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Interview: Deutschlands oberster Soldat: "Haben uns in den letzten 20 Jahren kaputt gespart"

Interview

Deutschlands oberster Soldat: "Haben uns in den letzten 20 Jahren kaputt gespart"

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    Eberhard Zorn will sich die Bundeswehr nicht schlechter reden lassen, als sie ist: Der Generalinspekteur ist mit der Personallage zufrieden, drängt aber auf eine rasche Modernisierung der technischen Ausrüstung.
    Eberhard Zorn will sich die Bundeswehr nicht schlechter reden lassen, als sie ist: Der Generalinspekteur ist mit der Personallage zufrieden, drängt aber auf eine rasche Modernisierung der technischen Ausrüstung. Foto: Manfred Rinke

    Eberhard Zorn ist seit April 2018 Generalinspekteur der Bundeswehr und damit Deutschlands ranghöchster Soldat. Der 59-jährige Saarländer hat seine militärische Laufbahn bei der Artillerie in Idar-Oberstein begonnen, Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der Bundeswehruniversität in Hamburg studiert und später unter anderem ein Panzerartilleriebataillon und eine Luftlandebrigade befehligt. Er hat im Verteidigungsministerium gearbeitet, im Führungsstab des Heeres und als Büroleiter für seinen Vorgänger als Generalinspekteur, Volker Wieker. Wir haben mit ihm in Neuburg an der Donau über die Zukunft der Bundeswehr gesprochen.

    Herr Zorn, der Wehrbeauftragte des Bundestages hat der Bundeswehr geraten, sich beim Beschaffen von Material und Ausrüstung ein Vorbild an Ikea zu nehmen. Was kann die Truppe von einem schwedischen Möbelhaus lernen?

    Eberhard Zorn: Wir müssen uns Dinge, die handelsüblich zu kaufen sind, schneller und unkomplizierter beschaffen und nicht für jeden Bergstiefel, jede Uniformjacke und jedes Päckchen Verbandsmaterial gleich eine große Ausschreibung starten. Außerdem sollten wir nicht jeden Hubschrauber und jedes Kampfflugzeug neu entwickeln, sondern uns auch bei Großprojekten häufiger für Modelle entscheiden, die in befreundeten Ländern wie Kanada oder den USA bereits eine Zulassung haben. So sparen wir wertvolle Zeit bei der Ausrüstung der Truppe. Wir haben das erkannt, aber wir sind da noch nicht schnell genug.

    Zu wenig Ausrüstung, zu wenig Personal, zu viel Bürokratie: Die Bundeswehr hat viele Probleme. Was sind denn für Sie die größten Baustellen?

    Zorn: Am Geld liegt es nicht, um das mal vorwegzusagen, das haben wir, weil der Etat der Bundeswehr in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen ist. Diese PS müssen wir nun aber auch auf die Straße bringen. Den größten Handlungsbedarf sehe ich im Moment darin, die Ausrüstung flächendeckend zu modernisieren und auch in der Bevorratung mit Ersatzteilen besser zu werden: Hier haben wir uns in den vergangenen 20 Jahren regelrecht kaputtgespart. Beim Personal dagegen bin ich guter Dinge.

    Bundeswehr: Zahl der Bewerber steigt

    Guter Dinge? Im Moment sind 20.000 Dienstposten unbesetzt. Ist die Bundeswehr nicht attraktiv genug? Oder bekommt sie nur die Dummen, die Dicken und die Doofen, wie eine Nachrichtenagentur gerade gespottet hat?

    Zorn: Die Bundeswehr wächst personell jedes Jahr. Das heißt, wir bekommen immer mehr Dienstposten hinzu, für die wir neues Personal einstellen. Zurzeit sind rund 39.000 Neueinstellungen in der Ausbildung und kommen in den nächsten Jahren auf ihre Posten. Fakt ist: Wir haben steigende Bewerberzahlen. Bei Offizieren und Feldwebeln können wir uns aus vier Bewerbern einen aussuchen. Für die heutigen Verhältnisse am Arbeitsmarkt ist das ein sehr guter Wert. Und der formale Bildungsstand der Bewerber ist durch die Bank hoch. Offiziere müssen ohnehin die Hochschulreife haben, aber auch ein Drittel der Bewerber für die Feldwebellaufbahn hat Abitur, der Rest hat die Mittlere Reife. Vor allem für Bewerbungen aus der IT-Branche sind wir deutlich attraktiver als noch vor einigen Jahren.

    Wir dachten bisher, ein Informatiker geht im Zweifel in die freie Wirtschaft, weil er dort besser verdient.

    Zorn: Wir haben unsere Herangehensweise stark regionalisiert und werben sehr gezielt im Umfeld unserer IT-Bataillone um Leute mit entsprechenden Kenntnissen, also um Informatiker oder Systemadministratoren aus der jeweiligen Region. Teilweise haben wir dort schon 90 Prozent der Stellen besetzt. Bis vor zwei Jahren hatten wir hier Besetzungsquoten um die 40 Prozent.

