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Interview: Anselm Bilgri: "Franziskus ist nur ein Papst der Ankündigungen"

Interview

Anselm Bilgri: "Franziskus ist nur ein Papst der Ankündigungen"

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    Anselm Bilgri, der lange im Kloster Andechs eine führende Rolle gespielt hat, ist in Bayern nach wie vor populär. Viele Menschen suchen den Rat und den geistlichen Beistand des Priesters.
    Anselm Bilgri, der lange im Kloster Andechs eine führende Rolle gespielt hat, ist in Bayern nach wie vor populär. Viele Menschen suchen den Rat und den geistlichen Beistand des Priesters. Foto: Hoffotografen

    Anselm Bilgri war Wirtschaftsleiter des berühmten Klosters Andechs. Dann wurde er aus dem Kloster gedrängt. Der heute 65-Jährige verließ den Benediktinerorden nach Konflikten und macht sich seitdem als Unternehmensberater, Vortragsredner und Buchautor einen Namen. Bilgri empfängt in seiner Wohnung in München zum Gespräch. Sein Hund lauscht von einem Sessel aus in gebotener Distanz.

    Herr Bilgri, fehlt Ihnen Andechs? Für Bayern ist das ja ein magischer Ort.

    Anselm Bilgri: Als ich 2004 das Kloster verlassen habe, vermisste ich nur den künstlerischen Aspekt. Ich hatte ja 1992 die Orff-Festspiele in Andechs mit eigenem Festspielhaus gegründet. Bis heute fehlt mir das Gefühl, Intendant eines Theaters zu sein.

    Sie wären aber gerne Abt von Andechs geworden. Ein anderer wurde Ihnen vorgezogen. Manchem sollen sie wirtschaftlich, auch was die Vermarktung von Andechs betrifft, zu erfolgreich gewesen sein.

    Bilgri: Natürlich wäre ich gerne Abt in Andechs geworden, auch wenn man als Mönch demütig sein sollte. Doch solche Karrieregedanken bleiben auch als Mönch nicht aus. Viele haben damals erwartet, dass ich Abt werde. Doch die Mönche haben mich mehrheitlich nicht gewählt.

    Dabei waren Sie sehr erfolgreich und haben Andechs als Marke erfunden.

    Bilgri: Davon haben die Mönche zwar profitiert, aber der wirtschaftliche Erfolg von Andechs stand für sie bei der Abt-Wahl nicht im Vordergrund. In der Kirche darf man halt nicht wirtschaftlich erfolgreich sein. Und dann hatte ich damals auch noch eine Fernsehsendung und war oft in den Medien. All das gereichte mir bei der Abt-Wahl nicht zum Vorteil. Es ist halt so wie oft im Leben: Wenn einer zu sehr den Kopf rausstreckt, wird er abgehackt. Wenn man schön brav im Mainstream mitsegelt, passiert einem nichts.

    Das ist außerhalb der Kirche nicht anders. Vielleicht ein Trost: Sie sind bis heute in Bayern populär. Manch einer glaubt, Sie seien nach wie vor der Andechs-Chef.

    Bilgri: Wir haben damals jedenfalls wirtschaftlich einiges vorangebracht. Allein der Bierausstoß ist in 20 Jahren um 100 Prozent gestiegen. Die meisten sagen heute immer noch Pater Anselm zu mir. Diesen Menschen sage ich dann: In meinem Entlassungsdekret steht zwar, dass ich selber mich nicht mehr so nennen darf. Dann füge ich hinzu: Wenn Sie mich so ansprechen, habe ich nichts dagegen.

    Ihre Eltern hatten eine Wirtschaft in München. Was lernt man zwischen Bier und Schweinsbraten?

    Bilgri: Da habe ich zwei Dinge gelernt: Zum einen, dass man Geld verdienen muss. Mein Taschengeld musste ich mir bis zum Abitur an der Theke erarbeiten. Zum anderen habe ich gelernt, mich an den Wünschen der Kunden zu orientieren, also zu ihnen freundlich zu sein. Das Wichtigste ist jedoch: Man muss Menschen mögen. So halte ich es bis heute.

    Warum haben Sie sich nach dem prallen Wirtshausleben für das Priesteramt entschieden?

