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Interview: Gesundheitsexperte Lauterbach: "Müssen uns gegen Virus-Mutationen wappnen"

Interview

Gesundheitsexperte Lauterbach: "Müssen uns gegen Virus-Mutationen wappnen"

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    Karl Lauterbach: „Zwei Wochen mehr Lockdown lohnen sich sehr.“
    Karl Lauterbach: „Zwei Wochen mehr Lockdown lohnen sich sehr.“ Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Herr Professor Lauterbach, in Bayern und Sachsen wurde in zwei Fällen die neue, hoch ansteckende Variante des Corona-Virus aus Großbritannien nachgewiesen. Nehmen wir die Gefahr durch mutierte Viren und drohende Folgen einer Ausbreitung ernst genug?

    Karl Lauterbach: Die vorliegenden Daten und Analysen von Epidemiologen sprechen ganz klar dafür, dass die Variante aus Großbritannien deutlich ansteckender ist als die Virusvariante, mit der wir in Deutschland kämpfen. Wahrscheinlich führt sie zu 50 Prozent mehr Ansteckungen. Das würde bedeuten, dass wir in Deutschland mit den bestehenden Lockdown-Maßnahmen diese Virusvariante nicht in den Griff bekämen, wenn wir weiterhin so hohe Fallzahlen haben wie derzeit.

    Welche Konsequenz ergibt sich daraus?

    Lauterbach: Die dringliche Konsequenz lautet, dass wir die Fallzahlen in Deutschland wirklich auf ein niedriges Maß noch rechtzeitig herunterdrücken müssen. Wir brauchen eine Sieben-Tage-Inzidenz von unter 25, um zu verhindern, dass wir in eine Situation kommen, dass die mutierte Virusvariante in Deutschland Fuß fassen kann. Wenn die neue Variante in Deutschland Fuß fassen würde und wir bei einer Sieben-Tage-Inzidenz zwischen 50 und 150 lägen, bekämen wir eine sehr schwer kontrollierbare Lage. Wir müssten wahrscheinlich über Monate in einem Lockdown bleiben.

    Wie lange müsste der Lockdown verlängert werden, um vom Zielwert 50 nochmals auf 25 herunterzukommen?

    Lauterbach: Das ist wahrscheinlich ein sehr überschaubarer Zeitraum, der sich lohnt: Wenn man erst mal die 50 erreicht hat, müsste man vielleicht noch zwei Wochen länger durchhalten, um auf die 25 zu kommen. Absolut entscheidend ist dabei der Grundsatz, dass je niedriger die Fallzahlen sinken, desto leichter lässt sich die Zahl der Neuinfektionen noch weiter senken und unter Kontrolle halten. In der jetzigen Situation mit unseren hohen Infektionszahlen können die Gesundheitsämter so gut wie keinen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie mehr leisten, weil bei weit über 50 die Nachverfolgung einzelner Infektionswege nicht mal mehr im Ansatz möglich ist. Deshalb lohnt sich der Weg von 50 zu 25 sehr, weil wir dann auch wieder die Gesundheitsämter im Kampf gegen die Pandemie voll an Bord haben. Deshalb plädiere ich sehr dafür, dass wir uns dieses Ziel setzen und nicht irgendein fixes Datum. Der Lockdown muss so lange gehen, bis wir die 25 erreicht haben und uns damit auch bestmöglich gegen die möglichen Virusmutationen wappnen können.

    Wird denn inzwischen in Deutschland ausreichend auf die neue Virusvariante getestet?

    Lauterbach: Nein, das können wir zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht ausreichend in Deutschland. Aber das Problem ist erkannt. Derzeit werden die Gen-Sequenzierungsmaßnahmen dafür hochgefahren. In Fachkreisen wurde das schon lange befürwortet, aber jetzt müssen wir nach vorne blicken. Doch wir werden das Problem der Virusmutationen nicht mit solchen Analysen in den Griff bekommen, sondern nur dann, wenn der Lockdown so lange andauert, dass wir auf eine niedrige Inzidenzzahl herunterkommen, um Infektionsketten einzudämmen. Und da ist die diskutierte Zahl 50 viel zu hoch.

    Reichen die verschärften Einreisebestimmungen, Quarantäne- und Testmaßnahmen aus, um ein Einschleppen des Virus von Großbritannien zu verhindern?

    Lauterbach: Ja, das reicht aus.

    Derzeit wächst die Kritik daran, dass die Lockdown-Verschärfungen auf das Privatleben und die Schulen zielen, aber es für den Arbeitsplatz lediglich Appelle an die Unternehmen zu mehr Homeoffice gibt. Viele fordern klare Regeln, etwa verpflichtendes Homeoffice, außer die Firmen können für die entsprechenden Arbeitsplätze notwendige Ausnahmen begründen…

    Lauterbach: Wir haben bislang zu wenig darauf geachtet, was sich in den Betrieben abspielt und zu sehr nur auf die Schulen geschaut. In den Betrieben gibt es zahlreiche ungeklärte Infektionsketten. Deshalb sehe ich das genauso: Das Homeoffice muss deutlich ausgeweitet werden. Wo immer es möglich ist, muss jetzt jeder Arbeitnehmer das Recht auf Homeoffice bekommen und alles andere sollte in der momentanen Situation nur noch eine zu begründende Ausnahme von dieser Regel sein. 

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