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Interview: Ai Weiwei: "Ihr könnt bei mir wohnen"

Interview

Ai Weiwei: "Ihr könnt bei mir wohnen"

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    Der regimekritische chinesische Künstler Ai Weiwei in seinem Büro in Peking. Im Interview mit unserer Zeitung sprach er über das Leben nach seiner Festnahme, neue Formen des Protests und einen Film über sein Leben.
    Der regimekritische chinesische Künstler Ai Weiwei in seinem Büro in Peking. Im Interview mit unserer Zeitung sprach er über das Leben nach seiner Festnahme, neue Formen des Protests und einen Film über sein Leben.

    Der regimekritische Künstler Ai Weiwei hofft, Ende des Jahres als Gastprofessor in Berlin antreten zu können. In seinem Pekinger Studio sprach er mit unserem Korrespondenten Bernhard Bartsch über das Leben nach seiner Festnahme, neue Formen des Protests und einen Film über sein Leben.

    Am 14. Juni kommt ein Dokumentarfilm über Ihr Leben in die deutschen Kinos. „Never Sorry“, auf Deutsch „Kein Bedauern“, heißt der Titel. Ist das in Ihrem Leben Wunsch oder Realität?

    Ai Weiwei: „Never Sorry“ ist meine Grundeinstellung. Der Titel hat natürlich eine Geschichte. 2009 habe ich in München eine Ausstellung mit dem Titel „So Sorry“ gemacht. Der Name bezog sich auf die faulen Entschuldigungen, die wir so häufig von Politikern und Beamten hören. Wer „Tut mir leid“ sagt, versucht sich damit oft aus der Verantwortung zu stehlen. Ich versuche, das Gegenteil zu leben: Verantwortung und Engagement.

    Dafür haben Sie einen hohen Preis bezahlt. Ihre Festnahme vor einem Jahr war für Sie und Ihre Familie ein schwerer Schlag. Haben Sie nie bereut, mit Ihren politischen Aktivitäten so stark in die Öffentlichkeit getreten zu sein?

    Ai Weiwei: Natürlich gibt es Dinge, die ich bedauere, aber bereuen tue ich das nicht. In meiner Kindheit habe ich erlebt, wie schwierig das Leben für die Generation meines Vaters war, für Intellektuelle und jeden unabhängigen Geist. Damals wäre ich für meine Aktionen vielfach zum Tode verurteilt worden. Gemessen daran leben wir heute durchaus in einer liberaleren Zeit.

    Trotzdem hat die Partei versucht, Sie mundtot zu machen. Seit Ihrer Freilassung können Sie sich kaum noch in der Öffentlichkeit äußern.

    Ai Weiwei: Ja, ich muss jetzt kürzertreten. Ich äußere mich zwar immer noch im Internet und gebe das ein oder andere Interview, aber viel weniger als früher. Außerdem darf ich nicht reisen. Also bleibe ich meistens zu Hause.

    Die ein oder andere kritische Aktion können Sie sich dennoch nicht verkneifen. Zum Jahrestag Ihrer Verhaftung haben Sie in Ihrem Studio Überwachungskameras angebracht und die Bilder ins Internet gestellt – eine offene Anspielung auf staatliche Kontrolle.

    Ai Weiwei: Die Idee drängte sich auf, weil ich ja ständig überwacht werde. Rund um mein Haus sind 15 Kameras installiert. Jeder, der hier rein- oder rausgeht, wird identifiziert. Im Gefängnis waren in meiner Zelle drei Kameras. Während meine Familie nicht wusste, wo ich bin und wie es mir geht, konnten die Beamten mich jede Sekunde beobachten. Als Erinnerung daran habe ich dann am Jahrestag meiner Festnahme selbst Kameras aufgebaut: in meinem Schlafzimmer, im Büro, auch hier im Garten.

    Ist die Zeit der offenen Konfrontation also vorbei?

    Ai Weiwei: Ich denke, ich habe kommuniziert, was ich kommunizieren wollte. Dass ich damit nicht die Welt verändere, ist mir klar. Aber als chinesischer Staatsbürger muss ich mich an die hier geltenden Regeln halten. Die Polizei ist sehr mächtig, das hat sie ja unter Beweis gestellt. Ich habe keine andere Wahl, als ihre Anweisungen zu befolgen. Aber ich lerne aus diesen Schwierigkeiten und entwickle dadurch eine neue Denkweise, eine neue Art der Kommunikation.

