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Interview: Claudia Roth: "Habe häufig polarisiert"

Interview

Claudia Roth: "Habe häufig polarisiert"

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    Claudia Roth will in Zukunft nicht mehr regelmäßig in die heiße politische Kampfszene eintauchen, sondern den "Parlamentarismus" stärken.
    Claudia Roth will in Zukunft nicht mehr regelmäßig in die heiße politische Kampfszene eintauchen, sondern den "Parlamentarismus" stärken. Foto: Fred Schöllhorn

    Gerade erst feierte sie einen emotionalen Abschied vom Grünen-Parteivorsitz – jetzt ist Claudia Roth Bundestagsvize. Die 58-Jährige muss zeigen, dass sie moderieren und schlichten kann.

    Sie waren Jahre lang ganz vorn an der politischen Kampflinie. Als neue Bundestagsvizepräsidentin haben Sie ein eher diplomatisches überparteiliches Staatsamt. Müssen Sie sich jetzt stark umstellen?

    Claudia Roth: Bei meiner Wahl habe ich erklärt, dass ich mir ernsthaft vorgenommen habe, das Amt so auszuüben, wie ich bin. Ich weiß, dass viele Menschen ein festes Bild von mir haben, und ich habe auch häufig polarisiert. Aber ich kann durchaus zwischen politischen Haltungen und Personen unterscheiden. Dazu gehört, dass ich mit politischen Gegnern wie Günther Beckstein, Peter Gauweiler oder Markus Söder ein persönlich gutes Verhältnis pflege.

    Claudia Roth: "Wollte zeigen, was politische Verantwortung ist"

    Haben Sie sich an Ihre neue Rolle denn schon gewöhnt?

    Roth: Ich fühle mich noch ein bisschen wie in einem Film, bis ich das Ganze nach elfeinhalb Jahren Parteivorsitz wirklich verarbeitet habe. Die Partei hat mir vor einer Woche ja einen unglaublich bewegenden und emotionalen Abschied bereitet. Aber ich war über das Ergebnis im Bund und vor allem zuvor auch in Bayern bitter enttäuscht und wollte als Vorsitzende zeigen, was politische Verantwortung ist. Ich wollte nicht so tun, als ob ich mit dem schlechten Abschneiden nichts zu tun habe. Ich wollte Platz machen für eine Neuausrichtung und neue Leute. Und ich hatte auch ein bisschen die Sehnsucht, mich selbst raus zu begeben aus dem politischen Nahkampf und Themen intensiver zu bearbeiten.

    Viele werfen Ihnen vor, dass es bei Ihrer Kandidatur vor allem um Postenversorgung nach dem Rücktritt ging.

    Bundestagswahl 2013: Die Reaktionen

    "Das ist ein Superergebnis. Wir werden damit verantwortungsvoll und sorgsam umgehen. Feiern dürfen wir heute schon, denn wir haben's toll gemacht." (Bundeskanzlerin Angela Merkel)

    "Der Ball liegt im Spielfeld von Frau Merkel, sie muss sich eine Mehrheit besorgen." (SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück)

    "Das ist eine schwere Stunde für die FDP. Als Spitzenkandidat übernehme ich dafür Verantwortung. Das ist nicht das Ende der Partei. Es wird schwieriger, aber die Arbeit wird weitergehen." (FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle)

    "Wer hätte das 1990 gedacht, dass diese Partei die drittstärkste politische Kraft der Bundesrepublik Deutschland wird. Das haben wir geschafft." (Linke-Spitzenkandidat Gregor Gysi)

    "Das ist bitter, und wir werden uns dieser bitteren Realität gemeinsam stellen müssen." (Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin)

    "CDU und CSU haben phänomenal abgeschnitten." (CSU-Chef Horst Seehofer)

    "Es ist die bitterste, die traurigste Stunde in der Geschichte der Freien Demokratischen Partei." (FDP-Chef Philipp Rösler zum Resultat der Liberalen)

