Herr Bischof, reden wir über Hoffnungen.
Bischof Heiner Wilmer: Das bewegt mich gerade sehr, bitte.
Die Hoffnungen vieler engagierter Katholiken auf Reformen wurden jüngst wieder einmal bitter enttäuscht. In einer Vatikan-Instruktion wurden Leitungsteams für Pfarreien aus Pfarrern und Laien ausgeschlossen. Können Sie die Verärgerung nachvollziehen?
Wilmer: Ich kann sie nachvollziehen, zumal die deutschen Bischöfe von der Instruktion nichts wussten. Aber es handelt sich meiner Meinung nach um ein Bündel aus Missverständnissen, und das liegt auch an der schlechten deutschen Übersetzung der Instruktion.
Das Vatikan-Papier wurde als belehrend und rückwärtsgewandt empfunden. Trotz eines massiven Priestermangels bleibe die Kirche priesterzentriert, hieß es. So würden endgültig die verprellt, die sich noch engagieren…
Wilmer: Den zweiten Teil der Instruktion kann man so lesen. Der erste Teil hingegen betont den missionarischen Auftrag aller Christinnen und Christen.
Auch eine Reihe Ihrer Mitbrüder kritisierte das Papier, eine Art Verwaltungsanweisung, scharf als „wirklichkeitsfern“. Es säe Misstrauen.
Wilmer: Ich plädiere für eine differenzierte Betrachtung. Es scheint, dass ein Teil des Textes vor zehn Jahren geschrieben wurde, zur Zeit des Pontifikats von Papst Benedikt XVI. Ein anderer Teil, der erste, trägt klar die Handschrift von Papst Franziskus. In ihm geht es darum, dass das Volk Gottes der Hauptakteur der Evangelisierung sei.
Kürzlich trafen sich die Diözesanbischöfe in Würzburg, um über das Papier zu diskutieren. Sind hinter verschlossenen Türen die Fetzen geflogen?
Wilmer: Wie Sie wissen, ist das, was im Ständigen Rat besprochen wird, vertraulich. Grundsätzlich wünsche ich mir eine Streitkultur, in der es auch heftig zugehen kann. Die unterschiedlichen Gruppen können ihre Meinung sagen und bleiben doch zusammen. Ich halte das für eine wichtige Aufgabe. In Würzburg stand am Ende der eindeutige Tenor: Es ist gut, ein Gesprächsangebot des Präfekten der zuständigen Kleruskongregation, Kardinal Beniamino Stella, nach Rom anzunehmen.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz will den obersten deutschen Laien-Vertreter dazu mitnehmen. Ob das Stella wohl passt?
Wilmer: Ich gehe davon aus, dass sich auch die römische Behörde freut, wenn Getaufte Verantwortung übernehmen.
Was erhoffen Sie sich von dem Treffen im Vatikan?
Wilmer: Ich erhoffe mir eine gute Gesprächskultur. Und ich erhoffe mir, dass wir die Umstände, in denen die Menschen jeweils leben, ernst nehmen. Die Frage ist doch: Wie können wir in Deutschland die Frohe Botschaft so leben und verkünden, dass sie uns trägt?
Eine Reihe Ihrer Mitbrüder kündigte zudem an, Strukturreformen weiter zu verfolgen – und bei denen spielen engagierte Laien eine große Rolle. Ist das offener Widerstand gegen Rom?
Wilmer: Widerstand sehe ich hier nicht. Gleichwohl sehe ich Bedarf für weitere Klärungen.
Sie selbst stellen im Bistum Hildesheim die Leitung der Pfarrgemeinden um und setzen auf lokaler Ebene auf Teams. Es sei nicht mehr nur der Pfarrer, der alles entscheide, sagten Sie.
Wilmer: Und das liegt völlig auf Linie der Instruktion. Wir sind nun einmal Kirche im Wandel.
Bischöfe und Laien haben in Deutschland den Reformprozess „Synodaler Weg“ begonnen, der am Freitag unter anderem in München fortgesetzt wird. Wurde er durch die Instruktion torpediert? Immerhin geht es um Maßnahmen gegen eine Kleriker-Kirche...
Wilmer: Nein, denn ich sehe die Instruktion mit ihren inhaltlichen Spannungen als Einladung zum Gespräch. Sie enthält Hinweise und Bemerkungen, über die wir nachdenken sollten. Die Vatikan-Instruktion ist kein Dogma. Warten wir also einmal ab.
Sie sind seit fast genau zwei Jahren Bischof. Zuvor waren Sie Leiter der Herz-Jesu-Priester weltweit und Lehrer in New York. Fragen Sie sich manchmal: Wo bin ich da nur hineingeraten?
Wilmer: Ach, ich bin da gelassen. Wissen Sie: Unsere deutsche Schwäche besteht darin, dass wir auf alles, das von außen kommt und uns belehren könnte, hochsensibel reagieren. Weil wir uns als Lehrmeister verstehen. Wir werden dann leider auch so wahrgenommen in der Welt – als Oberlehrer.
Vor neun Monaten fragte ich Sie: Macht es Ihnen Spaß, Bischof zu sein?
