Sie haben Guido Goldman 2006 kennengelernt. Wie kamen Sie darauf, ein Buch über ihn – „Amerikas Mr. Germany“ erscheint im Verlag Herder – zu schreiben?
Martin Klingst: Das war seine Idee. Goldman fragte mich 2019, ob ich über ihn schreiben würde. Das Auswärtige Amt wollte aus Anlass des 50. Gründungstages des German Marshall Fund (GMF) im Jahr 2022 eine Biografie über ihn in Auftrag geben. Goldman war schließlich Gründungsdirektor der transatlantischen Denkfabrik. Für mich kam das völlig überraschend. Nach einiger Bedenkzeit habe ich zugesagt. Vor allem weil ich schnell merkte, dass dieses Leben so interessant ist, das es erzählt werden muss. In ihm spiegeln sich geradezu exemplarisch deutsche, amerikanische und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts wider. Leider hat Goldman das Erscheinen des Buchs nicht mehr erlebt. Er starb am 30. November kurz nach seinem 83. Geburtstag.
Es ist doch erstaunlich, dass ausgerechnet ein jüdischer Mann auf die Idee kommt, sich mit aller Kraft für das deutsch-amerikanische Verhältnis einzusetzen.
Klingst: Das hat viel mit seinen vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland aufgewachsenen Eltern zu tun. Sein berühmter Vater Nahum Goldmann – er schreibt sich tatsächlich mit zwei „n“ – war von Deutschland und der deutschen Kultur auf eine fast nostalgische Art fasziniert, obwohl er den Nazis nur entging, weil er bei der Machtergreifung 1933 auf der Beerdigung seines Vaters in Palästina war. Der spätere Mitbegründer und langjährige Präsident des Jüdischen Weltkongresses floh 1940 mit seiner Frau Alice und den beiden Söhnen Michael und Guido nach New York, blieb aber in vielem durch und durch deutsch. Nach dem Krieg verhandelte er mit dem ersten westdeutschen Kanzler Konrad Adenauer über die Entschädigungszahlungen an Israel und die Überlebenden des Holocausts. Die engen Kontakte des Vaters nach Deutschland haben auch seinen Sohn Guido geprägt, obwohl sein Verhältnis zum Vater eher distanziert war. Guido Goldman beklagte die oft kalte Atmosphäre in seiner Familie; berühmte Väter sind eben nicht immer auch gute Väter.
Guido Goldman - ein Netzwerker zwischen den USA und Deutschland
Guido Goldman wurde am 4. November 1937 in Zürich geboren. Sein Vater Nachum Goldmann (1895 bis 1982) war langjähriger Präsident des Jüdischen Weltkongresses.
1940 kam Guido Goldman mit seinen Eltern und seinem Bruder in New York an. Die jüdische Familie, die vor Goldmans Geburt unter anderem in Frankfurt am Main lebte, musste vor den Nazis fliehen.
1959 nahm Goldman ein Studium in Harvard auf. Er gründete 1969 an der Universität in Harvard ein Programm für Deutschlandstudien – er leitete das Zentrum von 1979 bis 1994.
Im Jahr 1972 war er Mitgründer des German Marshall Fund (GMF), einer Denkfabrik, die sich der Pflege des Verhältnisses zwischen den USA und Europa, mit Schwerpunkt Deutschland, widmet. Guido Goldman war viele Jahre GMF-Direktor.
Guido Goldman gilt als einer der wichtigsten Förderer der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Er starb am 30. November 2020 an seinem Wohnort in Concord, Massachusetts/USA.
Im Studium an der Universität Harvard von Guido Goldman spielte Deutschland eine große Rolle.
Klingst: Guido Goldman studierte in Harvard. Dort fand er allerdings erst am Ende seines Studiums sein Thema. Das war Deutschland. Die Bundesrepublik stieß damals als Frontstaat im Kalten Krieg auf großes Interesse. In Harvard unterrichteten außerdem viele jüdische Professoren mit europäischen Wurzeln. Einer von ihnen war der spätere US-Außenminister Henry Kissinger, der ja aus Fürth kam. Kissinger förderte seinen Studenten Goldman. Und später zeigte sich, dass Guido Goldman – wie sein Vater – ein begnadeter Netzwerker war. Es gelang ihm immer wieder, für transatlantische Projekte bei betuchten Freunden Geld locker zu machen.
