Herr Günther, der Bundestag hat am Mittwoch das Infektionsschutzgesetz final diskutiert und beschlossen. Kanzlerin Angela Merkel macht damit eine Ansage an die Ministerpräsidenten, weil sie sich nicht auf eine gemeinsame Linie beim Kampf gegen das Coronavirus einigen konnten. Warum haben es Sie und Ihre Amtskollegen nicht hinbekommen?
Daniel Günther: Wir hatten eine einheitliche Linie verabredet und über die längste Zeit hat Deutschland eine gemeinsame Antwort auf die Pandemie gegeben. Ein bisschen selbstkritisch muss man auch sagen, wenn alle Länder die Maßnahmen umgesetzt hätten, dann hätten wir auch die Debatte nicht gehabt. Von daher kann ich die Sicht des Bundes verstehen. Deshalb haben wir uns in Schleswig-Holstein dieser Debatte nicht verschlossen.
Es gibt namhafte Virologen und Intensivmediziner, die fordern einen strengen Lockdown von zwei, drei Wochen, um die dritte Welle zu brechen. Selbst die bundeseinheitliche Notbremse, die jetzt kommen soll, reiche nicht aus. Gehen Sie davon aus, dass die jetzigen Instrumente ausreichen werden?
Günther: Ja. Aus meiner Sicht reichen sogar die bestehenden gesetzlichen Grundlagen aus, um die Pandemie zu bekämpfen. Jedes Land hat das notwendige Rüstzeug dazu in der Hand. Wenn alle Länder diese Maßnahmen konsequent umsetzen, bekommt man die dritte Welle gebrochen. Unsere Erfahrungen in Schleswig-Holstein sind so, dass man den Stufenplan nach oben und unten anwenden muss. Also nicht nur öffnen, sondern sofort, wenn die Zahlen hochgehen, ein strengeres Regelwerk ansetzen.
Besonders kontrovers wird bei der Anpassung des Infektionsschutzgesetzes die nächtliche Ausgangssperre diskutiert. Würde sie auch in Schleswig-Holstein verhängt, wenn die Inzidenz auf 100 stiege? Derzeit liegt sie bei rund 70.
Günther: Ich hoffe, dass das nicht nötig wird, aber ausschließen kann ich das natürlich nicht. Deswegen werden wir dann das Bundesgesetz in Schleswig-Holstein anwenden. Wir sind auch nicht grundsätzlich gegen Ausgangssperren. Wir hatten in Flensburg einmal die Situation, dass die Inzidenz bei fast 200 lag. Da haben wir die Ausgangssperre genutzt. Ich kann allerdings aus meinen Erfahrungen sagen, dass ich sie ab einem Wert von 100 nicht für angemessen halte.
Ab welchem Wert dann?
Günther: Wenn die Inzidenzen über 100 deutlich ansteigen, halte ich das Mittel für gerechtfertigt. Aber man kann auch feststellen, der durchschlagende Erfolg bei uns in Flensburg kam durch eine richtig harte Kontaktbeschränkung. Treffen mit anderen außerhalb des eigenen Hausstandes waren für kurze Zeit verboten. Die Ausgangssperre hat einen symbolischen Wert und die Wirkung ist überschaubar groß.
Sie tauschen sich viel mit den Experten aus, mit den Gesundheitsämtern und Medizinern. Ihr Tipp – können wir im Sommer wieder in Deutschland Urlaub machen wie immer und wie die Ölsardinen am Strand liegen?
Günther: Es wäre zu früh, die Prognose zu wagen, dass der Sommerurlaub ganz normal werden wird. Ich glaube, dass Urlaub möglich sein kann. Im letzten Jahr war es ja auch möglich, aber nicht wie die Ölsardinen, sondern mit Abstand. Ich finde, das ist auch nicht so schlimm. Je schneller wir beim Impfen unterwegs sind, werden wir eine Impfquote erreichen, die die Inzidenz sinken lässt und die Krankenhäuser entlastet. Im Hochsommer kann ich mir Urlaub gut in Deutschland vorstellen.
Können Sie schon absehen, welche Auswirkungen die Pandemie auf die Tourismusbranche in Ihrem Bundesland hat?
Günther: Ganz genau kann man das noch nicht prognostizieren. Im Grundsatz würde ich aber sagen, dass weite Teile des Inlandstourismus in den nächsten Jahren eher profitieren werden. Wenn die Öffnungsschritte da sind, wird es relativ schnell wieder bergauf gehen. Wobei wir jetzt sehr vorsichtig in zwei Modellregionen öffnen, damit die Zahlen nicht wieder steigen und das Sommergeschäft verhagelt wird.
