Herr Heil, die Corona-Pandemie ist noch nicht beendet, mit welchen Herausforderungen rechnen Sie für den Herbst, wenn die Zahlen wohl wieder steigen?
Hubertus Heil: Corona ist nicht nur die größte Gesundheitskrise unserer Generation, sondern auch die größte Wirtschaftskrise. Ich bin froh, dass es gelungen ist, die Katastrophe am Arbeitsmarkt abzuwenden. Das wichtigste Instrument dafür ist nach wie vor die Kurzarbeit. Das ist unsere stabilste Brücke über ein tiefes wirtschaftliches Tal. Wir hatten in der ersten Welle bis zu sechs Millionen Menschen in Kurzarbeit, das war im April letzten Jahres. Inzwischen sind die Zahlen kräftig zurückgegangen. Bislang haben wir für Kurzarbeit 38 Milliarden Euro aufgewendet. Das ist teuer, aber die Rückkehr von Massenarbeitslosigkeit zuzulassen, wäre teurer gewesen. Deswegen ist es auch richtig, dass ich diese Brücke jetzt noch ein Stück verlängere. Die Verordnung ist bereits auf dem Weg. Damit sorgen wir vor. Ich gehe aber nicht davon aus, dass es im Herbst noch einmal solche massiven Einbrüche geben wird.
Sie befürchten also keine neue Welle der Kurzarbeit?
Heil: Es gibt viele Branchen, die ihre Fachkräfte durch Kurzarbeit an Bord gehalten haben und deshalb jetzt durchstarten können. Das hat den Beschäftigten geholfen, den Unternehmen und der Gesamtwirtschaft. Wenn es gelingt, Lockdown-Maßnahmen durch eine Strategie aus Impfen und Testen zu verhindern, rechne ich nicht damit, dass ganze Branchen wieder in Kurzarbeit gehen müssen. Es gibt aber einzelne Bereiche wie die Eventbranche oder den Messebau, die brauchen weiter Unterstützung. Insgesamt sehe ich aber einen wirtschaftlichen Aufholprozess. Deshalb ist es wichtig, dass es jetzt beim Impfen noch einmal einen Schub gibt.
Wie kann das erreicht werden?
Heil: Wir brauchen niedrigschwellige Impfangebote, wie es sie an vielen Orten bereits gibt. Und wir müssen weiter dafür sorgen, dass der Arbeitsplatz nicht zum Ansteckungsort wird. Deshalb passen wir die Corona-Arbeitsschutzverordnung an. Es wird bei den Hygieneregeln und der Testangebotspflicht bleiben. Aber wir werden die Arbeitgeber anhalten, dass sie stärker an der Impfaufklärung mitwirken und Impfungen im Zweifelsfall auch während der Arbeitszeit ermöglichen.
Wird das ausreichen?
Heil: Durch die neue Strategie von Bund und Ländern ist klar, dass diejenigen, die geimpft sind, ab Oktober wieder Schritt für Schritt zur Normalität zurückkehren. Und diejenigen, die sich nicht impfen lassen, dann ab Oktober für Tests selbst aufkommen müssen. Das finde ich auch fair.
Wie geht es mit dem Homeoffice weiter? Brauchen wir im Herbst wieder eine Pflicht?
Heil: Die Verpflichtung zum Homeoffice hat einen wichtigen Beitrag geleistet, um die Infektionszahlen zu drücken. Zur Zeit ist die Lage eine andere und wir haben mit dem Impfen ein besseres Mittel in der Hand. Aber für mich ist klar, dass wir eher wieder verpflichtendes Homeoffice einführen, als Schulen und Kitas zu schließen. Denn die Kinder haben sehr gelitten in dieser Pandemie.
Viele Arbeitnehmer wünschen sich, dass es künftig auch ohne Corona flexibler gehandhabt wird mit den Arbeitszeiten…
Heil: Aus dem coronabedingten Großversuch Homeoffice haben wir gelernt, dass in vielen Berufen viel mehr Homeoffice möglich ist, als früher gedacht. Wir wissen aus Befragungen, dass viele jetzt erst mal ihre Kollegen wiedersehen wollen, andere aber gerne weiterhin einige Tage im Monat von zu Hause arbeiten möchten. Deshalb bin ich dafür, dass wir den Beschäftigten rechtlich den Rücken stärken und gleichzeitig darauf achten, dass Homeoffice nicht zu einer völligen Entgrenzung von Berufs- und Privatleben führt. Der Gesetzentwurf dazu ist fertig. Aber wir haben ihn mit der CDU nicht durchbekommen, weil die zu sehr in der alten Arbeitswelt lebt.
Viele Menschen machen sich auch Gedanken, wie lange sie in ihrem Leben arbeiten werden und wie gut sie dann im Alter abgesichert sind. Wird sich die Rente auf Dauer ohne höheres Renteneinstiegsalter finanzieren lassen? Und vor allem wie?
