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Interview: FDP-Koalitionsverhandler Buschmann: "Wir sind in vielen Punkten einen Schritt weiter"

Interview

FDP-Koalitionsverhandler Buschmann: "Wir sind in vielen Punkten einen Schritt weiter"

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    FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann auf dem Weg zu Verhandlungen mit SPD und Grünen: „Viele Bürgerinnen und Bürger wollen keine politische Drama-Queen-Veranstaltung.“
    FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann auf dem Weg zu Verhandlungen mit SPD und Grünen: „Viele Bürgerinnen und Bürger wollen keine politische Drama-Queen-Veranstaltung.“ Foto: Chris Emil Janssen, Imago Images

    Herr Buschmann, die Corona-Infektionszahlen brechen jeden Tag Rekorde, selbst die Berliner Charité hat alle planbaren Eingriffe abgesagt. Intensivmediziner warnen vor der schwierigsten aller Corona-Wellen. Warum wollen die Ampel-Parteien ausgerechnet in dieser Situation im Bundestag jetzt die epidemische Notlage nicht verlängern?

    Marco Buschmann: Das Rechtsinstrument namens epidemische Notlage von nationaler Tragweite hat nichts mit der Frage zu tun, ob Corona vorbei ist oder nicht. Es ist ein altes Maßnahmenpaket aus einer Zeit, als wir noch keinen Impfstoff hatten. Alle Zahlen zeigen uns, dass das wichtigste Instrument zur Bekämpfung der Pandemie nicht Lockdown oder Schulschließungen sind, sondern eine möglichst hohe Impfquote. Alle Länder mit einer hohen Impfquote haben eine niedrigere Inzidenz und eine niedrigere Auslastung der Intensivstationen. Deshalb wollen wir jetzt mit einem neuen, moderneren Maßnahmenpaket gegen Corona vorgehen. Dieses Maßnahmenpaket enthält, was die Länder brauchen, um Infektionen zu unterbrechen. Es kann aber nicht das Wichtigste ersetzen: In den Bundesländern muss die Impfkampagne und vor allen Dingen auch die Booster-Impfung für ältere Menschen vorangetrieben werden. Da gilt es jetzt, Tempo zu machen.

    Dennoch ist die Kritik groß, dass SPD, Grüne und FDP mit dem Auslaufen der Notlage zur falschen Zeit das falsche Signal setzen. Welchen Vorteil versprechen Sie sich davon?

    Buschmann: Wir verankern in dem neuen Paket Maßnahmen, die bislang noch gar nicht vorgesehen waren. Wir haben in der Pandemie die traurige Erfahrung machen müssen, dass sehr viele ältere Menschen in den Alten- und Pflegeheimen gestorben sind. Damit sich das nicht wiederholt, bekommen wir jetzt das sehr effektive Instrument, dass dort unabhängig vom Impfstatus getestet wird, weil auch geimpfte Personen das Virus in Einrichtungen eintragen können, in denen sehr viele sehr verletzliche Menschen auf engem Raum zusammenleben.

    Davon steht noch nichts im Gesetzentwurf. Wird es eine tägliche Testpflicht geben, wie es viele fordern?

    Buschmann: Wir haben diesen Punkt in dem Anschreiben an die Fraktionen des Bundestages dargelegt. Die Frage ist, ob man dafür wirklich eine bundesweite gesetzliche Änderung braucht oder ob das die Bundesländer nicht bereits jetzt können. In Schleswig-Holstein beispielsweise wird in den Alten- und Pflegeheimen bereits sehr viel und engmaschig getestet. Wenn die Bundesländer der Meinung sind, dass man hier Rechtsklarheit herstellen muss, werden wir das tun. Unsere Position ist klar: Die verletzlichsten Menschen müssen vor Infektionen geschützt werden. Hier muss sehr viel intensiver getestet werden.

    Sie nehmen mit Aufhebung der epidemischen Lage dem Bundesgesundheitsminister die Möglichkeit, so etwas einfach per Verordnungen zu erlassen. Wo ist denn nun der Vorteil?

    Buschmann: Im alten Maßnahmenpaket lag der Schwerpunkt auf der Möglichkeit, das öffentliche Leben faktisch lahmzulegen. Da ist sehr viel von Schließungen von Einrichtungen und Betrieben die Rede – also das, was man unter dem Begriff Lockdown zusammenfasst. Diese Instrumente lassen sich vor Gerichten nicht mehr begründen. Statt in einen Lockdown müssen wir jetzt unsere Energie in eine engagiertere Durchführung der Impfkampagne stecken.

