Das Interview sollte anders werden als 2015. Live und im Stream statt aufgezeichnet. Mit vier statt nur einem Youtube-Star. Im Studio statt im Kanzleramt. Mit unbequemen Fragen, für welche die junge Generation brennt, statt mit Fernseh-Talk, wie ihn der Durchschnitts-Wähler am Sonntagabend von der Couch aus mitverfolgt.
Vier Internet-Stars - bekannt unter den Namen MrWissen2go, ItsColeslaw, AlexiBexi und Ischtar Isik - sollten am Mittwoch eine spannende Stunde mit der Kanzlerin garantieren (mehr zu den Kandidaten lesen Sie hier). Zusammen zählen diese vier jungen Erwachsenen zwischen 21 und 31 Jahren auf ihren Kanälen mehr als drei Millionen Abonnenten.
Ein Bruchteil davon - zeitweise rund 56.000 Zuschauer - verfolgen das Merkel-Interview letztlich. Viele treibt wohl auch die Neugier vor die Bildschirme: Wie schlagen sich die Videoblogger? Denn die Themen, die diese sonst behandeln, haben auf den ersten Blick wenige Schnittstellen zu Politik und Wahlkampf: Nagellack-Tutorial trifft Merkel-Raute, Beziehungsstatus "Kompliziert" prallt auf deutsch-türkische Spannungen.
Youtuber befragen Merkel zu Deutschlands Spannungen zur Türkei
Die Youtuber versuchen, sich ihre Themen-Spanne zunutze zu machen. In jeweils zehnminütigen, aufeinanderfolgenden Interviews sprechen sie Fragen an, die sie und ihre Community im Alltag und in Zukunft betreffen - etwa Standards in der schulischen Bildung, Berufschancen, E-Mobilität oder Merkels "Nein" zur Ehe für Alle.
So behandelt Ischtar Isik, die sonst Tipps rund um Mode und Lifestyle gibt, etwa das Thema Sexismus. Machos seien in der Politik ja keine Seltenheit, sagt sie frech. Für viele Frauen sei die Kanzlerin daher Vorbild. Zudem vertritt die 21-Jährige die Gruppe der Erstwähler. Welchen Einfluss die junge Generation gegenüber den zahlenmäßig überlegenen älteren Wählern habe, will sie wissen. Ebenso, wie Merkel den Kontakt zu den jungen Wählern herstellen will.
"Ja natürlich bringt Ihre Stimme was!" und "Ich bin ja auch auf Instagram", antwortet Merkel - und wirkt in Momenten wie diesen, als würde eine Lehrerin zur Schülerin sprechen. Ischtar Isik wird rot, greift wenig ein. Es sei ihr erstes Interview gewesen, sagt sie zum Abschluss beinahe entschuldigend. Merkels Antwort: "In Ihrem Leben? Machen Sie sonst nur...Selbstdarstellung?"
Merkels Lieblings-Emoji ist ein Smiley mit Herzchen
Der Dialog steht sinnbildlich für das Interview, das eigentlich ganz anders sein sollte: Merkel ist Medienprofi. Die Youtuber dagegen sind zwar geübt vor der Kamera, haben aber wenig Erfahrung in Diskussionen, die Angesicht zu Angesicht stattfinden. Sie stellen zu Beginn ihres Interviews einige unbequeme Fragen, lassen sich dann jedoch einschüchtern von der Souveränität Merkels.
Ein Beispiel ist das Gespräch von ItsColeslaw alias Lisa Sophie zu einheitlichen Standards im Abitur. Die 22-jährige Youtuberin und Journalistin bemängelt, dass Mathe im bayerischen Abitur verpflichtend sei, nicht aber anderswo. Dann nach den gleichen Standards bei Bewerbungen bewertet zu werden, empfinde sie als unfair. Merkel kontert, dass sie doch froh sein solle, ein etwas strengeres Abitur gemacht zu haben. Dennoch gibt sie ihr Recht, dass Standards wichtig seien.
Nichtsdestotrotz entlocken die Youtuber der Kanzlerin ein paar überraschende, wenn auch nicht relevante Antworten. Ob sie ein Lieblings-Emoji habe, will Alexi Bexi alias Alex Böhm wissen. Die Kanzlerin verrät mit dazu passender Mimik: ein Smiley - manchmal mit Herzchen dran. Ob der Smiley auch mal wütend werde, fragt der 28-Jährige nach. "Och...nö."
Merkel im Youtube-Interview: Unbequeme Fragen, bequeme Antworten
Am professionellsten wirkt MrWissen2go, der mit bürgerlichem Namen Mirko Drotschmann heißt und als Journalist und Moderator arbeitet. Er beschäftigt sich via Youtube mit gesellschaftlichen und politischen Themen. Der 31-Jährige spricht die Spannungen mit der Türkei an und will wissen, wieso Deutschland sich nicht stärker für den inhaftierten Journalisten Denis Yücel einsetze. Merkel bringt Phrasen: Es seien Probleme hinzugekommen in letzter Zeit, es herrsche Uneinigkeit in vielen Fragen, man tue alles. Statt nachzuhaken: nächstes Thema. Flüchtlinge, Trump, Air Berlin.
Letztlich weicht das Gespräch zwar von dem eines Fernsehmoderators ab, bleibt jedoch zu wenig konkret. Wie bereits Youtuber LeFloid wirken die diesjährigen Fragensteller teilweise gehemmt. Damals hatte der Internetstar die Themen Ehe für alle, das Freihandelsabkommen TTIP und die Freigabe von Cannabis auf die Agenda gesetzt. Bis heute wurde das Video rund 5,5 Millionen Mal abgerufen. Nach dem Interview äußerte sich LeFloid, er habe sich benutzt gefühlt.
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