    Wie sieht die aus?

    Ai Weiwei: Neulich habe ich zum Beispiel die Polizisten eingeladen, ob sie nicht bei mir im Büro arbeiten wollen. Ich habe ihnen gesagt: „Dass ihr mich ständig ausspioniert, ist völlig ineffizient. So bekommt ihr doch gar nicht all die Informationen, die ihr wollt, oder ihr zieht daraus die falschen Schlüsse. Also zieht doch bei mir ein. Ihr könnt bei mir wohnen und im Büro neben mir sitzen. Ich mache meine Arbeit und ihr eure. Dann könnt ihr genau beobachten, was ich tue und wer ich bin. Und wenn ich eines Tages wieder reisen darf, dürft ihr mich auch gerne begleiten, als meine Assistenten, und auf mein Benehmen aufpassen.“ Aber natürlich haben sie meine Einladung nicht angenommen.

    Was würden die Polizisten denn sehen, wenn sie bei Ihnen einziehen würden?

    Ai Weiwei: Wir bereiten gerade eine große Ausstellung in Washington vor. Wir haben aber auch noch andere Projekte: Ausstellungen, Bücher und Filme.

    Während der Vorbereitungen für die Ausstellung mussten Sie wegen lebensgefährlicher Hirnblutung operiert werden, eine Folge von Schlägen durch chinesische Polizisten.

    Ai Weiwei: Ja, und daraus entstand auch die Idee für einen Film über das deutsche Rechtssystem. Im Internet warf mir damals jemand vor, dass ich den Polizisten gegenüber zu konfrontativ aufgetreten sei und mit meinem Verhalten nicht nur in China, sondern auch in Deutschland gegen Gesetze verstoßen hätte. Das habe ich sehr ernst genommen und einmal untersucht, unter welchen Bedingungen Menschen in Deutschland verhaftet werden können, wie sie behandelt werden.

    Kurz nach Ihrer Festnahme hat die Berliner Akademie der Künste Sie als Gastprofessor eingeladen. Werden Sie den Lehrauftrag erfüllen können?

    Ai Weiwei: Die einjährige Bewährungszeit, die mir die Behörden auferlegt haben, endet am 22. Juni. Wenn ich dann eine Reiseerlaubnis bekomme, könnte ich Ende des Jahres nach Deutschland fliegen.

    Wollen Sie dann tatsächlich für ein ganzes Semester in Berlin verbringen?

    Ai Weiwei: So lange werde ich leider nicht bleiben können, aber ich werde mit der Akademie natürlich darüber reden, was ich machen kann.

    Was wollen Sie denn unterrichten?

    Ai Weiwei: Eigentlich will ich selbst von den Studenten etwas lernen. Ich weiß ehrlich gesagt noch gar nicht, was die Akademie von mir erwartet.

    China veranstaltet 2012 in Deutschland ein Kulturjahr, aber Sie oder Ihre Kunst sind nicht Teil des offiziellen Programms. Trotzdem wird wohl keiner der von Pekings Kulturbeamten ausgesuchten Filme, sondern „Never Sorry“ das größte chinesische Kinoereignis des Jahres sein. Ironisch, oder?

    Ai Weiwei: Ja, das ist allerdings ironisch. Die Regierung gibt Milliarden aus. Sie hat die Riesenleinwand am Times Square in New York gemietet und hält mit allen möglichen Ländern Kulturjahre ab. Aber mein Name darf dort nirgends auftauchen. Unsere Regierung versteht einfach nicht, wie Kultur funktioniert, wie Kunst, Freiheit und Kreativität zusammenhängen.

    Wie gefällt Ihnen persönlich der Film?

    Ai Weiwei: Ich mag ihn. Es ist eine ehrliche Dokumentation meines Lebens in den vergangenen zwei, drei Jahren. Das Publikum kann darin viel über China lernen: auch darüber, wie schwierig es ist, dort als Individuum die Macht infrage zu stellen. Nun ja, „schwierig“ ist eigentlich nicht das richtige Wort. Ich sollte „unmöglich“ sagen.

    Wie optimistisch sind Sie für Chinas Zukunft?

    Ai Weiwei: Sehr optimistisch! Chinas junge Generation lebt schon in einer ganz anderen Welt. Das Internet hat sie in vieler Hinsicht befreit, und immer mehr Menschen studieren im Ausland. Das wird China verändern.

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