    Warum setzen Sie dann in Ihrem Gesetzentwurf nicht explizit auf 2G als Maßnahme? Das hat in Österreich zu Schlangen vor Impfzentren geführt…

    Buschmann: Der Gesetzentwurf erlaubt, dass Bundesländer auch auf 2G setzen können. Das darf uns aber nicht davon abbringen, weiter an einer erfolgreicheren Impfkampagne zu arbeiten.

    Würde denn eine Ampel-Regierung die Werbung für die Impfkampagne anders machen und verstärken?

    Buschmann: Das ist unser Ziel. Wir beraten morgen in einem Praxis-Panel, wie man die Impfquote erhöhen kann. Wir müssen bestimmte Teile der Gesellschaft besser erreichen. Wir müssen die Aufklärungskampagne für die Impfungen noch stärker auch in anderen Sprachen betreiben und intensiver mit Vertrauenspersonen aus den verschiedensten Bevölkerungsgruppen zusammenarbeiten. Das werden wir vorantreiben. Dass ist nicht nur für die Betroffenen wichtig, sondern für das gesamte Gemeinwesen.

    Sie wollen zum 21. März alle Maßnahmen auslaufen lassen, und man hält Ihnen vor, dass sie das Ende der Pandemie zum Frühjahr ausgerufen haben. Unterschätzen Sie nicht das Virus?

    Buschmann: Das ist ein Missverständnis. Das neue Maßnahmenpaket gilt befristet. Auch die bisherige epidemische Lage von nationaler Tragweite war immer befristet und musste verlängert werden. Insofern ist das überhaupt nichts Neues. Wir haben diese Befristung deshalb betont, weil es große Sorgen gibt, dass unbefristete Maßnahmen möglicherweise nie enden. Natürlich war das Frühjahr in der Vergangenheit immer durch einen starken Rückgang der Infektionszahlen gekennzeichnet. Man wird im März bewerten müssen, wie die Lage ist. Unser Ziel ist, dass alle Teile der Gesellschaft durch eine sehr hohe Impfquote und Boosterimpfungen so widerstandsfähig gegen das Virus sind, dass wir uns wieder Normalität erlauben können.

    Eine andere Frist haben Sie sich bei den Koalitionsverhandlungen gesetzt: In der Nikolaus-Woche soll der Kanzler gewählt werden. Ist das noch zu halten? Man hört aus den Verhandlungen, dass es ruckelt und rumpelt…

    Buschmann: Es überrascht überhaupt nicht, dass es bei einigen Themen sehr große Unterschiede gibt. Das war vor der Wahl bekannt, wenn man die Parteiprogramme nebeneinandergelegt hat. Dass die Verhandlungen bei manchen Themen ein bisschen länger dauern als bei anderen, ist nicht weiter verwunderlich. Mein Eindruck ist aber, es geht sehr konstruktiv und sehr professionell zu. Die Gesprächsrunden sind sehr ergebnisorientiert. Wir sind nach wie vor sehr zuversichtlich, dass wir den Zeitplan einhalten. Aber wenn es ein bisschen länger dauert, ist auch das kein Beinbruch. Aber wir liegen sehr gut in der Zeit.

    Am meisten hakt es in der Klimapolitik. Die ersten Grünen drohen schon mit vorgezogenen Neuwahlen. Ist ein Kompromiss überhaupt möglich?

    Buschmann: Die Neuwahl-Äußerung vom grünen Verkehrsminister Winfried Hermann aus Baden-Württemberg ist nach meiner Kenntnis eine absolute Einzelmeinung. Wir müssen aus Respekt vor den Wählerinnen und Wählern mit dem Wahlergebnis arbeiten, wie es ist. Selbstverständlich wird man in der Klimapolitik Kompromisse finden können. Alle drei Parteien haben das Ziel, beim Klimaschutz effektive Maßnahmen voranzubringen. Es gibt unterschiedliche Auffassungen dazu, wie man den Klimaschutz mit anderen gesellschaftlichen Zielen wie der Erhaltung unseres Wohlstandes in Einklang bringt. Genau dafür führen wir jetzt Koalitionsverhandlungen. Der professionellste Rahmen für gute Gespräche ist Vertraulichkeit und deshalb reden wir nicht über Wasserstände.