Wilmer: Und ich bin nach wie vor guter Dinge, und das ist nicht einfach so dahergesagt. Ich erfreue mich an den Begegnungen, die ich habe, und bin ein Teamspieler. Anders hätte ich meine internationalen Funktionen gar nicht ausfüllen können. Andernfalls hätten sie mich in Rom, als ich Ordensgeneral der Herz-Jesu-Priester war und mit Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern und Kulturen arbeitete, sicher in den Tiber geworfen.
Sie lachen.
Wilmer: Ich will sagen: Partizipation ist überaus wichtig in und für die Kirche. Das ist auch der Schlüssel für die Zukunft.
Fürchten Sie eigentlich, dass Sie in diesem Jahr vor leeren Kirchenbänken das Weihnachtsfest feiern müssen?
Wilmer: Weihnachten ist in diesem Jahr angesichts der Corona-Krise eine ganz besondere Herausforderung, der wir uns als verantwortliche Getaufte stellen müssen. Es ist richtig, dass wir jetzt schon anfangen zu planen – unter der Annahme, dass sich am Infektionsgeschehen im Dezember nichts wesentlich verändert hat. Dazu brauchen wir ein fundamentales Umdenken, denn wir müssen trotz der krisenhaften Umstände bei den Menschen sein.
Sagen Sie das auch selbstkritisch? Es gab zuletzt ja harsche Kritik an den Bischöfen. Diese hätten sich die staatlichen Vorgaben zur Eindämmung der Pandemie unhinterfragt zu eigen gemacht – und öffentlich dazu geschwiegen, dass Angehörige Sterbenskranke oder Alte nicht mehr in Kliniken oder Pflegeheimen besuchen durften.
Wilmer: Ich will zunächst mal bei mir bleiben und nicht von den Bischöfen reden. Im Nachhinein hätte ich vielleicht das eine oder andere anders angehen können und sollen. Das lasse ich mir gerne sagen. Ich weiß aber, wie viele Menschen sich um andere gekümmert und gesorgt haben und das auch weiterhin tun. Vieles geschieht im Verborgenen. Da ist dann kein Mikrofon angeschaltet. Es ist wirklich nicht so, dass die Kirche in eine Schockstarre gefallen wäre. Im Gegenteil: Es wurde viel in der Seelsorge getan, für die Schwachen, für die Einsamen.
Halten Sie ein erneutes Gottesdienstverbot für wahrscheinlich?
Wilmer: Davon gehe ich nicht aus. Ich denke aber, dass wir noch einige Jahre mit dem Coronavirus werden leben müssen.
Sie sprachen von einem fundamentalen Umdenken. Was meinen Sie damit?
Wilmer: Menschen werden aus Sorge um ihre Gesundheit Kirchen oder Räumlichkeiten, in denen viele zusammenkommen, nicht betreten. Deshalb müssen wir kreativ werden, um sie zu erreichen – zum Beispiel mit neuen digitalen Formaten. Zudem können wir vom Judentum lernen, wo die großen Feste besonders auch in der Familie gefeiert werden. Wir müssen Menschen also bestärken, Hauskirche zu sein – auch mit liturgischem Wissen. Wir müssen ihnen vermitteln: Ihr seid Kirche, ihr seid Gemeinde, auch zu Hause!
Sie widmen Ihr neues Buch „Trägt. Die Kunst, Hoffnung und Liebe zu glauben“ jenen, „die sich vor Viren und anderem Übel ängstigen“. Schließen Sie da die von manchen als „Covidioten“ bezeichneten sogenannten Corona-Leugner mit ein?
Wilmer: Corona zu leugnen, ist für mich eine Form der Angst. Und Angst kann uns steuern. Sie kann uns dazu treiben, Dinge zu tun, die am Ende inhuman sind. Angst kann gefährlich sein. Mich besorgt, dass Teile unserer Gesellschaft momentan nach außen drängen, anstatt zusammenzuhalten.
Dabei hieß es zu Beginn der Corona-Krise, diese stärke den Zusammenhalt.
Wilmer: Das Coronavirus ist wie eine Offenbarung. Es zeigt uns, wie wir sind – in einer Weise, wie wir uns vorher nicht gesehen haben. Weil es Dinge aufdeckt, die unter der Oberfläche schwelen. Ich erlebe es auch als Verstärker: Wer vorher ängstlich war, wird ängstlicher. Wer kreativ war, beschreitet neue Wege.
Die Gräben werden tiefer?
Wilmer: Ja. Daher bedürfen wir einer höheren Energie, das heißt Gottes Hilfe, um als Gesellschaft zusammenzubleiben. Die Hauptaufgabe der Kirche liegt jetzt darin, Hoffnung zu geben. Ohne Hoffnung bricht unsere Kultur zusammen. Ohne Hoffnung sterben wir.
Zur Person: Heiner Wilmer wurde 1961 im Emsland geboren. Mit 19 trat er in die Ordensgemeinschaft der Herz-Jesu-Priester ein. Sein neues Buch „Trägt“ (160 Seiten, 16 Euro) ist Mitte August im Verlag Herder erschienen und bereits ein Bestseller. Co-Autor ist Cheflektor Simon Biallowons aus Mering bei Augsburg.