    Bilgri: Meine Eltern waren zwar katholisch, aber keine Kirchgänger. Durch Zufall, fromme Leute würden sagen Fügung, wurde ich Ministrant und habe mit 16 beschlossen, Religionsphilologe zu werden. Mit dem Beginn des Studiums reifte dann der Entschluss, Priester zu werden. Dann kam ich in Kontakt zum Kloster St. Bonifaz in München. Das hat mich so begeistert, dass ich mich entschloss, dann doch Mönch zu werden. Andechs ist das Wirtschaftsgut von

    Was sagten Ihre Eltern zur Mönch-Karriere?

    Bilgri: Die waren nicht begeistert. Sie wollten, dass ich in ihr Geschäft einsteige. Sie wollten für mich sogar ein Hotel aufmachen.

    Doch in Andechs sind Sie ja dann quasi auch Wirt des berühmten Bräustüberls geworden.

    Bilgri: Meine Mutter hat dann zu mir scherzhaft gesagt: Unsere Wirtschaft war dir nur zu klein. Ich war auf alle Fälle auch lange für einen der berühmtesten Biergärten Bayerns verantwortlich. Im Kloster heißt es ja: Vor was man flieht, das holt einen wieder ein.

    Vom Priesteramt sind Sie nach dem Aus in Andechs nicht geflohen.

    Bilgri: Ja, ich bin nach wie vor Priester, darf das Amt aber nur ausüben, wenn es der jeweilige Bischof oder stellvertretend der Pfarrer erlaubt. Der Münchner Kardinal Marx wie der Augsburger Bischof Zdarsa sind da eher zurückhaltend. Ich werde ja auch im Bistum

    Was antworten Sie dann?

    Bilgri: Das geht nur bedingt. Manche Pfarrer geben mir gerne ihr Einverständnis, gerade in Zeiten des Priestermangels. Und viele, die nicht kirchlich heiraten können, wollen einen Segen von mir haben. Das Standesamt ist ihnen zu wenig. Man nennt das freie Trauung. Das mache ich gerne. Und viele Menschen wenden sich nach wie vor in seelsorgerischen Fragen an mich.

    Für viele katholische Würdenträger sind sie spätestens seit ihrem Buch „Bei aller Liebe“ ein rotes Tuch. Darin fordern Sie einen freiwilligen Zölibat.

    Bilgri: Ja, Verheiratete müssen geweiht werden können, und Geweihte müssen heiraten dürfen. Als ich das Buch beim Allgäuer Literaturfestival in einem Pfarrsaal vorstellen wollte, ließ der Pfarrer mich kurzfristig wissen, dass ich nicht willkommen sei. Die Lesung wurde abgesagt.

    Dabei hat Papst Franziskus liberalen Katholiken Hoffnung gemacht. Was halten Sie von ihm?

    Bilgri: Er stößt viele Dinge an, verfolgt Sie jedoch nicht weiter. Franziskus ist nur ein Papst der Ankündigungen. Er weckt Hoffnungen, die nicht erfüllt werden.

    Hat die katholische Kirche ein Management-Problem? Erkennt sie die Zeichen der Zeit nicht?

    Bilgri: Thomas von Mitschke-Collande hat ja in seinem klugen Buch „Schafft sich die katholische Kirche ab? Analysen und Lösungen eines Unternehmensberaters“ geschrieben, dass in jeder anderen Firma die Alarmglocken läuten würden. Mitschke-Collande war ja für McKinsey tätig. Doch die Kirche zieht sich bei Kritik zurück und behauptet, der Zölibat sei ihr USP, also ihr Alleinstellungsmerkmal. Doch der Zölibat wird nirgendwo hundertprozentig eingehalten. Ein Drittel der Priester versucht es, ein Drittel lebt die Heterosexualität und ein Drittel die Homosexualität. Meine Meinung ist: Jeder, auch jeder Priester soll seine Sexualität leben. Ich beglückwünsche jeden, der von sich sagen kann, aus Begeisterung auf Sexualität verzichten zu können. Vorausgesetzt, er bleibt dabei gelassen, offen und liebenswürdig.

    Sollen auch Frauen zum Priesteramt zugelassen werden?

    Bilgri: Auf alle Fälle. Das kommt auch irgendwann, wenn die katholische Kirche in unseren Breiten noch eine gesellschaftliche Größe bleiben will. Der Priestermangel wird ja immer dramatischer. So engagiert die Kirche immer mehr ausländische Priester und legt gewachsene Pfarreien zusammen. Auf Dauer ist das aber keine Lösung. Heute versteht einfach keiner mehr, warum Priester allein leben sollen und sexuell inaktiv sein müssen.

