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Integration: Wir schaffen das? Helfer aus der Region ziehen nach vier Jahren Bilanz

Integration

Wir schaffen das? Helfer aus der Region ziehen nach vier Jahren Bilanz

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    Selfie mit Flüchtling: Dieses Foto von Bundeskanzlerin Merkel ging um die Welt.
    Selfie mit Flüchtling: Dieses Foto von Bundeskanzlerin Merkel ging um die Welt. Foto: Bernd von Jutrczenka (dpa)

    Der Bayerische Hof in Wittislingen ist so etwas wie ein steinernes Geschichtsbuch. Ein Gebäude, das in den vergangenen Jahrzehnten viel erlebt hat, viele Menschen hat kommen und gehen sehen. Früher die Dorfbewohner, die sich dort auf ein Bier trafen, Schafkopf spielten, tratschten, aßen, Geschichten erzählten. Später dann Menschen aus Syrien oder Afghanistan. Auch sie erzählten Geschichten in der Gaststube, kochten, redeten und fanden in der Ferne, in dem ehemaligen schwäbischen Gasthof, so etwas wie eine neue Heimat.

    Eine, die diese Menschen von Anfang an begleitet hat, ist Claudia Baumann vom Netzwerk Asyl. Heute, mehrere Jahre nachdem die ersten Flüchtlinge in die 2300-Einwohner-Gemeinde Wittislingen im Landkreis Dillingen kamen, sagt sie: „Ja, ich würde sagen: Wir haben es geschafft.“

    Ihre Worte wählt Baumann nicht zufällig. Sie sind eine Replik auf den vielleicht berühmtesten Satz, den Angela Merkel in ihrer bisherigen Amtszeit gesagt hat. Es sind Worte, die völlig unscheinbar daherkommen – aber so stark aufgeladen sind wie eine Hochspannungsleitung. Wir schaffen das. Genau vier Jahre ist es her, dass die Kanzlerin diesen Satz gesagt hat. Damals, am 31. August 2015, vor der Bundespressekonferenz in Berlin. Merkel trägt an diesem Tag ein pinkfarbenes Jackett und eine goldene Halskette. Sie spricht über Asylverfahren, Erstaufnahmeeinrichtungen, Integrationsarbeit, hunderttausende Flüchtlinge, mit denen zu rechnen sei. Schließlich sagt sie: „Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das!“

    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird für ihren Satz „Wir schaffen das“ bewundert und gehasst.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird für ihren Satz „Wir schaffen das“ bewundert und gehasst. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Der Satz Merkels hat seine Unschuld verloren

    Heute, vier Jahre später, haben diese Worte ihre Unschuld verloren. Sie motivieren die einen – und provozieren die anderen. Dieser eine Satz hat eine unvorstellbare Kraft entwickelt. Und zu dieser semantischen Macht, die aus den drei Worten erwachsen ist, gesellt sich unweigerlich diese eine Frage: Haben wir es denn geschafft?

    Für Wittislingens Bürgermeister Ulrich Müller ist die Antwort auf diese Frage eindeutig: „Von meiner Seite aus kann ich sagen, dass Wittislingen es ganz sicher geschafft hat. Aber nur deswegen, weil unser Netzwerk Asyl überragende Arbeit geleistet hat.“ Und die ehrenamtlichen Helfer hatten in der Tat viel zu tun. In der Hochphase des Flüchtlingszuzugs lebten 50 Asylbewerber im Bayerischen Hof, der damals zu einem Flüchtlingsheim umfunktioniert worden war. Heute wohnen dort noch 16 Menschen. „Ganz am Anfang habe ich 15 bis 20 Stunden pro Woche investiert“, sagt Flüchtlingshelferin Baumann. Sie half in der Unterkunft, arbeitete aber auch von zu Hause aus, verschickte Mails, führte Telefonate. Jetzt kommt sie noch einmal in der Woche in den

    Im Jahr 2015 stellten mehr als 67.000 Menschen einen Asyl-Erstantrag in Bayern. 2016 waren es über 82.000. Zwei Jahre später noch knapp 22.000. Der Zuzug so vieler Menschen hat die Region geprägt. Hat Helferkreise entstehen lassen und neue Unterkünfte, auf Dorffesten wird syrisches Essen angeboten und in den Schulen sitzen Kinder, die kaum Deutsch sprechen. Und nicht zuletzt hat die Zuwanderung auch in einigen Gegenden eine Partei groß gemacht. Die AfD, die die Flüchtlingspolitik zu ihrem Hauptthema erkor.

    In der Donauwörther Parkstadt hat die AfD bei der Landtagswahl im vergangenen Herbst einen massiven Zuspruch erhalten. Im Wahllokal Sebastian-Franck-Schule I erreichte sie 27,7 Prozent der Zweitstimmen. Zufall? Oder liegt es doch vielleicht daran, dass in der Parkstadt eines der umstrittenen bayerischen Ankerzentren steht, wo es in den vergangenen Jahren immer wieder große Probleme gab?

