Kommt ein neues NPD-Verbotsverfahren? Seit dem Bekanntwerden der Neonazi-Morde haben viele Politiker einen neuen Anlauf für ein Verbot der rechtsextremen Partei immer wieder gefordert, ja regelrecht beschworen.
Neues NPD-Verbotsverfahren?
Doch als sich die Innenminister von Bund und Ländern am Donnerstag zu einer Sonderkonferenz in Berlin trafen, ließen sie diese zentrale Frage bewusst weiter offen. Vielleicht wird sie zum Jahresende beantwortet, vielleicht erst später.
Dieses Bild ergibt sich jedenfalls, wenn man manche Innenminister in diesen Tagen reden hört - vor allem Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Sachsen-Anhalts Ressortchef Holger Stahlknecht (CDU). Die beiden leiten eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern, die Chancen für ein NPD-Verbotsverfahren ausloten soll - eine Arbeitsgruppe, von der Friedrich zu Beginn nicht richtig begeistert war, weil er von einem neuen Verbotsverfahren so gar nichts wissen wollte.
Juristisch kompliziert
Dann sagte er zu, sich an der Prüfung zu beteiligen. Bis heute gehört Friedrich zu den großen Skeptikern. Auch Stahlknecht klingt nicht sonderlich optimistisch, wenn er über das Thema spricht.
Klar ist: Alle wollen ein Verbot. Klar ist aber auch: Juristisch bleibt es kompliziert. Nur zu gut ist allen im Gedächtnis, dass der erste Anlauf 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht kläglich gescheitert war. "Das politische Wollen kann das juristische Können nicht ersetzen", sagt Stahlknecht. Und er ergänzt: "Wenn wir dieses Verfahren verlieren aus fahrlässiger Leidenschaft, dann ist der Schaden immens."
NPD-Verbot: Hohe Hürden
Die NPD würde wohl - wie 2003 - triumphieren, möglicherweise wie damals wieder an Mitgliedern und bei Wahlen an Stimmen gewinnen. Dabei will Stahlknecht nicht als Bremser eines neuen Verbotsverfahrens gelten. Doch "juristisch sauber" zu prüfen, das sei nun das Gebot der Stunde. Und dafür schufen die Innenminister nach eigenem Bekunden nun die Voraussetzungen.
Die Minister beschlossen, sich zum 2. April von Verbindungsleuten ("V-Leute") des Verfassungsschutzes in der NPD-Führung zu trennen. Damit soll verhindert werden, dass neues Material, das nun gegen die NPD gesammelt wird, auf Erkenntnissen von staatlich bezahlten Spitzel fußt. Denn das Bundesverfassungsgericht hatte 2003 auf ein faires Verfahren gepocht - NPD-Leute könnten nicht gleichzeitig für den Staat spitzeln. Die "Abschaltung" gilt als nötig, damit ein mögliches Verbotsverfahren überhaupt Aussicht auf Erfolg hat.
NPD: Systematisch Beweise sammeln
Mindestens sechs Monate lang sollen nun systematisch Beweise gesammelt werden. Material seit 2008 wollen die Minister gegen die NPD verwenden - auch solches, das durch geheime Quellen gewonnen wurde. So gar nicht behagt einigen Innenministern aber der Hinweise der gemeinsamen Arbeitsgruppe, dass die Quellen dann möglicherweise nicht geheim bleiben können.
Das Neonazi-Trio und seine mutmaßlichen Helfer
UWE MUNDLOS: Der Professorensohn gilt als intellektueller Kopf der Terrorzelle. Am 4. November tötete sich der 38-Jährige selbst in einem Wohnmobil.
UWE BÖHNHARDT: Der 34-Jährige soll ein Waffennarr gewesen sein, der schnell und gerne zuschlug. Auch er wurde am 4. November tot in dem ausgebrannten Wohnmobil gefunden, wohl von Mundlos erschossen.