    Sie predigen auch Managern, die sie als Unternehmensberater coachen. Ihnen raten Sie unter anderem, es mal mit Muße zu probieren. Ist der Begriff nicht antiquiert? Wie wäre es mit dem Ratschlag an Siemens-Leute, mehr zu chillen?

    Bilgri: Chill-Areas etwa in Diskotheken haben nichts mit Muße zu tun. Muße ist etwas Unangestrengtes, also nicht Zweckorientiertes.

    Also genau das Gegenteil dessen, was wir im kapitalistischen Alltagskampf praktizieren.

    Bilgri: Genau. Man muss auch mal, selbst wenn das in Deutschland einen negativen Beigeschmack hat, faul sein dürfen. Doch das traut sich heute keiner mehr. Dabei ist es so gut, sich einige Stunden in die Hängematte zu legen. Menschen müssen sich sagen: Ich möchte leben.

    Was sagt der ehemalige Brauereichef: Hilft ein Bier am Abend zur Entschleunigung, zur Muße?

    Bilgri: Wenn das in einem mußevollen Rahmen geschieht, hilft das, aber nicht, wenn man während des Biergenusses vor dem Laptop sitzt oder mit dem Smartphone spielt. Der bayerische Biergarten ist ein Muße-Garten. Die Engländer machen das auch ganz mußevoll. Ehe sie nach Hause gehen, trinken sie noch ein Bier in einem Pub und legen so die Last des Tages ab.

    Selbst das wird bei Anti-Muße-Managern nicht helfen, die, wie im Abgas-Skandal deutlich wurde, gravierende Fehlentscheidungen getroffen haben.

    Bilgri: Das Wort „Fehlentscheidungen“ ist mir hier zu harmlos. Auf gut Bayerisch: Das war ein bewusstes Bescheißen. Das war Betrug.

    Können Sie Manager, die zu Ihnen kommen, auf den Pfad der Tugend zurückführen?

    Bilgri: Vielleicht, indem ich ihnen mein Modell des werteorientierten Führens von Firmen nahebringe. So hat man nachhaltig Erfolg. Wer auf kurzfristigen Erfolg setzt, zerstört die Basis der Wirtschaft, nämlich Beziehungen zu schaffen, die von Vertrauen geprägt sind. Doch viele Manager wollen nur Reibach machen. Wohin das führt, sieht man an den Banken. Heute traut sich doch keiner mehr zu sagen, er sei Banker. So wird es auch der Autoindustrie und ihren Managern ergehen. Erst geht das Ansehen verloren und dann das Vertrauen in die Produkte.

    Haben Sie auch Ethik-Seminare für Audi-Manager gegeben?

    Bilgri: Das habe ich, aber erst nach dem Diesel-Skandal. Auf alle Fälle brauchen Manager neben materiellen Zielen auch ideelle Ziele.

    Bekommen wir bessere Manager?

    Bilgri: Ich glaube, dass das Niveau in der Summe über die Jahre hinweg leider gleich bleibt. Der Mensch ist immer schwach und anfällig. Der Geist des Haben-Wollens führt Manager in Versuchung. Nur mit einer spirituellen Tiefe kann der Mensch mehr aus dem Sein als dem Haben leben, wie auch Erich Fromm schrieb. Dazu bedarf es aber einer gewissen Reife.

    Sie plädieren auch für ein „glorreiches Scheitern“. Wie funktioniert das?

    Bilgri: In Deutschland sind Brüche im Lebenslauf oder gar eine Pleite als Unternehmer eine Schande. Wer glorreich scheitert, lernt daraus und steht wieder auf. Das ist die Grundidee des Christentums, wie sie sich im Symbol des Kreuzes verkörpert: Tod und Auferstehung. Nicht liegen bleiben, sondern aufstehen und barmherzig mit sich selbst umgehen.

    Am Schluss die schwierigste Frage: Was ist der Sinn des Lebens?

    Bilgri: Ich bin mit 21 in den Benediktiner-Orden eingetreten und mit 51 ausgetreten. Erst am Schluss meines Mönchsdaseins habe ich erkannt: Du musst Dein Leben ändern, wie ja auch ein Buchtitel des Philosophen Sloterdijk lautet. Du musst Dein Leben ändern – und das, ohne griesgrämig zu werden. Man muss mit Freude an sich arbeiten. So bekommt das Leben einen Sinn.

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