Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Interview: Claudia Roth zu Waffenlieferungen: "Mir fehlt die Gesamtstrategie"

Interview

Claudia Roth zu Waffenlieferungen: "Mir fehlt die Gesamtstrategie"

    • |
    Als Vizepräsidentin des Bundestags ist Claudia Roth lehnt deutsche Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga-Kämpfer ab.
    Als Vizepräsidentin des Bundestags ist Claudia Roth lehnt deutsche Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga-Kämpfer ab. Foto: Ulrich Wagner

    Was spricht gegen deutsche Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga-Kämpfer?

    Dass gerade heute, am 1. September, dem Tag, an dem die Deutsche Wehrmacht vor 75 Jahren Polen überfallen und damit den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hat, die Bundesregierung und der Bundestag einen Tabubruch begehen und beschließen, Waffen in ein Kriegsgebiet zu liefern, bedrückt mich sehr. Ganz allgemein stört mich, dass die Verengung der Diskussion allein auf Waffenlieferungen an die Kurden eine sehr deutsche Debatte ist. Viele wollen damit ihr Gewissen beruhigen und die Kurden für uns die Arbeit machen lassen. So übernimmt man aber gerade nicht die Verantwortung, die viele im Munde führen.

    Welche Alternativen gibt es?

    Mir fehlt die Gesamtstrategie. Es wurde nicht darüber nachgedacht, welche Verantwortung etwa Länder wie Katar oder die Türkei haben, aus denen Gelder für die Terrormilizen geflossen sind, und wie man das schnell beenden kann. Man muss auch überlegen, wie die illegalen Öleinnahmen des IS trockengelegt werden können und welche Rolle die Vereinten Nationen spielen sollen.

    Welchen Beitrag könnte Deutschland abgesehen von Waffen leisten?

    Es gibt in der Region bereits mehr als genügend Waffen. Die humanitäre Offensive ist deswegen viel wichtiger. Die Tragödie der Flüchtlinge geht ja weiter. Etwa 1,7 Millionen Menschen sind im Nordirak auf der Flucht. Sie brauchen Nahrung, Wasser, feste Unterkünfte und Medikamente. Auch Deutschland müsste mehr Flüchtlinge aufnehmen. Dass Waffen im Wert von 70 Millionen Euro geliefert werden sollen, aber nur 50 Millionen Euro für humanitäre Hilfe ausgegeben wird, zeigt deutlich das Missverhältnis.

    Die Kurden sind plötzlich eine Art Partner im Kampf gegen die IS-Terroristen geworden. Wie zuverlässig sind die Kurden. Besteht nicht die Gefahr, dass deutsche Waffen irgendwann gegen den NATO-Partner Türkei eingesetzt werden?

    Es gibt seit Längerem friedliche Verhandlungen zwischen der Türkei und den Kurden, deswegen glaube ich das nicht. Eher besteht die Gefahr eines Bruderkampfes zwischen den Kurden. Und wer soll denn dann die Waffen bekommen? Die irakischen oder die syrischen Kurden, oder doch die PKK? Die

    Brauchen wir eine neue Staatenordnung im Nahen und mittleren Osten, die die Sünden der Kolonialzeit ausbügelt?

    Ganz viele Menschen in der Region sagen, dass sich die mit dem Lineal gezogene Politik der einstigen Kolonialmächte Frankreich und England jetzt rächt. In erster Linie brauchen wir jetzt aber Hilfe für die Menschen vor Ort, die ja auch eine Stabilisierung der Region bedeutet.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden