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Interview: Anti-Corona-Maßnahmen: Ist die Zeit reif für einen Tag der Freiheit?

Interview

Anti-Corona-Maßnahmen: Ist die Zeit reif für einen Tag der Freiheit?

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    Länder wie Großbritannien und Dänemark haben versucht, mit einem Tag der Freiheit zur Normalität zurückzukehren - einem Tag also, an dem alle Corona-Beschränkungen fallen.
    Länder wie Großbritannien und Dänemark haben versucht, mit einem Tag der Freiheit zur Normalität zurückzukehren - einem Tag also, an dem alle Corona-Beschränkungen fallen. Foto: Harm Bengen

    Herr Professor Lindner, Gesundheitsminister Jens Spahn will den Ausnahmezustand beenden, mit dem der Bundestag die rechtliche Basis für Kontaktsperren, Maskenpflichten oder Abstandsgebote geschaffen hat. Hat er recht oder kommt das zu früh?

    Lindner: Ehrlich gesagt, verstehe ich diese Diskussion nicht. Auf der einen Seite will Spahn die epidemische Notlage für beendet erklären, auf der anderen Seite aber sollen die einzelnen Maßnahmen weiter in Kraft bleiben. Entscheidend ist letztlich doch, ob es diese epidemische Notlage noch gibt. Angesichts der steigenden Inzidenzen kann man eine länderübergreifende Gefährdungslage, wie das Infektionsschutzgesetz sie verlangt, im Moment vermutlich noch bejahen. Problematisch wird es allerdings, wenn der Bund die Notlage formell beendet, die Länder aber die gesamten „Folterwerkzeuge“ trotzdem weiter anwenden dürfen, wie es jetzt gerade diskutiert wird. Damit würde man den Ausnahmezustand faktisch ins Unabsehbare verlängern.

    Länder wie Großbritannien und Dänemark haben mit einem „Freiheitstag“ alle Einschränkungen beendet und sind in die Normalität zurückgekehrt. Ist das nicht die ehrlichere Lösung?

    Lindner: Es ist auf alle Fälle die klarere Lösung. In Deutschland tun wir so, als hätten wir auch eine Art Freiheitstag, wenn wir die epidemische Notlage beenden. Gleichzeitig aber kassieren wir das sofort wieder ein, indem wir sagen, die Anti-Corona-Maßnahmen müssen selbstverständlich weitergelten. Diese Form der politischen Kommunikation ist desaströs.

    Wenn jeder sich impfen lassen kann, und Impfstoff gibt es inzwischen ja genug: Endet dann nicht irgendwann die Schutz- und Fürsorgepflicht des Staates? Sollte ab einem Tag X nicht jeder für sich selbst verantwortlich sein?

    Lindner: Prinzipiell ist das auch meine Auffassung. Die Lage allerdings ist gerade etwas verzwickt. Ob ich in die Kneipe gehe, ob ich mich impfen lasse oder nicht: Das muss jeder von uns für sich selbst entscheiden. Der Staat kann nicht jeden Einzelnen schützen, schon gar nicht vor sich selbst – aber er muss verhindern, dass in Krankenhäusern die Intensivbetten knapp werden. Wenn die sich zu 90 Prozent mit Ungeimpften füllen, hat der Staat eine Verantwortung: Er muss die Ungeimpften zwar nicht vor sich selbst schützen, aber er muss die Gesellschaft davor schützen, dass die Ungeimpften das Gesundheitswesen an die Grenze seiner Belastbarkeit bringen. Diese Sorge der Politik ist aktuell nicht ganz unbegründet, weil unsere Impfquote zu niedrig ist, um einen Tag der Freiheit auszurufen.

    Welchen Spielraum haben Konzertveranstalter, Gastronomen oder Kinobetreiber denn? Die ersten stellen schon auf 2G um, lassen also nur Geimpfte und Genesene in ihre Häuser. In Hessen und Niedersachsen dürfen sogar Supermärkte die 2G-Regel anwenden.

    Lindner: Entscheidet sich ein privater Unternehmer, nur noch für Geimpfte und Genesene zu öffnen, ist das sein gutes Recht. Das fällt unter die Vertragsfreiheit: Ich entscheide selbst, wen ich in meinen Laden lasse und wen nicht. Schwieriger wird es, wenn es sich um ein tägliches Massengeschäft handelt, also zum Beispiel um Supermärkte oder Drogerien, auf die die Menschen ja angewiesen sind. Da stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit ganz anders als bei einem Club oder einer Diskothek. Würde ein Supermarkt die 2G-Regel einführen, wäre das rechtlich angreifbar.

    Aus juristischer Sicht ist die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen wichtig. Ist es noch verhältnismäßig, wenn ich im Theater eine Maske tragen muss, sich in den Clubs die Menschen aber ohne Maske aneinanderdrängen?

    Lindner: Wenn das Theater nur Geimpfte und Genesene hereinlässt, ist eine Maskenpflicht meines Erachtens unverhältnismäßig. Bei 3G sieht die Sache anders aus, da habe ich Besucher im Publikum, die zwar getestet, aber eben nicht geimpft sind. Ein gewisses Ansteckungspotenzial ist also da, weil Geimpfte andere, insbesondere Ungeimpfte ja anstecken können – und dieses Risiko kann ich mit einer Maske reduzieren. Soweit in Clubs die 2G-Regel gilt, kann auch hier auf das Tragen von Masken verzichtet werden.

    Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat gerade erst eine Ausgangssperre aus dem vergangenen Jahr als unverhältnismäßig verworfen. Haben wir es in der Pandemie mit den Einschränkungen der persönlichen Freiheiten übertrieben, speziell in Bayern?

    Lindner: Ich würde nicht sagen, dass die Pandemiepolitik der Bayerischen Staatsregierung insgesamt unverhältnismäßig war. An der einen oder anderen Stelle aber hat sie es sicher übertrieben. Denken sie nur an die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen, die auch für Geimpfte galten. Oder dass ich als Geimpfter spät abends nicht mit meiner Frau spazieren gehen durfte, wohl aber mit meinem Hund. Auch die flächendeckende Schließung des Einzelhandels war problematisch, nachdem selbst das Robert-Koch-Institut festgestellt hat, dass das Ansteckungsrisiko mit Maske dort sehr gering ist.

    Die Fraktionschefin der Grünen im Landtag, Katharina Schulze, hält unsere Freiheitsrechte so lange für gewahrt, so lange die Parlamente tagen können und die Justiz ihre Arbeit macht. Was sagt das über das Freiheitsverständnis von Frau Schulze?

    Lindner: Diese Äußerung empfinde ich als geradezu abenteuerlich. Nur weil das Parlament regelmäßig tagt, ist die Freiheit des Bürgers ja noch nicht gewahrt. Das ist schon eine merkwürdige Vorstellung, die Frau Schulze da artikuliert hat. Natürlich hat der Staat die Freiheit der Bürger in der Pandemie massiv eingeschränkt. Nur weil man sich noch halbwegs frei bewegen kann und nicht wie im Gefängnis eingesperrt ist, ist man ja noch kein freier Mensch.

    Josef Franz Lindner lehrt an der Universität Augsburg Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie.
    Josef Franz Lindner lehrt an der Universität Augsburg Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie. Foto: Universität Augsburg

    Österreich verschärft seinen Anti-Corona-Kurs gerade und droht mit einem Lockdown für alle Ungeimpften. Wäre ein solcher Schritt mit unserem Grundgesetz vereinbar? Die bayerische Landtagspräsidentin Ilse Aigner hält ihn als „ultima ratio“ für möglich.

    Lindner: Ein Lockdown ist immer ein Bündel von einzelnen Maßnahmen. Für jede dieser Maßnahmen muss die Politik sauber begründen, ob sie angesichts der epidemischen Lage verhältnismäßig ist. Und dann muss sie in einem zweiten Schritt prüfen, ob diese Maßnahme für Geimpfte und Ungeimpfte gleichermaßen gelten kann. Hier wird man Unterscheidungen für zulässig oder gar geboten halten müssen. Ein pauschaler Lockdown für Ungeimpfte nach dem Motto „selber schuld, wenn ihr nicht geimpft seid“ ist aber meines Erachtens völlig haltlos. Verfassungsrechtlich ebenfalls unvertretbar wäre selbstverständlich ein erneuter Lockdown für alle.

    Zur Person: Professor Josef Franz Lindner (55) lehrt an der Universität Augsburg Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie.

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