    Sie haben sich in den Sondierungen darauf geeinigt, klimaschädliche Subventionen abzubauen. Können Sie verraten, an was Sie da denken? Die Pendlerpauschale zum Beispiel oder der niedrigere Steuersatz für Diesel?

    Buschmann: Wir haben als FDP zum Beispiel die steuerliche Subvention für Hybrid-Fahrzeuge im Auge. Große Einigkeit herrscht, dass wir an die Pendlerpauschale nicht ran wollen. Denn darauf sind viele fleißige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angewiesen. Die Abschaffung der Pendlerpauschale würde dazu führen, dass noch mehr Menschen in die großen Dienstleistungszentren ziehen, wo Wohnraum bereits knapp ist. Das lässt die Mieten noch schneller steigen. Eine Abschaffung der Pendlerpauschale hätte also verheerende Folgen.

    Am Subventionsabbau hängt auch die Frage der Finanzierung Ihrer Projekte. Wo kommt das Geld her, um Deutschland klimaneutral zu machen, wenn man die Schuldenbremse einhalten und keine Steuern erhöhen will?

    Buschmann: Es besteht große Einigkeit, dass es zum Großteil um private Investitionen gehen wird. Deshalb müssen wir Anreize setzen, damit privates Kapital auch investiert wird. Wir wollen uns um Wirtschaftswachstum bemühen. Wenn der Konjunkturmotor in Gang kommt, dann wird auch viel Geld in die Kassen gespült, ohne dass Steuern erhöht werden müssen. Darüber hinaus diskutieren wir über sehr viel Staatsgeld für Investitionen, das bereits auf dem Tisch liegt, aber seit geraumer Zeit nicht abfließt. Deshalb müssen wir die Bürokratie schnell und couragiert abbauen, damit die Mittel konkret investiert werden können und der Investitionsstau aufgelöst wird. Wir sind in vielen Punkten einen Schritt weiter und werden eine Lösung finden.

    Die Schuldenbremse schreibt keine schwarze Null vor, sondern erlaubt Kredite von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, unter dem Strich knapp zehn Milliarden Euro. Wird die Koalition diesen Rahmen ausschöpfen?

    Buschmann: Wir haben vereinbart, dass wir die Schuldenbremse des Grundgesetzes einhalten. Und was innerhalb dieses Spielraums möglich ist, nutzen wir dann natürlich auch, wenn es erforderlich ist und wir es brauchen. Entscheidend ist für uns, solide nachhaltige Finanzen zu garantieren und die Errungenschaft der Schuldenbremse zu verteidigen.

    Kommendes Jahr ist die Schuldenbremse noch ausgesetzt. Ökonomen raten, eine Rücklage aufzubauen, um nach Corona die Wirtschaft klimagerecht umzubauen. Wäre das ein Modell, dem die Freien Demokraten zustimmen?

    Buschmann: Über die weitere Haushaltsplanung werden wir nach den Koalitionsverhandlungen entscheiden, wenn wir nachgerechnet haben, was wir in den vier Jahren konkret machen wollen und können. Es wäre unseriös, solche Fragen jetzt abstrakt zu beantworten.

    Glauben Sie nach den jetzigen Konflikten, dass am Ende der Koalitionsverhandlungen ein echtes Aufbruchssignal stehen kann, das auch so in der Bevölkerung wahrgenommen wird?

    Buschmann: Daran arbeiten wir gemeinsam. Das Beispiel Corona zeigt, wie konsequent wir uns auch ohne einen Koalitionsvertrag in einem der schwierigsten Politikfelder einigen konnten. Das waren sehr sachliche, sehr vertrauensvolle Gespräche. Viele Bürgerinnen und Bürger wollen keine politische Drama-Queen-Veranstaltung, sondern dass man hart an der Sache arbeitet und Lösungen findet. Wir haben einen neuen Stil gefunden. Es wäre ein Aufbruch, wenn man auf dieser Basis die gesamte künftige Regierungspolitik vorantreibt.

    Zur Person: Marco Buschmann ,44, aus Gelsenkirchen, ist Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion. Zuvor war er Bundesgeschäftsführer der Partei.

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