Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Interview: Gerd Müller: Beim Klimaschutz geht es ums Überleben der Menschheit

Interview

Gerd Müller: Beim Klimaschutz geht es ums Überleben der Menschheit

    • |
    Gerd Müller (63, CSU) aus Kempten ist seit 2013 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
    Gerd Müller (63, CSU) aus Kempten ist seit 2013 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Foto: Ulrich Wagner (Archiv)

    Herr Müller, Sie kehren gerade vom Weltklimagipfel in Polen zurück. Sind von dem Treffen mehr als nur Lippenbekenntnisse zu erwarten?

    Müller: Der Klimagipfel von Kattowitz muss die Trendwende bringen. Der Ausstoß von Treibhausgasen ist auf Rekordhöhe und steigt weiter. Die Entwicklung der drei Jahre, die seit dem Klimagipfel von Paris vergangen sind, ist absolut nicht befriedigend. Von

    Weltweit scheint die Bereitschaft zum Klimaschutz derzeit aber eher zurückzugehen. Trügt der Eindruck?

    Müller: In der Tat ist die Lage sehr ernst. Das Ziel, die Erderwärmung auf höchstens zwei Grad zu begrenzen, gerät zunehmend außer Sichtweite. Von 184 Ländern, die das Pariser Klimaschutzabkommen unterzeichnet haben, erfüllen derzeit nur 17 ihre Zusagen.

    Minister Müller: Deutschland wird aufholen

    Auch Deutschland ist längst nicht mehr das Klimaschutz-Musterland...

    Müller: Leider bleibt auch Deutschland hinter seinen selbst gesteckten Zielen zurück. Aber das werden wir aufholen. Mit dem Klimaschutzgesetz, das die Bundesregierung im kommenden Jahr verabschieden wird, werden wir den Schritt von der Freiwilligkeit zur Verbindlichkeit vollziehen. Dann werden die Klimaschutzmaßnahmen überprüfbar. Diese Verbindlichkeit muss künftig in allen Staaten gelten. Dazu soll in Kattowitz der Fahrplan erstellt werden.

    Was droht, wenn das nicht gelingt?

    Müller: Wir müssen verstehen, dass der Klimaschutz die Überlebensfrage der Menschheit ist. Die reichsten zehn Prozent der Welt verursachen 50 Prozent der CO2-Emissionen. Hauptleidtragende sind aber die Menschen in Entwicklungsländern mit den niedrigsten Emissionen. Sie verlieren durch den Klimawandel ihre Lebensgrundlage. Kürzlich habe ich die Tschad-Region besucht. Dort ist seit drei Jahren kein Regen mehr gefallen. Die Pflanzen sind verdorrt, Tiere liegen tot am Straßenrand. Eine absolute Katastrophe für die Menschen. Über 20 Millionen Klimaflüchtlinge sind allein in dieser Region unterwegs.

    Wichtig wäre, aus der Kohleverbrennung zur Energieerzeugung auszusteigen. Warum bewegt sich hier so wenig?

    Müller: Das zeigt sich gerade hier in Kattowitz. Im Zentrum des schlesischen Kohlereviers kann man buchstäblich riechen, welche große Rolle die Kohle noch spielt. Polen deckt 80 Prozent seines Energiebedarfs aus Kohle. Deswegen müssen alle europäischen Länder jetzt in Sachen Kohleausstieg ihre Hausaufgaben erledigen. Auch, um mit gutem Beispiel in der Welt voranzugehen. Es ist ja richtig, dass wir über den Ausstieg aus der Kohlekraft diskutieren. Doch viel entscheidender ist es, zu verhindern, dass Entwicklungs- und Schwellenländer überhaupt erst in die Kohle einsteigen.

    "Zukunft entscheidet sich in China und Indien"

    Um welche Dimensionen geht es?

    Müller: 600 Millionen Afrikaner haben noch keinen Stromanschluss. Die Bevölkerung wird sich bis 2050 auf dann 2,5 Milliarden verdoppeln. Wenn zukünftig jeder Haushalt Strom auf der Basis von Kohle bekommt, müssten 1000 neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Alle Klimaziele würden damit in weite Ferne rücken. In Indien oder China ist die Lage ähnlich. Die Zukunft unseres Klimas entscheidet sich dort.

    Lässt sich überhaupt verhindern, dass andere Länder auf Kohlestrom setzen?

    Müller: Natürlich wollen alle Elektrizität. Wir können sie aber nur zum Verzicht auf Kohle bewegen, wenn wir sie beim Aufbau klimafreundlicher Zukunftstechnologien unterstützen. Afrika etwa darf nicht der schwarze Kontinent der Kohle werden, sondern muss der grüne Kontinent der erneuerbaren Energien werden.

    Was tut Deutschland, um Klimaschutz in Entwicklungs- und Schwellenländern zu fördern?

    Müller: Für Projekte in den armen Ländern gibt es den internationalen Grünen Klimafonds. In Kattowitz habe ich für die Bundesregierung eine Verdoppelung der deutschen Mittel um weitere 1,5 Milliarden Euro zugesagt.

    Warum bedient sich der Ölstaat Bahrain? 

    Aus dem Klimafonds bedienen sich aber auch die Industrie-Supermacht China oder der Ölstaat Bahrain? Ist das nicht bizarr?

    Müller: Ja, das Geld ist für die Armen gedacht, nicht für reiche Ölproduzenten, die eigentlich einzahlen müssten. Wir müssen dafür sorgen, dass sich das ändert.

    Sind die Mittel aus dem Klimafonds überhaupt mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein?

    Müller: Wir finanzieren damit den Umstieg in klimaschonende Technologien. Deswegen setze ich mich auch dafür ein, dass andere Staaten ihre Zusagen für den Klimafonds erhöhen. Wir brauchen aber darüber hinausgehende Impulse. Deshalb habe ich in Kattowitz eine neue „Allianz für Entwicklung und Klima“ gestartet, um zusätzliche private Investitionen für Klimaschutzprojekte in Entwicklungs- und Schwellenländern zu gewinnen. Über 70 Unternehmen, Behörden und Organisationen streben an, klimaneutral zu werden, indem sie Emissionen vermeiden, reduzieren und den verbliebenen Rest kompensieren. Ich hoffe, dass es bald 700 sind.

    Die USA wollen sich aus dem Pariser Abkommen zurückziehen ...

    Müller: … was sehr bedauerlich ist, denn die USA gehören zu den Staaten, die am meisten klimaschädliche Gase ausstoßen. Es gibt aber Hoffnung, denn die USA sind nicht nur ihr Präsident Trump. Viele Gouverneure von Bundesstaaten, Unternehmer und Bürger stehen hinter dem internationalen Klimaschutz.

    Müller: Nur noch alle zwei Jahre in großer Runde

    Sie haben vorgeschlagen, nur alle zwei Jahre Klimakonferenzen abzuhalten. Würde das der Sache nicht schaden?

    Müller: Im Gegenteil. Wir müssen schneller und effektiver werden. Auf Expertenebene könnte man sich in einem kleineren Format treffen, um ein klares Regelbuch mit einheitlichen Standards kontinuierlich weiterzuentwickeln und die Umsetzung konsequent zu überwachen. Die Staats- und Regierungschefs würden nur alle zwei Jahre zusammenkommen. Dann wäre der Druck größer, bis zur nächsten „großen Konferenz“ echte Fortschritte zu erzielen. Wir sollten den Rückzug Brasiliens als Gastgeber im kommenden Jahr auch als Chance sehen, auf einen solchen zweijährigen Turnus umzustellen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden