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Interview: Ex-Soldat: "Der Krieg in Afghanistan wird weitergehen"

Interview

Ex-Soldat: "Der Krieg in Afghanistan wird weitergehen"

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    Ein Soldat der Afghanischen National-Armee auf Patrouille.
    Ein Soldat der Afghanischen National-Armee auf Patrouille. Foto: Roberte Schmidt, afp

    Herr Erös, Sie kennen Afghanistan seit Mitte der 80er Jahre und sind dort seit 1998 mit Ihrer Hilfsorganisation aktiv. Die Isaf-Mission der Nato ist seit 1. Januar offiziell beendet. Doch die USA bleiben präsent. Was ändert sich?

    Der Begriff „Ende des Kampfeinsatzes“ durch den Abzug der Kampftruppen führt den militärischen Laien in die Irre. Auch wenn die USA rund 80 Prozent ihrer Soldaten abziehen, werden sie weiterhin mit großer militärischer Schlagkraft in Afghanistan präsent bleiben. Der Krieg in Afghanistan wird weitergehen – mit einer steigenden Zahl von Opfern unter der Bevölkerung und bei den afghanischen Sicherheitskräften.

    Was heißt denn „Kampftruppen“?

    Die Nato definiert als „Kampftruppe“ ausschließlich die Infanterie, sprich Fallschirm- und Gebirgsjäger, Grenadiere, sowie die Panzertruppe. Diese Truppenteile sind sehr personalstark, benötigen umfangreiche Logistik und Unterstützungstruppen. Sie sind daher sehr teuer. „Nicht-Kampftruppen“ können vor Ort bleiben. Dazu gehören Spezialeinheiten wie die Navy-Seals, Kampfdrohnen, Kampfflugzeuge, private Söldnertruppen und Spezial-Einheiten der CIA. Diese Einheiten sind wenig personalintensiv und daher eher „preisgünstig“. Die Schlagkraft dieser „Nicht-Kampftruppen“ ist in einem asymmetrischen Krieg wie in Afghanistan, wo reguläre Truppen gegen Milizen der Taliban kämpfen, oft höher als der von regulären Bodentruppen. Für die USA ist Afghanistan geostrategisch zu wichtig, um sich komplett zurückzuziehen.

    Und die Deutschen?

    Die rein militärische Bedeutung der Bundeswehr in diesem Krieg war von Anfang an gering. Ihr Einsatz hatte vor allem politischen Charakter. Mit der neuen Mission „Resolute Support“ setzt Deutschland endlich stärker auf militärische Ausbildung. Das ist nicht verkehrt, kommt aber sehr spät. Damit, aber auch mit der Auswahl und auch der Bezahlung geeigneter Rekruten, hätte man bereits vor zwölf Jahren beginnen müssen.

    Wie schlagkräftig ist die afghanische Armee?

    Die „Afghan National Security Forces“ – also Polizei und Armee – zählen derzeit rund 350000 Mann. Sie werden bislang ausschließlich vom Westen bezahlt. Sollte irgendwann kein Geld mehr aus dem Ausland fließen, würden Armee und

    Es gibt also ein Loyalitäts-Problem?

    Die meisten Soldaten und Polizisten fühlen sich nicht dem Staat Afghanistan, sondern ihren ethnisch verwandten Vorgesetzten zur Loyalität verpflichtet. Ihre berufsbedingte Lebenserwartung zählt zu den geringsten weltweit. Fast 5000 Sicherheitskräfte wurden im Jahr 2014 getötet. Ein Drittel der Rekruten quittierte unmittelbar nach der Ausbildung den Dienst oder lief wegen besserer Bezahlung mit Waffen und Ausrüstung zu den Aufständischen über. In den vergangenen drei Jahren hat auch das „internal killing“, also tödliche Angriffe afghanischer Rekruten auf ihre ausländischen Ausbilder, dramatisch zugenommen. Daher werden sie derzeit nur an Holzgewehren trainiert. Eine nicht nur für Bundeswehr-Ausbilder völlig neue Erfahrung.

    Sie waren vor wenigen Wochen dort. Wie ist die Sicherheitslage?

    Die Sicherheitslage für die Bevölkerung – nicht für die Isaf-Truppen – hat sich seit 2010 von Jahr zu Jahr verschlechtert. Die größten Probleme sind Korruption, Entführungen und Gewaltkriminalität. Die Produktion von Opium, dem Grundstoff für Heroin, ist seit 2001 von rund 180 auf circa 7000 Tonnen im Jahr 2014 geradezu explodiert.

    Und die afghanischen Taliban?

    Die hatten schon in den vergangenen Jahren kaum Möglichkeiten, internationale Truppen in Kämpfe zu verwickeln, da die Isaf-Bodentruppen ihre hoch gesicherten Camps kaum noch verlassen. Nach deren komplettem Abzug werden die Aufständischen verstärkt weiche Ziele angreifen: Also Ausländer und ihre afghanischen „Kollaborateure“ in Hotels oder Restaurants. 2014 kamen mehr Zivilisten ums Leben als Isaf-Soldaten in den dreizehn Jahren zuvor.

    Wie sehen Sie die Zukunft Afghanistans? Droht der Staat zu zerfallen?

    Für wahrscheinlicher halte ich einen Zerfall der Zentralmacht Kabul. Ich erwarte eine extrem föderale Machtverteilung auf die Provinzen, eine Dominanz von regionalen Herrschern und ein stammesorientiertes Patronage-System. Schwache staatliche Strukturen gepaart mit ungebremster Korruption werden dazu beitragen, dass sich der Anbau von Drogen weiter ausbreitet. Dann droht ganz Afghanistan ein mafiöser Narco-Staat zu werden, mit Zuständen wie im Norden Mexikos.

    Was kann der Westen, was Deutschland tun, um dem Land zu helfen?

    Wir müssen endlich eine Strategie für den zivilen Aufbau definieren. Ein alle Lebensbereiche umfassendes Konzept, um vorher genau festgelegte Ziele zu erreichen. Das Versprechen von Entwicklungsminister Gerd Müller, Afghanistan im nächsten Jahr mit 400 Millionen Euro zu unterstützen, greift zu kurz. Bevor Geld fließt, muss geklärt sein, auf welches Niveau die deutsche Entwicklungshilfe Afghanistan bis 2020 in den Bereichen Infrastruktur, Bildung, Ausbildung, Arbeitsplätze, medizinische Versorgung bringen will. Entwicklungshilfe muss die Einheimischen in die Lage versetzen, Projekte eigenständig anzugehen und am Laufen zu halten. Es tut mir fast körperlich weh zu sehen, wie viel staatliches Geld, aber auch Herzblut unserer Soldaten in den Bau von Einrichtungen investiert wurde, die jetzt verrotten.

    Haben Sie ein konkretes Beispiel?

    In Kabul wurde ein topmodernes Dialysezentrum gebaut. Das ist sicher schön für einige Kranke in der Hauptstadt, keine Frage. Mit dem gleichen Geld aber hätte man hundertmal mehr Menschen am Leben halten können, wenn damit die katastrophale medizinische Grundversorgung auf dem Land verbessert worden wäre. Projekte müssen sich an die bestehenden Strukturen anpassen, wenn sie nachhaltig Erfolg haben sollen. Viel zu oft wurde westliches Niveau angestrebt. Das ist zum Scheitern verurteilt.

    Wie wichtig ist Bildung?

    Bildung ist nicht alles, aber ohne Bildung ist alles nichts. Das gilt besonders für ein Land, das reich an Rohstoffen, aber auch „überreich“ an Nachwuchs ist. Gebildete Frauen und Mütter werden am effektivsten in der Lage sein, die katastrophale Bevölkerungsexplosion – circa sechs Kinder pro Familie – zu bremsen. Darin liegt der Schlüssel für den Beginn einer Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Strukturen.

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