BEATE ZSCHÄPE: Die 37-Jährige ist als Mittäterin wegen Mordes angeklagt. Sie stammt aus zerrütteten Verhältnissen. Aufgefallen ist die erstmal als 17-Jährige bei mehreren Ladendiebstählen. In einem Jugendclub im Jenaer Plattenbaugebiet Winzerla lernte sie Uwe Mundlos kennen. Mit Uwe Böhnhardt hatte sie später eine Beziehung. Nachdem sie am 4. November 2011 die konspirative Wohnung der Gruppe in die Luft gesprengt hatte, fuhr Zschäpe tagelang mit der Bahn tagelang kreuz und quer durch Deutschland, bevor sie sich der Polizei stellte.
RALF WOHLLEBEN: Der ehemalige NPD-Funktionär sitzt seit dem 29. November 2011 in Untersuchungshaft. Er soll dem Terrortrio 1998 beim Untertauchen finanziell geholfen, ihnen Geld und auch die spätere Tatwaffe zukommen lassen haben. Der 37-jährige Fachinformatiker ist inzwischen zwar nicht mehr NPD-Mitglied. Dass er noch als NPD-Funktionär die NSU unterstützt hat, gilt aber als wichtiges Argument für ein mögliches neues NPD-Verbotsverfahren.
HOLGER G.: Der am 14. Mai 1974 in Jena geborene G. war der erste mutmaßliche NSU-Helfer, den die Polizei festnahm. G. soll seit Ende der 90er Jahre Kontakt mit dem aus Thüringen stammenden Trio gehabt haben. Den Dreien soll er seinen Führerschein, eine Krankenversichertenkarte und noch im Jahr 2011 einen Reisepass überlassen haben. So soll er ihnen ermöglicht haben, weiterhin verborgen zu agieren und rechtsextreme Gewalttaten zu verüben.
CARSTEN S.: Der 32-Jährige soll zusammen mit Ralf Wohlleben die Tatwaffe zu den Morden beschafft haben. Nachdem S. umfassend ausgepackt hatte, ließ ihn die Bundesanwaltschaft im Mai nach viermonatiger Untersuchungshaft wieder frei. S. sagte sich nach Auffassung der Ermittler glaubhaft vom Rechtsextremismus los. Außerdem war er zur Tatzeit erst 19 Jahre alt, ihm könnte nach dem milderen Jugendstrafrecht der Prozess gemacht werden.
ANDRE E.: Dem aus Sachsen stammenden 33-Jährigen wirft die Bundesanwaltschaft Beihilfe zum Sprengstoffanschlag des NSU in der Kölner Altstadt vor. E. soll eine enge Bindung zu dem Trio unterhalten haben. Im Jahr 2006 gab er Zschäpe als seine Ehefrau aus. Er soll den Wohnort der Drei verschleiert haben und ihnen seit dem Jahr 2009 Bahncards beschafft haben. Diese waren auf ihn und seine Frau ausgestellt, jedoch mit den Fotos von Zschäpe und Uwe Böhnhardt versehen.
Das Bundesverfassungsgericht könnte als Lehre aus dem Desaster von 2003 verlangen, die Klarnamen von V-Leute preis zu geben, obwohl diesen Vertraulichkeit zugesichert wurde. NPD-Anwälte könnten in Karlsruhe die Offenlegung fordern. Ob dies riskiert werden soll, darüber gibt es noch keine Verständigung. Vor allem Unionsminister lehnen die Offenlegung vehement ab.
NPD-Verbotsverfahren mit Risiken
Die Politik muss entscheiden, ob sie Risiken eines neuen Verfahrens, die niemand trotz noch so sorgfältiger Prüfung ganz ausschalten kann, eingehen wollen. Einen Antrag für ein Verbot stellen können Bundesregierung, Bundesrat oder Bundestag - auch jeweils alleine, aber es wird ein gemeinsames Vorgehen angestrebt. (dpa, AZ)