    Das Ankerzentrum in Donauwörth ist das zentrale Thema in der Stadt 

    Das zu analysieren sei schwierig, sagt Donauwörths Oberbürgermeister Armin Neudert. Zumal der Zuspruch für die AfD bei der Europawahl schon geringer war – vielleicht auch deswegen, weil da schon endgültig klar war, dass das Ankerzentrum geschlossen wird. Dennoch: Die Massenunterkunft sei in den vergangenen Jahren natürlich das zentrale Thema gewesen. „Eine Einrichtung mit bis zu 1000 Menschen in einer Stadt mit 20.000 Einwohnern ist zu groß“, sagt Neudert. Man habe gemerkt, dass die Bürger ein verstärktes Sicherheitsbedürfnis entwickelt haben. Deswegen habe die Stadt auch einen kommunalen Ordnungsdienst beauftragt.

    Vor allem in den Jahren 2015 und 2016 kamen viele Flüchtlinge nach Deutschland - und wurden in Turnhallen und leerstehenden Gebäuden untergebracht, wie hier in der der Inninger Dependance des Ankerzentrums Donauwörth.
    Vor allem in den Jahren 2015 und 2016 kamen viele Flüchtlinge nach Deutschland - und wurden in Turnhallen und leerstehenden Gebäuden untergebracht, wie hier in der der Inninger Dependance des Ankerzentrums Donauwörth. Foto: Bernd Hohlen

    Hat es Donauwörth geschafft? Neudert drückt es so aus: „Die Stadt hat zusammengehalten.“ Und es gebe viele Ehrenamtliche, die sich um die Flüchtlinge in den dezentralen Einrichtungen kümmerten, die Integration sei gut gelungen. Trotzdem: Dass das Ankerzentrum Ende des Jahres geschlossen wird, sei ganz entscheidend. Auf dem Areal sollen künftig Wohnungen und Häuser für 2000 Menschen entstehen.

    Während Donauwörth seine Asyl-Großeinrichtung verliert, bekommt Neu-Ulm eine hinzu. In einem ehemaligen Speichergebäude entsteht eine Ankerzentrums-Dependence für bis zu 250 Menschen. Ob das die Stimmung im Landkreis verändern werde, hänge von der Umsetzung ab, sagt Landrat Thorsten Freudenberger. „Wenn es keine Überbelegung gibt und man auch Security-Kräfte einsetzt, dann wird die Akzeptanz da sein. Aber wenn es zu Übergriffen kommt, wird die Akzeptanz schwinden.“

    Das Ankerzentrum in Donauwörth. 
    Das Ankerzentrum in Donauwörth.  Foto: Manuel Wenzel

    Eigentlich hätten in den Speicher schon viel früher Flüchtlinge einziehen sollen. Das Gebäude war, ebenso wie ein ehemaliger Baumarkt, ausgebaut worden – und stand dann jahrelang leer. Immer wieder wurde Kritik laut, weil der Freistaat mit Steuergeldern die Miete für Unterkünfte bezahlte, in denen niemand wohnte. Dass nie Asylsuchende eingezogen sind, habe daran gelegen, dass die Flüchtlingszahlen plötzlich stark zurückgegangen sind, sagt Freudenberger.

    In den Landkreis Neu-Ulm kamen bis zu 70 Flüchtlinge pro Woche

    Auf dem Gipfel der Zuwanderung kamen 60 bis 70 Flüchtlinge pro Woche in den Landkreis Neu-Ulm. In Hochzeiten lebten dort knapp 2000 Asylbewerber. Heute sind es noch 866. Die Menschen unterzubringen sei die größte Herausforderung in den vergangenen Jahren gewesen, erzählt der Landrat. „Vor allem, weil die Wohnraumsituation damals schon angespannt war. Aber im Rückblick sage ich: Es ist uns gelungen. Niemand musste im Zelt schlafen.“ Es habe ein großes Maß an Hilfsbereitschaft gegeben, fährt der Landrat fort. Zugleich aber auch Menschen, die den Flüchtlingen ablehnend gegenübergestanden hätten. „Und viele waren einfach verunsichert und haben sich gefragt: Wer kommt denn da?“

    Merkels berühmtem Satz kann der Politiker nur wenig abgewinnen. „Ich habe grundsätzlich ein Problem mit Plattitüden.“ Und ob man es nun geschafft habe, das könne man nicht so leicht beantworten, vor allem deshalb, weil es noch viele offene Fragen gebe, meint Freudenberger. Man habe etwa noch keine Antwort darauf gefunden, wie man mit den Migrationsbewegungen in Europa umgehen wolle. Oder darauf, wie man verhindern könne, dass tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken.

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