Fast genauso stark wie Corona hat die Öffentlichkeit der beinharte Machtkampf in der Union zwischen Armin Laschet und Markus Söder gefesselt. Sind Sie froh, dass es vorbei ist?
Günther: Uneingeschränkt Ja.
Nachdem Söder klein beigegeben hatte und Laschet der Kanzlerkandidat war, veröffentlichten Meinungsforscher neue Umfragewerte. Die Union stürzte ab und landete hinter den Grünen, bei einer Civey-Umfrage unserer Redaktion sagte nur jeder Fünfte, dass er glaubt, Laschet werde Kanzler. Wie können Sie mit so einem Mann in das Rennen gehen?
Günther: Es gibt unterschiedliche Kriterien, die man berücksichtigen muss. Umfragewerte haben in der Abwägung eine Rolle gespielt. Aber man muss sich fragen, gewinnen wir mit einem Kandidaten eine Wahl und sind wir danach in der Lage, auch eine Koalition zu bilden? Nach dieser Woche wird niemand mehr bezweifeln, dass Armin Laschet Durchsetzungskraft hat. Er ist erfolgreicher Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen. Und er hat die letzte Landtagswahl nach hartem Kampf gegen eine beliebte Amtsinhaberin gewonnen. Armin Laschet hat den Zweiflern gezeigt, dass er es kann.
Wer ist der stärkere Gegner für die Union bei der Bundestagswahl – Annalena Baerbock oder Olaf Scholz?
Günther: Es spricht alles dafür, dass sich die Frage zwischen der Union und den Grünen abspielen wird.
Die Grünen haben die anderen Parteien mit ihrer eisernen Disziplin und Geschlossenheit bei der Kandidatenkür beeindruckt. Was muss die Union jetzt tun, um so gut wie die Grünen anzukommen? Geschlossenheit war einmal ein Markenzeichen von CDU und CSU.
Günther: Die Grünen haben genau die gegenteilige Entwicklung gemacht wie wir als Union. Sie haben gemerkt, wie Geschlossenheit in der Öffentlichkeit wirkt. Der Erfolg in den Umfragen gibt ihnen recht. Sie sind aber bisher den Beweis schuldig geblieben, wie man aus Umfragen auch gute Wahlergebnisse macht. Das ist unsere Stärke. Wir sind meistens in den Ergebnissen besser gewesen als in den Umfragen. Aber das werden wir nur, wenn wir aus den Fehlern der letzten Zeit die richtigen Schlüsse ziehen.
Welche könnten das sein?
Günther: Wir sollten jetzt nicht kopieren, dass man gar nicht mehr diskutiert. Davon darf sich eine Partei nicht befreien. Das wäre mir zu wenig. Geschlossenheit werden wir nur erreichen, wenn wir uns nicht nur über Personen, sondern auch über politische Inhalte definieren. Da hat die CDU noch ein Defizit. Dieses Vakuum müssen wir ganz schnell füllen.
Welche müssen die inhaltlichen Kernpunkte eines Unionsprogramms sein?
Günther: Corona wird bei der Wahl natürlich eine Rolle spielen. Wir müssen als Union das Land gut aus der Krise führen, auch wirtschaftlich. Das ist der erste Pfeiler, der stehen muss. Wir müssen es als Union zweitens schaffen, dass Thema Klimaschutz nicht selbst schon bei den Grünen zu verorten. Wir müssen das als eigene Kompetenz sehen, denn wir haben die Kraft, Klimaschutz mit Wohlstand zu verbinden. Und drittens – wir haben den Anspruch, dass wir in Deutschland wieder schneller werden, um international mitzuhalten. Bei uns gibt es zu viel Trägheit, zu viel Bürokratie, festgefahrene Verfahren und lange Planungen. Das ist ein Thema, bei dem die Grünen keine wirksamen Konzepte haben.
Jetzt muss Markus Söder nur noch mitmachen …
Günther: Es hat sehr geholfen, dass Markus Söder auf der Pressekonferenz gesagt hat, dass er Armin Laschet unterstützt. Ich habe keinen Zweifel, dass Markus Söder sich daran halten wird.
Zur Person: Daniel Günther, 48, geboren in Kiel, regiert seit dem Juni 2017 das nördlichste deutsche Bundesland Schleswig-Holstein mit einer Koalition aus CDU, den Grünen und der FDP. Der Politikwissenschaftler ist praktizierender Katholik.
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