    Generalinspekteur Zorn: Eine neue Wehrpflicht wäre ein Kraftakt

    Heißt das, es funktioniert auch ohne die Wehrpflicht? Für die meisten Zeit- und Berufssoldaten war sie doch über Jahrzehnte der Einstieg in den Beruf, eine Art Schnupperpraktikum.

    Zorn: Ich bin nicht gegen die Wehrpflicht. Aber würden wir sie heute wieder reaktivieren, wäre das für uns ein organisatorischer und logistischer Kraftakt. Denken Sie nur an die Unterbringung. Heute haben wir in den Kasernen überall Ein- oder Zwei-Personen-Stuben. Wenn wir jetzt wieder regelmäßig Wehrpflichtige bekämen, bräuchten wir auch wieder größere Stuben, mehr Fahrzeuge, mehr Gewehre usw. Alles das muss man in dieser Diskussion mitbedenken.

    Sie haben als Soldat im ehemaligen Jugoslawien selbst Auslandserfahrung gesammelt. Mal ehrlich: Ist die Bundeswehr für weitere Missionen noch gut genug aufgestellt? Die Verteidigungsministerin spekuliert bereits über einen Einsatz in der Sahel-Zone, einem neuen Aufmarschgebiet der Dschihadisten.

    Zorn: Die Situation in Afrika ist politisch und ökonomisch extrem schwierig, gerade in einer so instabilen Region wie den Sahel-Staaten. Das führt zu neuem Migrationsdruck. Und nur, weil der Islamische Staat in Syrien nicht mehr Fuß fassen kann, ist der islamistische Terror ja noch nicht zerschlagen. Wir haben klare Signale, dass sich die Terroristen in einigen afrikanischen Staaten mit anderen Zellen verbünden – zum Beispiel im Niger. Dort bilden wir als Bundeswehr seit drei Jahren ein Bataillon der örtlichen Streitkräfte aus, wir sind also schon da und wir haben zu Hause noch Reserven. Außerdem finanzieren die Europäische Union und die Bundesrepublik einen Teil der Ausrüstung dieser Soldaten. Gleichwohl ist die Sicherheitslage in der Region insgesamt schlechter geworden, auch das gehört zur Wahrheit mit dazu.

    Frankreich stockt seine Truppen in Mali und den angrenzenden Staaten auf, auch Tschechien schickt Soldaten in die Sahel-Zone. Kann Deutschland es da bei einer Ausbildungsmission belassen oder braucht die Bundeswehr ein neues, robusteres Mandat?

    Zorn: Die Franzosen führen dort eine Anti-Terror-Operation mit nationalem Mandat. Und ja, sie suchen nach Unterstützung aus anderen Ländern. Wir brauchen für alle Einsätze immer einen Auftrag der Europäischen Union oder der Vereinten Nationen und grundsätzlich die Zustimmung des Bundestages. In Frankreich aber sagt der Präsident: Truppe marsch! Bei uns ist das nicht so. Wir können uns vorstellen, dass wir in der Region unsere Ausbildungsaktivitäten noch verstärken, mehr Berater stellen. So ermöglichen wir es den heimischen Streitkräften, irgendwann selbst für die Sicherheit ihrer Länder zu sorgen. Ehrlicherweise aber muss man feststellen, das ist eine komplexe Aufgabe, die langen Atem erfordert und nur ressortgemeinsam zu lösen ist.

    Zorn: „Ich gebe mein Bestes, genauso wie unsere Soldatinnen und Soldaten“

    In Libyen stellen sich solche Fragen womöglich schneller und eindringlicher. Wird die Bundeswehr Teil einer europäischen Friedensmission sein, die den Waffenstillstand dort überwacht und garantiert?

    Zorn: Ehe wir solche Fragen diskutieren, muss sich der Waffenstillstand erst einmal etablieren. Da sind wir noch mitten in den diplomatischen Verfahren. Erst dann können wir die Bandbreite der militärischen Möglichkeiten betrachten. Sie reicht von der Ausbildung über die Luftraumüberwachung bis zu Truppen am Boden und hier wiederum vom Arzt bis zu den Spezialkräften. Dann brauchen Sie eine sogenannte Lead-Nation, die das federführend übernimmt. Wenn im Rahmen eines solchen Einsatzes von uns etwas gefordert wird, dann werden wir das prüfen – und erst anschließend können wir auch etwas anbieten. Wir haben die Schlüsselfähigkeiten, die dafür erforderlich sind.

    Trotzdem wird in Deutschland unablässig über die Bundeswehr gespottet, geklagt und geschimpft. Wie persönlich nehmen Sie als ranghöchster Soldat diese Kritik? Haben Sie sich ein dickes Fell zugelegt?

    Zorn: In bestimmten Phasen hat uns die Kritik auch geholfen, weil sie die Aufmerksamkeit auf die Probleme der Truppe gerichtet und den Blick der Politik geschärft hat. Ich persönlich leide nicht unter ihr. Ich gebe mein Bestes, genauso wie unsere Soldatinnen und Soldaten und unsere zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und dadurch wird die Bundeswehr immer besser.

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