Er studierte ja im Jahr 1959 auch einige Zeit in München. Wie waren seine Eindrücke?
Klingst: Goldman kam damals als Austauschstudent zum ersten Mal nach Deutschland, und seine Erfahrungen waren eher bittersüß. Er haderte mit den verknöcherten Strukturen an der Universität. Eine Liebe auf den ersten Blick war Deutschland nicht. Die enge Beziehung entstand erst später.
Dennoch ist bemerkenswert, wie offen er nur wenige Jahre nach dem Krieg und dem Holocaust den Deutschen entgegentrat. Wie ist das zu erklären?
Klingst: Das Deutschlandbild der Eltern war nicht allein durch die Gräuel der Nazizeit geprägt, sondern auch durch viele gute Erfahrungen in den Jahrzehnten davor. Goldmans Vater öffnete dem Sohn dank seiner exzellenten Beziehungen viele Türen. So traf Guido Goldman Kanzler Adenauer und verkehrte mit dem Krupp-Industriellen Berthold Beitz. Doch, dass Deutschland in seinem Leben einen so wichtigen Platz einnehmen würde, war am Anfang noch nicht ausgemacht.
Es gab viele weitere Facetten in Goldmans politischem Leben. Er engagierte sich in den USA mit viel Verve gegen den Rassismus.
Klingst: Goldman erklärt das mit der wichtigen Rolle, die sein schwarzes Kindermädchen Ruth von der Karibikinsel Barbados spielte. Sie war warmherzig und liebevoll. Die beiden hatten ein inniges Verhältnis. Ruth öffnete ihm die Augen für die schreiende Ungerechtigkeit der Rassendiskriminierung. Im New Yorker Appartementhaus, in dem die Goldmanns damals wohnten, gab es zum Beispiel getrennte Fahrstühle. Das Leid der Schwarzen ließ Goldman zeitlebens keine Ruhe. Er engagierte sich in der Bürgerrechtsbewegung und wurde zu einem wichtigen Förderer des weltberühmten Alvin Ailey American Dance Theaters, in dem hauptsächlich Schwarze tanzen.
Er hatte ja einen engen Draht zu dem Republikaner Kissinger. Wie würden Sie Goldman politisch einordnen?
Klingst: Goldman war liberal und stand den Demokraten nahe. Er hatte einen großen Gerechtigkeitssinn. Goldman war begeistert vom sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt und unterstützte dessen Ostpolitik. Er brannte für Politik. Aber auch für Malerei und vorderasiatische Webteppiche, für modernen Tanz und Jazz. Er hatte enorm viele Interessen.
Wie kam es zur Gründung des German Marshall Fund, der ja gerade aktuell sehr wichtig für die stark belasteten transatlantischen Beziehungen ist?
Klingst: Das war vor allem einem Zufall zu verdanken. Goldman suchte Anfang der 70er Jahre in Bonn nach Geldquellen für ein mit von ihm ins Leben gerufenes Westeuropa-Institut in Harvard. Völlig unverhofft bot ihm der damalige Finanzminister Alex Möller 250 Millionen Mark für ein weitergehendes Projekt an. Goldman konnte das kaum glauben. Am Ende wurden es immerhin 150 Millionen Mark, die das Kapital für die Gründung des German Marshall Fund bildeten.
Wie kommt es, dass Goldman in der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland kaum eine Rolle spielt?
Klingst: Er war keineswegs uneitel, aber zog lieber im Hintergrund die Fäden. Er war ein Pragmatiker, ein Menschenfreund und Menschenfischer, der sein Netzwerk überaus erfolgreich für seine vielen Gründungen einspannte. Goldman kannte viele führende Politiker, Geschäftsleute und Künstler persönlich. Neben Willy Brandt auch Kanzler Helmut Kohl, den ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan oder den Sänger Harry Belafonte, um nur einige zu nennen. Die Menschen mochten ihn wegen seiner humorvollen und warmen Art. Goldman hatte ein phänomenales Gedächtnis und konnte wunderbar erzählen.
Hat er die Entwicklungen in den USA in seiner letzten Lebensphase verfolgt?
Klingst: Bis zuletzt. Er war absolut verzweifelt über Donald Trump und freute sich riesig über den Wahlsieg von Joe Biden, den er noch miterlebte. Er wusste genau, was politisch geschah.
Martin Klingst, 65, leitete als Journalist bei der „Zeit“ das Politik-Ressort und war Korrespondent in Washington.
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