Heil: Ich bin froh, dass wir im Bundestagswahlkampf auch über diese so wichtige Zukunftsfrage sprechen. Wir haben das Rentenniveau in dieser Legislaturperiode bis 2025 gesichert. Das müssen wir auch für die Zukunft schaffen. Die Grundlage dafür liegt in einem starken Arbeitsmarkt. Je mehr Menschen in Arbeit sind und je besser die Lohnentwicklung ist, desto stabiler ist auch die gesetzliche Rente.
Auch Ihnen wird ja oft vorgeworfen, einseitig Politik für ältere Bürger zu machen, weil die einen Großteil der Wähler stellen. Was wollen Sie tun, um jüngere Menschen zu entlasten?
Heil: Ich will nicht, dass Generationen gegeneinander ausgespielt werden. Wer jetzt über die Rente mit 70 fabuliert, sagt den Menschen nicht die Wahrheit. In vielen Berufen kann man gar nicht so lange durchhalten. Wer eine stabile gesetzliche Rentenversicherung will, sollte auf die Sozialdemokraten setzen. Denn andere Parteien wollen die gesetzliche Rente zurückdrängen, das Rentenniveau senken oder das Renteneintrittsalter erhöhen. Es geht schließlich um die Zukunft der Alterssicherung für alle Generationen, die jüngere, meine Generation und die ältere.
Ist es denkbar, dass das Renteneintrittsalter nach Berufen gestaffelt wird? Der Dachdecker und die Altenpfleger gehen ohne Abzüge eher in Rente als Verwaltungsangestellte oder Journalisten.
Heil: Flexibel in Rente zu gehen, ist jetzt schon möglich. Eine Aufteilung nach Berufen ist nicht so sinnvoll, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn es gibt doch individuell ganz unterschiedliche Belastungssituationen in den Berufen. Das Wichtigste ist, dass die Menschen in der Arbeit gesund bleiben und durch Qualifizierung die Möglichkeit haben, die Arbeit von morgen zu machen. Denn durch Digitalisierung und den Umbau hin zu einer klimafreundlichen Wirtschaft werden wir in den nächsten 20 Jahren einen enormen Wandel der Arbeitswelt erleben.
Die SPD will den Mindestlohn auf 12 Euro erhöhen, wie kommen Sie auf genau diesen Wert? Die Linke etwa will ja 13 Euro.
Heil: Der Mindestlohn muss armutsfest sein, und da ergeben sich ziemlich genau diese 12 Euro. Das werden wir sehr schnell einführen, wenn Olaf Scholz Kanzler wird. Wer das nicht so wichtig findet, kann Herrn Laschet wählen. Der Mindestlohn ist aber nur eine Lohnuntergrenze. Unser Ziel ist es, dass wir wieder zu mehr Tarifbindung kommen. Deshalb bin ich dafür, dass Aufträge des Bundes nur an die Firmen gehen, die Tarif bezahlen. Ein solches Gesetz war mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier von der CDU nicht zu machen, deshalb werden wir das in der kommenden Legislaturperiode ohne ihn machen.
Noch vor kurzem hätte die Aussage, dass Olaf Scholz Kanzler wird, eher für Schmunzeln gesorgt, tatsächlich befindet er sich aber nun im Aufwind. Was hat er richtig gemacht?
Heil: Wir haben als SPD das Glück, einen Kanzlerkandidaten zu haben, dem die Menschen zutrauen, dass er Kanzler kann. Zweitens haben wir ein Programm mit klaren Aussagen zu wichtigen Zukunftsfragen, etwa wie wir unser Industrieland klimaneutral machen. Und wir sind eine Partei, von der jeder weiß, dass wir auf einen handlungsfähigen Sozialstaat setzen.
Mal angenommen, Sie behalten Recht und die SPD legt weiter zu. Was dann? Ein Bündnis mit Grünen und Linkspartei? Sind letztere für Sie im Bund regierungsfähig?
Heil: Ich führe jetzt keine Koalitionsdebatten. Unser Ziel ist es, eine Regierung anzuführen. Klar ist, dass man zum Regieren verlässliche Partner braucht.
Gegen Rot-Grün-Gelb hat FDP-Chef Christian Lindner erhebliche Bedenken. Und wieder mit der Union koalieren, wollen sie ja selbst nicht...
Heil: Wir sind doch in dieser Regierung, weil die FDP sich ihrer Verantwortung nicht gestellt hat und die SPD Verantwortung für Deutschland übernommen hat. Das war richtig, denn wir haben wichtige Projekte wie die Grundrente durchgesetzt. Und CDU und die CSU haben kein Programm, die sollten sich jetzt mal in der Opposition erholen.