Frau Johna, in die Corona-Impfungen kommt langsam Bewegung. Immer mehr Menschen werden geimpft, der Fortschritt scheint aber auf Einzelinitiativen zurückzugehen, zum Beispiel die der Hausärzte. Täuscht der Eindruck?
Susanne Johna: Eigentlich gibt es ja eine Impfstrategie. Aber die greift nicht tief genug. Es kommt in der Tat zu oft noch auf die Eigeninitiative der Ärztinnen und Ärzte an.
Könnten Sie ein Beispiel nennen?
Johna: Übergewichtige Menschen können früher geimpft werden, wissen das aber oft selbst gar nicht. Die behandelnden Ärzte müssen dann in Kontakt mit ihnen treten. Vieles ist von solchen Initiativen abhängig, es mangelt an einer allgemeinen Impfstrategie. Unsere Sorge ist vor allem, dass wir Ende Mai, Anfang Juni – wenn wir deutlich größere Impfstoffmengen zur Verfügung haben und womöglich die Impfpriorisierung aufgehoben wird –, die Impfdosen nicht effizient verimpfen können. Wir brauchen deshalb schnell eine Impfwerbekampagne. Da gibt es im Moment leider keine Bewegung.
Impf-Kampagne gezielt auf die Zielgruppen zuschneiden
Aber es gibt doch eine Impfkampagne?
Johna: Ein paar Plakate mit der Aufschrift „Deutschland krempelt die Ärmel hoch“ reichen da nicht aus.
Sondern? Brauchen wir mehr Promis, die sich öffentlich impfen lassen?
Johna: Wir brauchen viel mehr als das. Wir müssen die verschiedenen Zielgruppen genau identifizieren und auf sie zugeschnittene Werbung für das Impfen machen. Eine Gruppe wären die Migrantinnen und Migranten, die nicht alle perfekt Deutsch sprechen. Wir müssen junge Menschen, die sich ja oft unverwundbar fühlen, ganz anders erreichen. Da bieten sich dann die sozialen Medien an. Wir haben 6,2 Millionen Analphabeten in Deutschland. Für die bräuchten wir wiederum eine andere Ansprache. Wir müssen einfach alle Menschen erreichen. Ich denke da an die Präventionskampagne „Gib Aids keine Chance“ Mitte der 80er Jahre. Die war zu ihrer Zeit viel innovativer als das, was bis jetzt zum Thema Impfen gegen Corona von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung kam.
Es wird also nicht damit getan sein, Millionen Impfdosen einzukaufen und zu hoffen, dass sich der Rest dann schon ergeben wird? Die Regierung erweckt gerne diesen Eindruck.
Johna: Auf keinen Fall. Das funktioniert so nicht. Unsere Mitglieder im Marburger Bund erleben immer wieder Impfskeptiker. Die werden wir nicht alle erreichen, aber wir müssen es versuchen. Wir müssen auch die ansprechen, die sich ganz spezifische Sorgen machen. Viele junge Frauen haben beispielsweise die unberechtigte Angst, dass sie nach einer Impfung nicht mehr schwanger werden können. Die müssen wir gezielt ansprechen. Da reichen keine Frage-und-Antwort-Seiten irgendwo im Internet.
Schnelltest erlaubt keine Konzerte oder Stadionbesuche
Die Regierung setzt im Kampf gegen die Corona-Pandemie neben den Impfungen auf Tests. Erst ganz viel testen, dann noch viel impfen und bald ist die Welt wieder so wie früher. Hört sich doch gut an, oder?
Johna: Es ist nicht verkehrt, auf Antigen-Schnelltests zu setzen. Aber es wird suggeriert, dass Menschen sich quasi freitesten können. Ein negativer Schnelltest, und man kann wieder unbesorgt ins Stadion oder zum Clubkonzert, das ist die Idee. Und die ist doch ziemlich unbedarft. Denn die Tests haben eine Sensitivität von häufig nicht mehr als 60 Prozent. Das heißt, wir haben viele negative Ergebnisse, die in Wahrheit falsch sind. Schnelltests sind also nicht der Schlüssel hin zu mehr Freiheit. Sinnvoll sind sie in spezifischen Gruppen, etwa an den Schulen, um zusätzlich symptomlos Infizierte zu entdecken und Übertragungen zu vermeiden. Freitesten aber klappt nicht, das hat unser Nachbar Österreich schmerzhaft erleben müssen.
Bis wir die Pandemie im Griff haben, laufen die Intensivstationen voll. Wie ist der Stand gerade?
Johna: Es heißt immer, wir hätten ja noch zehn Prozent Intensivbetten frei und wenn eine Station voll ist, dann transportieren wir die Patienten eben in ein anderes Krankenhaus. Wer so redet, macht sich keine Vorstellung von der Belastung in vielen Kliniken, und er ignoriert die Tatsache, dass der Transport von Intensivpatienten immer mit einem erhöhten Risiko verbunden ist. Diese Menschen haben oft nicht nur einen Beatmungsschlauch, sondern noch viele weitere Zugänge. Jede Erschütterung, jedes Umlagern erhöht die Gefahr für den Patienten. Zudem bindet jeder Transport eines Intensivpatienten enorm viel Personal.
Planbare Operationen werden schon jetzt verschoben
Was ist die Konsequenz?
Johna: Wir müssen die Kapazitäten regional vorhalten und nicht denken, wir könnten nahezu beliebig über verschiedene Ländergrenzen hinweg verlegen. Wir sind jetzt leider wieder an einem Punkt, an dem wir als Ärzteschaft um Verständnis dafür bitten müssen, dass planbare Operationen zurückgestellt werden. Wir brauchen das OP-Personal, um möglichst viele Intensivbetten betreiben zu können. Es geht dabei ja nicht nur um Covid-19-Patienten, sondern auch um andere relevante Erkrankungen. Für alle diese schwerkranken Menschen brauchen wir die Kapazitäten auf den Intensivstationen, nicht dringend notwendige Eingriffe können deshalb vorerst nicht stattfinden. Anders können wir in vielen Krankenhäusern die Situation nicht mehr bewältigen.
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