    "Ich kann nur eines sagen: Dass ich bitter enttäuscht bin von diesem Ergebnis. Das ist eine heftige Niederlage." (Grünen-Bundestagsabgeordnete Claudia Roth)

    "Deutschland ist mit der AfD blau geworden. Wir sind aus der politischen Szene in Deutschland nicht mehr wegzudenken." (AfD-Vizechefin Frauke Petry über ihre Partei)

    "Die Deutschen wollen, dass sie vier Jahre weiter regiert. Das Ergebnis ist in erster Linie Anerkennung für die Arbeit von Angela Merkel." (CDU-Vize Armin Laschet)

    "Wir wollen derzeit nach dem Ausgang der Bundestagswahl keine Koalitionsaussagen treffen. Das wird nun zunächst in den Gremien besprochen. Wir haben uns sicherlich einen höheren Zuwachs gewünscht. Nun ist Angela Merkel gefragt." (SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles)

    "Wir hatten mehr erhofft. Das ist kein Auftrag der Wähler, um Gespräche über die Regierung zu führen. Der Ball liegt jetzt bei Angela Merkel. Sie hat die entsprechenden Gespräche zu führen." (SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann)

    "Wir haben einen klaren Auftrag der Wähler, die Regierung zu bilden. Das Ergebnis zeite, dass die Wähler wollten, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt. Ein Ergebnis von mehr als 40 Prozent hattee man für eine Volkspartei schon gar nicht mehr für erreichbar gehalten." (Unionsfraktionschef Volker Kauder)

    "Das Ergebnis ist zutiefst enttäuschend. Jetzt geht es nicht um Koalitionsspekulation wie etwa Schwarz-Grün. Zunächst ist eine Fehleranalyse nötig."(Grünen-Bundestagsabgeordneter Omid Nouripour)

    "Wir hätten uns deutlich mehr Schwung erhofft für Bayern" (SPD-Landesvorsitzender Florian Pronold)

    "Das ist die bitterste Stunde für die Liberalen seit vielen Jahrzehnten. Wir haben in der Öffentlichkeit nicht überzeugt. Es gibt ausreichend liberales Wählepotenzial. Das gilt es jetzt abzurufen". (FDP-Vorsitzender Nordrhein-Westfalen Christian Lindner)

    "Es gibt mehr Kommunisten in Deutschland als Liberale. Das macht mir sehr große Sorgen." (FDP-Entwicklungsminister Dirk Niebel)

    "Ich finde das eine beachtliche Leistung, dass man mit fünf Ministern der größten Bundestagsfraktion aller Zeiten innerhalb von vier Jahren die FDP von 14,6 auf 5 Prozent oder darunter bringt. Eine ordentliche Wahlkampfstrategie mit einem souveränen Auftreten sieht anders aus. (Kieler FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki)

    "Man wählt niemanden, der sich zum Wurm macht. Das Einzige, was die FDP noch hätte schlimmer machen können, wäre gewesen, Hundewelpen aufs Plakat zu machen mit der Aufforderung: 'Bitte, bitte, wählt uns.'" (Vorsitzender der Jungen Liberalen Lasse Becker)

    "Es gilt der alte Grundsatz, dass alle demokratischen Parteien untereinander auch gesprächsbereit sein sollten. Es ist aber klar, dass sich die politischen Positionen von Union und Grünen im Wahlkampf sehr weit auseinanderbewegt haben." (CDU-Vorstandsmitglied Annegret Kramp-Karrenbauer)

    "Ich hatte mir ein besseres Ergebnis gewünscht. Wir müssen überlegen, wie wir unsere Positionen einfacher, verständlicher und klarer an die Bürger bringen." (Piraten-Chef Bernd Schlömer)

    Roth: Darum ging es mir überhaupt nicht. Ich wäre ja auch so Bundestagsabgeordnete geblieben. Wenn jetzt manche sagen, das ist ein Austragsstübchen, dann ist das eine falsche Vorstellung von Parlamentarismus. Es gab bei den Grünen nicht den Anspruch, wie kann man mir etwas Gutes tun, sondern es gibt klare Erwartungen an mich, dieser Funktion ein Gesicht und eine Stimme zu geben. Es geht darum, das Parlament zu stärken und gegen den Eindruck anzugehen, dass politische Debatten vor allem in Fernseh-Talkshows stattfinden und dass hier das Parlament kaum noch vorkommt.

