder gar militärische Abenteuer stürzt? Das würde ja indirekt eher für die Wirksamkeit von Sanktionen sprechen.

    Kluge: Natürlich. Putin wurde ja direkt auf diesen Zusammenhang angesprochen und er hat eingeräumt, dass er genau dies mit Blick auf die Nato oder die EU von vorneherein einrechnet. Doch ich bin mir sicher, dass Putin – was die Krim und den Donbass betrifft – von der einigen und festen Haltung Europas überrascht wurde. Ich würde sogar sagen, dass das die Geburtsstunde der EU als eigener sicherheitspolitischer Akteur war. Die EU-Staaten haben gezeigt, dass sie bereit sind ihre Interessen zu verteidigen – und zwar auch, wenn sie dafür einen Preis zahlen müssen. Und das wiederum dürfte eine Rolle spielen, wenn Moskau weitere Schritte in dem Konflikt andenkt.

    Also ein Punkt, der für die Wirksamkeit von Sanktionen spricht?

    Kluge: Richtig. Aber man muss im Fall Krim und Ostukraine dazu sagen, dass nicht nur Europa, sondern vor allem auch die USA mit an Bord waren. Das hat die Durchschlagskraft der Maßnahmen entscheidend erhöht.

    Ist denn nicht der Fall Iran ein Beispiel für den Erfolg von Sanktionen und gleichzeitig für die Folgen, wenn ein wichtiger Akteur – in diesem, Fall die USA – aussteigt?

    Kluge: Iran wird allgemein als Erfolgsbeispiel gesehen. Man kann daran gut erkennen, was gegeben sein muss, damit solche Maßnahmen sinnvoll sein können: Es gab eine große, internationale Koalition, die eine gewisse Glaubwürdigkeit und Entschlossenheit ausgestrahlt hat. Der zweite Punkt: Die Sanktionen waren weit einschneidender, also schmerzhafter als die gegen Russland. Es ging ja im Iran nicht darum, einen Regimewechsel durchzusetzen: Die Forderung war, dass der Iran aufhört, Programme zur atomaren Bewaffnung zu verfolgen. Also, es handelte sich um eine realistische Forderung, die mit massivem Druck verfolgt wurde.

    Ist das das Rezept, dass man sich klar benannte Ziele setzt, anstatt das System in dem betreffenden Land abschaffen zu wollen? Es dürfte ja schwierig sein, der Regierung, mit der man verhandelt, zu sagen, dass man sie eliminieren will.

    Kluge: Genau, die Sanktionen sollten konkret und klar sein, wenn man eine Kooperation erreichen will. Es gibt ja außerdem aber auch Sanktionen als Rote Karte, die ein Land per se an den Pranger stellt. Es hat sich zudem gezeigt, dass Sanktionen immer dann scheitern, wenn sich ein mächtiges Land wie Russland oder China dagegen stellen. Gegen einen „schwarzen Ritter“, der aus opportunistischen Beweggründen die Sanktionen unterläuft, ist nicht viel auszurichten.

    Aber genau diesen Fall haben wir ja zurzeit immer wieder. Ist das nicht das Hauptproblem? Siehe USA.

    Kluge: Im Fall Russland gibt es in den USA keine einheitliche Linie zwischen dem Weißen Haus und dem Kongress. Während US-Präsident Donald Trump Sanktionen gegen Russland bremst, treibt der Kongress sie voran.

    Wenn wir in der Geschichte zurückblicken, ich denke an Kuba oder an den Kalten Krieg, dann stellt sich die Frage, ob Sanktionen in der Politik seitdem wichtiger geworden sind oder eben nicht?

    Kluge: Das Thema ist in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Hintergrund ist natürlich die sinkenden Bereitschaft der westlichen Staaten, militärische Gewalt einzusetzen. Dazu fehlt die Akzeptanz in der Bevölkerung. Deswegen sind Sanktionen ein Mittel, auf anderem Weg Wirkung zu erzielen. Der zweite Aspekt ist, dass das Repertoire von Sanktionen in den 90er Jahren deutlich erweitert wurde. Man versucht immer häufiger, nicht ein Land als Ganzes zu bestrafen, sondern einzelne Akteure des betroffenen Staates. Also Personen oder Unternehmen auf eine schwarze Liste zu setzen.

    Bringt das was?

    Kluge: Das ist so global schwer zu beantworten. Gegenüber Belarus wird ja so verfahren. Dort wurden im Jahr 2010 bereits 170 Mitglieder der politischen Elite auf eine Sanktionsliste gesetzt. Immerhin folgte danach die Freilassung von politischen Gefangenen nach den Wahlen von 2015. Auch das ist ein Fall, der zeigt, dass Erfolge meistens nicht über eine komplettem Isolation von Staaten erreicht werden können, sondern durch klar definierte punktuelle Maßnahmen.

    Janis Kluge sagt, dass Projekt Nord Stream 2 zeige, "dass es in Deutschland keine ausreichende und vorausschauende Betrachtung von politischen Risiken gibt".
    Janis Kluge sagt, dass Projekt Nord Stream 2 zeige, "dass es in Deutschland keine ausreichende und vorausschauende Betrachtung von politischen Risiken gibt". Foto: Kluge

    Gesprächskanäle sollte man freihalten?

    Kluge: Nicht nur freihalten, es muss eine Gesamtstrategie geben, die klassische Diplomatie, aber in schlimmeren Fällen auch eine militärische Option beinhaltet.

    Im Fall Russland dürfte Letzteres von vorneherein ausgeschlossen sein.

    Kluge: Das ist klar, diese Option liegt natürlich nicht auf dem Tisch. In Syrien sieht das schon anders aus. Ich denke da an die begrenzte militärische Antwort der USA auf Giftgaseinsätze.

    Das wäre dann eher der Aspekt Bestrafung.

    Kluge: Bestrafung kann ein Signal sein, und zwar auch an andere Länder, dass Ordnungsverstöße Konsequenzen haben.

    Wo sind denn die Grenzen im Falle Russland?

    Kluge: Die EU kommt nicht an der Tatsache vorbei, dass Moskau in nahezu alle Konflikte, die die Union betreffen, involviert ist – denken Sie an Libyen, Syrien, die Ukraine oder Belarus. An Russland kommt man also nicht vorbei. Maximale Bestrafung ist also keine Sache, die sich die EU aktuell leisten kann. Das muss man offen sagen, vor allem mit Blick auf die weitgehende politische Abwesenheit der USA.

    Ganz konkret: Wenn Sie Bundeskanzler wären, was würden Sie denn jetzt mit der Gasleitung in der Nordsee machen?

    Kluge: (lacht) Ich würde mich erst einmal ärgern, welche Fehler schon passiert sind. Das Projekt zeigt, dass es in Deutschland keine ausreichende und vorausschauende Betrachtung von politischen Risiken gibt. Das Projekt ist energiepolitisch nicht dringend notwendig und politisch äußerst problematisch.

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