Die Versammlungen gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen mit mehreren Tausend Teilnehmern in Berlin sind nach Einschätzung der Polizei beendet. Viele der Teilnehmer seien allerdings noch in kleinen und mittelgroßen Gruppen in der Innenstadt unterwegs, twitterte die Behörde am frühen Mittwochabend. "Wir begleiten diese und passen auf, dass niemand Unfug macht."
Zuvor sprach Innensenator Andreas Geisel (SPD) von erneut aggressiver Stimmung bei den Protesten. Man habe am Mittwoch keine andere Wahl gehabt, als den Platz vor dem Brandenburger Tor mit Wasserwerfern zu räumen, nachdem die Demonstranten mehrfach zum Gehen aufgefordert worden waren. Die Polizei habe die Wasserwerfer mit Augenmaß eingesetzt, sagte Geisel. Es habe keinen harten Wasserstrahl gegeben, sondern "ein Sprühen, um es ungemütlich zu machen". dpa-Reporter berichteten auch von Rangeleien und dem Einsatz von Tränengas. Demonstranten schrien und pfiffen mit Trillerpfeifen. Die meisten Demonstranten waren im Corona-Hotspot Berlin-Mitte den Aufforderungen zum Tragen von Mund-Nasen-Schutz und Abstandhalten nicht nachgekommen.
Mehrere Hundert Menschen hatten sich am Mittwoch versammelt, um schon vor Beginn der Bundestagssitzung zu weiteren Änderungen des Infektionsschutzgesetzes gegen die Corona-Einschränkungen demonstriert.
Polizei begegnet Corona-Demonstranten mit Wasserwerfern
"Die Versammlung auf der Straße des 17. Juni wurde vom Versammlungsleiter um 12:06 Uhr für beendet erklärt" twitterte die Polizei am Mittag. Ein Sprecher verwies zudem auf eine Auflösungsaufforderung durch die Beamten, die den Bereich am Brandenburger Tor betreffe. Hintergrund seien Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz.
Weiter hieß es von der Behörde: "Da die ehemaligen Teilnehmenden der Versammlung in Höhe Platz des 18. März der Verpflichtung, den Ort zu verlassen, nicht nachkamen, wurden die Menschen soeben von unseren Wasserwerfern beregnet."
Den Aufforderungen zum Tragen von Mund-Nase-Schutz und zum Abstandhalten waren viele der Demonstranten nicht gefolgt. Mit wie vielen Demonstranten zu rechnen sei, war zunächst unklar. Es könnten laut Polizei mehrere Tausend bis mehr als Zehntausend werden, hieß es am Vormittag. Es gelten dabei Bestimmungen wie das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und das Einhalten von Abstand. 2000 Polizisten sind im Einsatz, darunter Unterstützung aus neun weiteren Bundesländern und von der Bundespolizei.
Am Nachmittag meldete die Polizei, bislang seien mehr als 100 Menschen festgenommen worden. Man sei im dreistelligen Bereich, Fälle von kürzeren Freiheitsbeschränkungen eingerechnet, sagte eine Sprecherin der Behörde am Mittwoch. Mit einer Bilanz wurde nicht vor Donnerstag gerechnet.
Bundesinnenministerium verbietet mehrere Demonstrationen in Berlin
Mehrere angemeldete Demonstrationen direkt vor dem Reichstagsgebäude im sogenannten befriedeten Bezirk hatte das Bundesinnenministerium verboten. Die Polizei sperrte den Bereich daher weiträumig ab. Im Internet kursierten aber zahlreiche Aufrufe, Demonstrationen nicht anzumelden, sondern spontan nach Berlin zu fahren und am Bundestag zu protestieren. Die Polizei sprach von einer "hohen Mobilisierung".
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) rechnete zuvor mit einen schwierigen Einsatz für die Beamten. Vergangene Demonstrationen auch in anderen Städten hätten gezeigt, wie schnell so etwas eskalieren und wie schnell die Polizei auch hilflos sein könne, sagte GdP-Sprecher Benjamin Jendro am Morgen im RBB-Inforadio. Das große Problem sei, dass ein breites Spektrum auf die Straße gehe. "Das heißt, es sind nicht alles Rechtsextremisten, die dort mitlaufen, sondern auch Menschen, die Existenzängste haben." Auch Kinder und ältere Menschen seien dabei.
Polizei will Regeln bei den Corona-Demonstrationen durchsetzen
Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte angekündigt, die Corona-Regeln bei den Demonstrationen mit allen zulässigen Mitteln durchzusetzen. "Wir werden alles daran setzen, keine Versammlungen ohne Mund-Nasen-Schutz zuzulassen." Sollte es dennoch dazu kommen, werde die Polizei diese schnellstmöglich auflösen. Bilder wie vor einer Woche in Leipzig oder im August vor dem Reichstag wolle man unbedingt vermeiden. "Wir werden und müssen über andere Maßnahmen als üblich nachdenken." Es gehe darum, die Verbreitung des Virus einzudämmen.
Gleichzeitig verwies sie auf die Probleme der Polizei mit diesen Demonstrationen. "Zigtausend Menschen, die sich weigern zu gehen, aber friedlich weiter protestieren (...), die werden wir nicht binnen kürzester Zeit auseinanderbringen und so den Schutz vor Viren garantieren können." Dass sich Tausende Menschen nicht an die Regeln hielten, mache es besonders schwierig.
Nach Angaben der Gewerkschaft sollen Journalisten bei der Berliner Demo an ihrer Arbeit gehindert worden sein. "Viele weitere wurden verbal bedroht und beschimpft", teilte Verdi am Mittwoch während der laufenden Demonstration mit. Der Polizei lagen am Nachmittag auf Nachfrage keine Erkenntnisse dazu vor. Laut Gewerkschaft soll es auch zu körperlichen Attacken gekommen sein. Erst vor Tagen hatte die Gewerkschaft Angriffe gegen Journalisten auf der großen "Querdenken"-Demo in der Leipziger Innenstadt registriert.
Erst kürzlich eskalierte eine Corona-Demonstration
In Leipzig hatten sich vor knapp zwei Wochen mindestens 20.000 Demonstranten versammelt. 90 Prozent der Teilnehmer trugen laut Polizei keine Masken. Die Kundgebung wurde aufgelöst, danach erzwangen die Demonstranten einen Gang über den Leipziger Ring. Die Polizei konnte sie nicht stoppen. Es kam zu Rangeleien, Böller flogen. Unter den Demonstranten waren auch Gruppen von Neonazis.
Am 29. August hatten am Rand einer großen Demonstration mit vielen Zehntausend Teilnehmern in Berlin mehrere hundert Menschen Absperrgitter vor dem Reichstagsgebäude überwunden. Sie liefen die Treppe hoch und bauten sich triumphierend vor dem Besuchereingang auf. Die Bilder sorgten für Aufsehen und Empörung bei den meisten Parteien. (dpa)
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