    Eine Erwartung wird auch sein, die Rechte der geschrumpften Opposition bei einer Großen Koalition zu stärken. Wie wollen Sie das Problem lösen?

    Roth: Es ist schon heftig, wenn man im Parlament den großen Block aus Union und SPD sitzen sieht und man Linke und Grüne auf den paar Sesseln kaum noch erkennen kann. Dass eine Opposition aus Grünen und Linke die Minderheitenrechte etwa für Untersuchungsausschüsse oder Verfassungsklagen erhält, wird angesichts bisheriger Zusagen hoffentlich weniger das Problem sein als der normale Parlamentsbetrieb – etwa bei den Redezeiten. Im Moment wäre es so, dass bei einer halbstündigen Debatte, die Grünen und die Linken jeweils drei Minuten Redezeit bekämen; Union und

    Angela Merkel: akribisch auf die Koalitionsgespräche vorbereitet

    Man hätte eine starke Opposition haben können, wenn es Schwarz-Grün gegeben hätte. Warum hat es nicht geklappt? Man hat nach Sondierungen selten eine so warmherzige Absage gehört …

    Roth: Wir sind in die Gespräche gegangen, um ernsthaft zu sondieren, ob das was werden könnte mit dieser Union. Wir haben zwar im Wahlprogramm gesagt, wir wollen aus inhaltlichen Gründen am liebsten Rot-Grün, haben aber andere Optionen nicht kategorisch ausgeschlossen. Im Vorfeld gab es Entgleisungen der CSU gegen uns, und am Anfang saßen wirklich drei Parteien am Tisch, das hat man deutlich gemerkt. Aber dann stellten wir eine große Offenheit der Kanzlerin fest. Sie war akribisch vorbereitet und zitierte sogar aus unserem Mitgliederentscheid zum

    Wo sind sich Grüne und Union nähergekommen?

    Roth: Wir haben vor allem von der CSU einen komplett neuen Ton zum Thema offene Gesellschaft gehört, vor allem von Horst Seehofer. Konkret, wenn es um die doppelte Staatsbürgerschaft oder das Arbeitsverbot für Asylbewerber ging. Dieser neue Ton war sehr gut, nachdem jahrzehntelang die Realität einer Einwanderungsgesellschaft geleugnet wurde. Allerdings gab es keine Bewegung, wenn es um die Gleichberechtigung von schwulen und lesbischen Paaren ging.

    Schwarz-Grün ist für Claudia Roth nicht ausgeschlossen

    Muss Schwarz-Grün nicht eine Alternative sein, wenn sich die Grünen nicht ewig an die SPD binden wollen?

    Roth: Alle demokratischen Parteien müssen grundsätzlich in der Lage sein, miteinander zu koalieren. Schwarz-Grün ist für uns genauso wenig ausgeschlossen wie Rot-Rot-Grün. Entscheidend ist, ob es inhaltlich zusammenpasst. Wir richten unsere Inhalte nicht nach möglichen Koalitionen aus, sondern umgekehrt. In Hamburg hat Schwarz-Grün unter Ole von Beust sehr gut funktioniert. Dann kam ein Wechsel bei der CDU und danach ging es nicht mehr. Es hängt sehr stark von Personen ab. Und jetzt gerade wird in Hessen sehr ernsthaft zwischen

    Interview: Michael Pohl

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