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Interview: Expertin zu Notre-Dame: "Der Wiederaufbau könnte Jahrzehnte dauern"

Interview

Expertin zu Notre-Dame: "Der Wiederaufbau könnte Jahrzehnte dauern"

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    Flammen und Rauch schlagen aus der Kathedrale Notre Dame auf, der kleine Spitzturm (Mitte) beginnt einzustürzen.
    Flammen und Rauch schlagen aus der Kathedrale Notre Dame auf, der kleine Spitzturm (Mitte) beginnt einzustürzen. Foto: Thierry Mallet, AP/dpa

    Frau Bengel, Sie sind als Kunsthistorikerin für die Dombauhütte des Straßburger Münsters tätig. Wie schätzen Sie den kulturhistorischen Verlust durch die Brandkatastrophe von Paris ein?

    Sabine Bengel: Der Brand ist eine absolute Katastrophe und hat unwiederbringlich Bauteile und Ausstattungsgegenstände von Notre-Dame in Paris zerstört. Dazu zählt der historische Dachstuhl. Teile davon stammen aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Zerstört wurden auch Glasfenster aus gotischer Zeit und viele weitere Kunstgegenstände. Das genaue Ausmaß kennt man ja noch gar nicht. Auch die Beschädigung der Baustruktur – die Kathedrale stammt in großen Teilen aus dem 12. und 13. Jahrhundert – die durch die Hitze des Feuers und Löschwasser verursacht wurde, muss man erst einmal evaluieren.

    Sie nehmen regelmäßig an den europäischen Dombaumeistertagungen teil und haben viele Kontakte zu anderen Kathedralen. Wie haben Ihre Kollegen auf die schrecklichen Bilder aus Paris reagiert?

    Bengel: Die Kollegen, mit denen ich Montagabend Kontakt hatte, waren genauso geschockt wie ich. Die Fernseh-Bilder waren wirklich unfassbar. Glücklicherweise sind keine Menschen zu Schaden gekommen. Wir haben – nachdem klar war, dass von dem Dach nichts mehr übrig bleibt – alle Angst gehabt um die historischen Gewölbe und den Glockenstuhl im Nordturm der Kathedrale, der ja brannte und der bei seinem Einsturz mit seiner 13 Tonnen wiegende Glocke die darunterliegenden Gewölbe zum Einsturz gebracht hätte. Auch um die Glasfenster und unzähligen Kunstgegenstände im Inneren hatten wir Sorgen.

    Gab es schon Solidaritätsaktionen?

    Bengel: Als Zeichen der Verbundenheit mit der Pariser Kathedrale haben heute alle großen europäischen Kirchen und Kathedralen, die im Netzwerk der europäischen Dombaumeistervereinigung organisiert sind, um 12 Uhr für 5 bis 10 Minuten die Glocken erklingen lassen.

    Auf viele wirkte das Szenario wie bei einem Kirchenbrand im Mittelalter. Ging es Ihnen auch so?

    Bengel: Ich hab in der Tat an die Großbrände des Straßburger Münsters gedacht. Fast in jedem Jahrhundert seit seiner Erbauungszeit brannte der Dachstuhl einmal ab. Schließlich wurde der erste Blitzableiter erst im frühen 19. Jahrhundert installiert. Als der Dachstuhl das letzte Mal niederbrannte, nützte der Blitzableiter leider nichts... Das war bei der Beschießung Straßburgs durch die Artillerie der Deutschen im Jahr 1870.

    Anders als in Deutschland gibt es in Frankreich keine Kirchensteuer. Was bedeutet das für den Unterhalt der Kirchen und in diesem Fall für den Wiederaufbau von Notre-Dame?

    Bengel: Das bedeutet, dass die Kirchen von den Kommunen instandgehalten werden müssen. Für den Erhalt der Kathedralen ist der französische Staat als Eigentümer zuständig. Da staatliche Mittel begrenzt sind, geht es kaum ohne Spenden. Auch Restaurierung der zerstörten Teile von Notre-Dame ist ohne das Engagement von Unternehmen und Privatleuten nicht denkbar. Dieses Projekt wird kolossale Summen verschlingen und könnte Jahrzehnte dauern.

    Aber es kann doch keinen Zweifel geben, dass das Vorhaben gelingt?

    Bengel: Die Spendenbereitschaft wird sehr groß sein. Die Pariser Kathedrale ist ein Symbol für ein ganzes Land, religiöses Zentrum und ein als Weltkulturerbe klassifiziertes Bauwerk, das jährlich 13 Millionen Gläubige und Besucher aus der ganzen Welt anzieht.

    Immerhin scheint der Aufbau von Notre-Dame technisch möglich, nachdem die architektonische Struktur erhalten geblieben ist.

    Bengel: Ein Wiederaufbau ist immer möglich, selbst wenn nichts mehr da ist, aber viele originale Bauteile sind ein für alle Mal zerstört.

    Sabine Bengel
    Sabine Bengel Foto: Kaminski

    Es wird ja allgemein angenommen, dass Holzbauteile das Risiko eines Feuers vergrößern. Doch nun zeigt sich, dass auch Metall keine Sicherheit bietet. Wie ist das zu erklären?

    Bengel: Der Dachstuhl war aus Holz, gedeckt mit Bleiplatten, die schon bei Temperaturen von rund 300 Grad schmelzen. Das geschmolzene Blei ist dann wahrscheinlich durch die Gewölbeöffnungen und Lüftungsschlitze in den Innenraum getropft und hat Ausstattungsgegenstände beschädigt oder in Brand gesetzt. Genauso war es, als im 18. Jahrhundert der Dachstuhl des Straßburger Münsters brannte.

    In Städten mit berühmten Kirchen wird nun eine Debatte über Brandschutz ausbrechen... Werden die Konzepte überprüft werden müssen?

    Bengel: Brandschutz ist schon lange ein Thema, aber es wird nun nochmals enorm an Bedeutung gewinnen. Gerade letzte Woche habe ich mit Kollegen vom Kölner Dom gesprochen, die sich aktuell mit den Notfallplänen zum Schutz der Kunstwerke des Domes beschäftigen. Allerdings erschien uns ein solches Szenario wie jetzt  in Paris fast unvorstellbar. Auch in Straßburg wird man versuchen, nachzubessern. Das ist sicher, obwohl es bei uns im Dachstuhl Feuermelder und Brandschutzwände und -türen gibt, die elektrischen Leitungen im Münster erneuert wurden und es strenge Regeln und Sicherheitsvorkehrungen für offenes Feuer auf Baustellen gibt.

    Sabine Bengel,  ist promovierte Kunsthistorikerin bei der Fondation de l’Oeuvre Notre-Dame (Münsterbauhütte Straßburg), die über umfangreiche Sammlungen zur Geschichte des Münsters verfügt. Sabine Bengel lebt in Kehl am Rhein bei Straßburg und in Augsburg.

    Alles zum Brand der Kathedrale Notre-Dame in Paris hier zum Nachlesen im Live-Blog

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